Keine Auszeit für Krebszellen29. September 2025 Krebszellen nutzen zelluläre Überlebensmechanismen wie die UPR zur Stressbewältigung. Ein von MPI-Forschenden entwickelter Inhibitor (rote Nadel) könnte diesen Mechanismus stoppen und die Krebszelle erhöhtem Stress aussetzen. Bildquelle: ©MPI für molekulare Physiologie Eine von Max-Planck-Chemikern entwickelte neuartige Substanz stört die Stressbewältigung von Krebszellen. Krebszellen sind ziemlich clever und auch dreist – sie kapern zelluläre Überlebens- und Heilungsprozesse, um ihr Wachstum anzukurbeln, sich im Körper auszubreiten und ihr eigenes Überleben so zu sichern. Die „Unfolded Protein Response“ (UPR), die Zellen vor Stress schützt, ist ein solcher Überlebensmechanismus. Einer ihrer wichtigsten Regulatoren, das „inositol-requiring enzyme 1“ (IRE1), ist ein vielversprechendes Ziel für die Entwicklung von Therapien gegen Krebs und eine Vielzahl anderer schwerer Krankheiten. Nun hat ein Forschungsteam am Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie in Dortmund unter der Leitung von Forschungsgruppenleiter Dr. Peng Wu eine neuartige Substanz entwickelt, die IRE1 durch einen Mechanismus hemmt, der sich von den bereits existierenden Inhibitoren unterscheidet. Dies könnte neue therapeutische Wege für die Behandlung von Krebs und anderen menschlichen Krankheiten eröffnen. Die Wäsche ist noch nicht gewaschen, das Fahrrad muss repariert werden und die Rechnungen sind auch noch nicht bezahlt. Unerledigte Aufgaben verursachen Stress. Das gleiche Prinzip gilt auch für unsere Zellen. Wenn zu viele Proteine falsch oder sogar fehlgefaltet sind, können sie ihre Funktionen nicht erfüllen und die Zelle gerät unter Stress. Krebszellen leben unter ständigem Stress Tumore werden oft als „Wunden, die niemals heilen“ beschrieben. Krebszellen schaffen eine toxische Umgebung, die sauer, nährstoff- und sauerstoffarm ist. Obwohl dies kontraproduktiv erscheint, ist es tatsächlich eine clevere Strategie: Die lebensfeindlichen Bedingungen aktivieren evolutionäre, zelluläre Überlebenswege, die von den Krebszellen gekapert und umfunktioniert werden, um das Tumorwachstum und -überleben zu unterstützen. „Es ist bekannt, dass die Aktivierung der UPR über IRE1 zur Entstehung und zum Fortschreiten der meisten Krebsarten beiträgt, darunter Leukämie, Glioblastom, Myelom, Brust- und Darmkrebs. Eine hohe IRE1-Aktivität ist auch mit einer zunehmend schlechteren Prognose verbunden“, unterstreicht Wu. In den letzten zehn Jahren sind Signalproteine des UPR zu attraktiven Zielen für die Entwicklung neuartiger Krebstherapien geworden, und es steht mittlerweile eine wachsende Auswahl an medikamentenähnlichen Molekülen zur Verfügung. Viele dieser Verbindungen sind jedoch nur beschränkt einsetzbar. Ein neuer Hemmmechanismus – hier binden, dort hemmen Die Gruppe um Wu hat nun einen hochwirksamen IRE1-Inhibitor mit einem einzigartigen Hemmmechanismus entwickelt. In einem ersten Schritt entwickelten die Forschenden einen robusten Assay, um die Wirkung potenzieller IRE1-Inhibitoren zu bewerten. Mit diesem Assay durchsuchten sie eine Bibliothek von ca. 10.000 chemisch unterschiedlichen Verbindungen und identifizierten indolbasierte Gerüste als besonders vielversprechende „Treffer“. Eine systematische Strukturoptimierung dieser Substanzen ergab eine Leitverbindung, die anschließend biochemisch, biophysikalisch und hinsichtlich ihrer Wechselwirkung mit IRE1 charakterisiert wurde. Dabei zeigte sich ihr einzigartiger Hemmungsmechanismus: Anstatt eine der beiden katalytischen Stellen von IRE1 (die Kinase- oder die RNAse-Domäne) durch Bindung zu hemmen, bindet die Verbindung an die Kinase-Domäne und unterdrückt durch diese Wechselwirkung allosterisch die RNAse-Aktivität, die die UPR antreibt. Mit anderen Worten: Die Verbindung „bindet hier, hemmt aber dort”. Neue therapeutische Möglichkeiten Unser Verständnis der UPR hat sich in den letzten Jahrzehnten stetig weiterentwickelt, und die ersten medikamentenähnlichen Moleküle, die auf diesen Prozess abzielen, haben sich in präklinischen Krankheitsmodellen als vielversprechend erwiesen. Viele der bestehenden Wirkstoffe leiden jedoch unter einer schlechten Pharmakokinetik und verursachen erhebliche Nebenwirkungen – insbesondere eine hohe Pankreastoxizität. Es wird vermutet, dass bestimmte reaktive Molekülteile in diesen Verbindungen zelluläre Prozesse stören, die nichts mit der IRE1-Aktivität zu tun haben. Darüber hinaus sind einige Hemmmechanismen noch nicht vollständig verstanden. „Strukturelle und funktionelle Studien wie die unsere, die den Wirkmechanismus klar aufzeigen, sind von großem Wert und werden die Entwicklung von IRE1-Inhibitoren der nächsten Generation beschleunigen“, sagt Wu. Solche Verbindungen könnten auch als Werkzeuge in der Krebsforschung genutzt werden, um zu bestimmen, welcher Ansatz zur Krebsbekämpfung in der klinischen Praxis am besten geeignet ist und welche Krankheiten beim Menschen durch die gezielte Beeinflussung der UPR am effektivsten behandelt werden können.
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