KI enthüllt Geheimnisse menschlicher Kognition11. September 2024 Foto: © Viacheslav Yakobchuk – stock.adobe.com Wissenschaftler der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) haben mittels Künstlicher Intelligenz (KI) tiefe Einblicke in die Arbeitsweise unseres Gehirns gewonnen, die unser Verständnis von menschlichem Denken und Fühlen möglicherweise grundlegend verändern könnten. Wie geht ein Satz weiter? Was sehe ich als nächstes? Wie verändert sich die Umwelt, wenn ich dies und was passiert mit meinem Körper, wenn ich jenes tue? Das menschliche Gehirn ist ständig auf allen Komplexitäts- und Abstraktionsebenen damit beschäftigt, vorherzusagen, was als nächstes passiert. Diese sogenannte prädiktive Kodierung gilt als eine der Hauptaufgaben des menschlichen Superorgans, um adaptives Verhalten zu ermöglichen und gut in der Umwelt zurechtzukommen. Dr. Patrick Krauss und Dr. Achim Schilling von der Cognitive Computational Neuroscience Group am FAU-Lehrstuhl für Informatik 5 (Mustererkennung) konnten in einer Studie diese in der Hirnforschung weit verbreitete Hypothese unterstreichen und darüber hinaus um neue Erkenntnisse ergänzen. Zusammenarbeit mit dem Epilepsie-Zentrum des UK Erlangen Dr. Patrick Krauss (Quelle: Uniklinikum Erlangen) Die beiden Physiker und Neurowissenschaftler haben die Spontanaktivität des menschlichen Gehirns analysiert – mittels Auto-Encoder, einer fortschrittlichen Form Künstlicher Intelligenz, die es ermöglicht, Muster und Verbindungen in den komplexen Datenmengen, die unser Gehirn erzeugt, zu erkennen, die mit traditionelleren Methoden unerreichbar waren. Möglich gemacht hat dies eine Zusammenarbeit mit Forschenden vom Epilepsie-Zentrum des Uniklinikums Erlangen. Dort bekommen Epilepsiepatientinnen und -patienten einige Tage vor der operativen Entfernung des Epilepsieherds Elektroden ins Gehirn implantiert. Mit den dabei gewonnenen, besonders raren und damit wertvollen Daten machten die Forschenden eine Entdeckung, die ihren Einschätzungen zufolge zu zukunftsweisenden Ergebnissen geführt hat: Bestimmte spontane Aktivitäten in unserem Gehirn, die sogenannten lokalen Feldpotenziale (LFPs), könnten entscheidende Hinweise darauf geben, wie unser Gehirn arbeitet. Diese spontanen Signale scheinen eine wichtige Rolle dabei zu spielen, wie das Gehirn Informationen verarbeitet, selbst wenn gerade keine äußeren Reize vorliegen. Neue Wege für die Forschung „In unserer Studie haben wir festgestellt, dass unser Gehirn ständig aktive Zustände durchläuft, die durch diese LFPs definiert werden. Es ist, als ob das Gehirn ständig verschiedene Möglichkeiten durchspielt, was als nächstes passieren könnte, auch wenn wir gerade nichts Bestimmtes tun oder wahrnehmen und keine äußeren Reize bekommen“, betont Krauss. „Außerdem haben wir entdeckt, dass die Form dieser LFPs uns zeigen kann, in welche Richtung die Signale im Gehirn fließen. Dies könnte wichtige Einblicke geben, wie Gedanken und Empfindungen in unserem Kopf weitergeleitet werden“, ergänzt Schilling. Dr. Achim Schilling (Quelle: Schilling) Erkenntnisse, die nicht nur neue Wege für die Forschung eröffnen, sondern auch zu besseren Diagnose- und Behandlungsmethoden für Gehirnerkrankungen führen könnten. Denn die KI-Methoden lassen sich auch auf normale EEG- oder MEG-Messungen anwenden. „Das Wissen darüber, was das Gehirn normalerweise im Ruhezustand macht, lässt sich für diagnostische Zwecke nutzbar machen. Wenn wir immer besser verstehen, wie das Gehirn funktioniert und normalerweise arbeitet, führt das zu zielgenaueren Diagnose- und Behandlungsmethoden bei neurologischen Erkrankungen“, unterstreicht Schilling. „Nimmt das Gehirn beispielweise Zustände ein, die nicht äußeren Reizen entsprechen, kann das ein Hinweis auf eine krankhafte Veränderung sein.“ Fortschreitende Verschmelzung von Technologie und Hirnforschung Während für solche Auswertungen die KI als Werkzeug genutzt wird, können die Studienergebnisse der beiden FAU-Wissenschaftler aber umgekehrt auch dabei helfen, die KI selbst weiterzuentwickeln. Das langfristige Ziel: eine neurowissenschaftlich inspirierte KI, die ebenfalls in der Lage ist, kontinuierlich Vorhersagen zu treffen, auch wenn sie gerade keinen Input verarbeiten muss. „Gerade bei KI-Systemen, die in Fahrzeugen verbaut sind, kann das beispielsweise in puncto Sicherheit sehr sinnvoll sein“, ist Schilling überzeugt. Und Krauss ergänzt: „Auch wenn wenig Verkehr ist und das Auto nur geradeaus auf der Autobahn fährt, wäre es gut, wenn die KI im Hintergrund bereits durchspielt, welche Verkehrsereignisse eintreten könnten, auf die sie potenziell reagieren muss.“ Ihre Studie zeige damit, dass die synergetische Verbindung zwischen KI und Hirnforschung die Grenzen dessen, was über kognitive Prozesse und Gehirnfunktionen bekannt ist, erweitern und letztendlich zu innovativen neuen Ansätzen in der medizinischen Diagnose und Therapie führen kann, sind die Forschenden überzeugt. Die fortschreitende Verschmelzung von Technologie und Hirnforschung verdeutliche zudem, wie entscheidend interdisziplinäre Ansätze für die Entschlüsselung der komplexesten Systeme der Natur sind, zu denen insbesondere das menschliche Gehirn zählt.
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