Künstliche Intelligenz analysiert Schluckvorgang5. August 2025 Foto: mapo – stock.adobe.com Durch automatische Auswertung von Röntgenbreischluckaufnahmen, unterstützt durch Künstliche Intelligenz (KI), könnte die Analyse des Schluckvorgangs insbesondere bei älteren Menschen und Parkinsonpatienten wesentlich objektiver und präziser werden. Entwickelt wurde das Werkzeug, das anzeigt, ob die Schluckphysiologie krankhaft verändert ist, von Biomedizin-Informatikern der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit rund 390.000 Euro gefördert. Bei Menschen in höherem Alter, nach Schlaganfällen oder bei neurologischen Erkrankungen ist die Physiologie des Schluckvorganges oft gestört. „Verbleiben Speisereste im Rachen oder gelangen gar in die Atemwege, kann das zu ernsthaften Komplikationen und nicht selten zum Tod führen“, erklärt Prof. Andreas Kist, Spezialist für biomedizinische Signalanalyse an der FAU. Dass dieser Aspekt von besonderer medizinischer Relevanz ist, zeigt die Statistik bei Parkinsonerkrankungen: Lungenentzündungen durch Aspiration von Nahrung sind mit über 70 Prozent die häufigste Todesursache dieser Patientengruppe. Neuronale Netze lernen Anatomie Eine etablierte Methode zur Untersuchung der Schluckphysiologie sind Röntgenbreischluckvideos. Sie visualisieren den Weg des Bolus, so die wissenschaftliche Bezeichnung des Nahrungsbreis, von der Mundhöhle bis zum Magen. Eine Auflösung von 30 Bildern pro Sekunde liefert dabei die besten Ergebnisse. Allerdings ist die Auswertung ein aufwendiger manueller Prozess und daher subjektiv und fehleranfällig. Die Kist-Gruppe arbeitet deshalb an einem KI-gestützten Verfahren, das die Videos automatisch analysiert. Das ist alles andere als trivial, denn der Schluckvorgang ist ein koordiniertes Zusammenspiel verschiedener Muskeln, Nerven, Knochen und Knorpel. Das Tool muss am Ende in der Lage sein, diese anatomischen Orientierungspunkte jedes einzelnen Patienten zu identifizieren – auch dann, wenn die Aufnahmen aus unterschiedlichen Perspektiven und mit Geräten verschiedener Hersteller gemacht worden sind. „In der ersten Projektphase geht es überwiegend darum, die neuronalen Netze mit Daten zur Anatomie zu trainieren“, erläutert Luisa Neubig. „Zungenbein, Kehlkopf, Speise- und Luftröhre – all das muss die KI zuverlässig erkennen, bevor sie Aussagen zur Schluckphysiologie treffen kann.“ Bologramm soll Entscheidungsprozesse beschleunigen Neubig ist Doktorandin am Lehrstuhl von Kist und wird das auf drei Jahre angelegte Projekt leiten. Die gebürtige Nürnbergerin hat Medizintechnik an der FAU studiert und sich bereits in ihrer Masterarbeit mit Deep-Learning-Modellen zur Schluckverhaltensanalyse beschäftigt. 2023 ist sie mit dem 1. Platz des Nachwuchspreises für Masterarbeiten der DMEA, der Messe für Digital Health and Applikationen, ausgezeichnet worden. In Phase zwei des Projektes soll das Modell in die Lage versetzt werden, auf Basis der erlernten anatomischen Parameter den Weg des Nahrungsbreis im Zeitverlauf zu verfolgen und mögliche Rückstände zu erkennen. In Phase drei schließlich widmen sich die Forschenden dem Ziel, sämtliche Daten des Schluckprozesses in ein standardisiertes Raster zu übertragen und in einem komprimierten Bild, dem sogenannten Bologramm, darzustellen. „Das Bologramm soll eine schnelle Entscheidungsfindung in der klinischen Praxis ermöglichen“, sagt Neubig. „Dabei arbeiten wir auch mit Farben, die auf einen Blick signalisieren, ob sich alles im grünen Bereich bewegt oder ob interveniert werden muss.“ Röntgenbreischluckstudien in Deutschland etablieren Die Arbeit der Erlanger Biomedizin-Informatiker könnte dazu beitragen, Röntgenbreischluckstudien im deutschen Gesundheitswesen stärker zu etablieren. „In den USA ist dieses Verfahren weit verbreitet, in Europa setzt man wegen der unvermeidlichen Strahlendosis eher auf endoskopische Untersuchungen“, führt Kist aus. „Mit Endoskopen kann man allerdings den Schluckvorgang selbst nicht beobachten und fokussiert sich auf einen Vorher-Nachher-Vergleich.“ Idealerweise führt die Zuverlässigkeit des neuen KI-gestützten Tools dazu, dass Röntgenbreischluckvideos mit weniger Bildern pro Sekunde auskommen oder im Therapieverlauf seltener gemacht werden müssen – beides würde eine signifikante Verringerung der Strahlenbelastung bedeuten.
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