KI, Robotik, Register: Aktuelle Entwicklungen in der Wirbelsäulenchirurgie

DWG- und Kongresspräsident Ralph Kothe (Foto: privat)

Die Anwendung Künstlicher Intelligenz (KI) in Klinik und Forschung ist das übergeordnete Motto der 19. Jahrestagung (27.-29.11.24) der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft (DWG) in Hamburg. Der Gastgeber der Jahrestagung und amtierende DWG-Präsident im Interview.

PD Dr. Ralph Kothe, Chefarzt der Klinik für Spinale Chirurgie der Schön Klinik Hamburg Eilbek bilanziert im Folgenden aktuelle Entwicklungen in der Wirbelsäulenchirurgie.

Herr Dr. Kothe, Beschwerden im unteren Rücken sind sehr häufig. Diese Fehl- oder Überbelastungen führen oft zu Bandscheibenvorfall oder Hexenschuss. Was gibt es Neues zu diesem Thema?
Kothe: Chronische Rückenschmerzen sind eines der Hauptthemen der Jahrestagung in Hamburg. Wir haben dazu drei renommierte internationale Experten aus Kanada, den USA und Australien eingeladen. In den Vorträgen geht es zum einen um den Zusammenhang zwischen verschleißbedingten Veränderungen an der Wirbelsäule und denen an den großen Gelenken. Und zum anderen um neue Forschungs­ansätze zum besseren Verständnis der Schmerzentstehung und damit auch den geeigneten Behandlungsverfahren. Ein wesentlicher Faktor ist dabei die genaue Ursache des Schmerzes. Hier liefern uns die bildgebenden Verfahren, wie Röntgen oder MRT, oft nur unzureichende Hinweise. Schmerzzustände können sich zentral im Kopf verselbstständigen und sind dann unabhängig von der eigentlichen Struktur am Rücken. Eine operative Behandlung zur Korrektur dieser strukturellen Veränderungen an der Wirbelsäule macht dann natürlich keinen Sinn mehr.

Seit Jahren gibt es den Vorwurf, dass in der Wirbelsäulenchirurgie zu viel operiert wird. Reagiert die DWG auch darauf mit ihrem Register-Update?
Kothe: Ein Hauptproblem dieser Diskussion um eine starke Zunahme von Operationen an der Wirbelsäule ist die Tatsache, dass es keinerlei verlässliche Daten über die genaue Anzahl von operativen Eingriffen und die Indikationen zu diesen Eingriffen gibt. Es ist deshalb dringend notwendig, dass ein nationales Register hier eine vernünftige Datenlage ermöglicht. Die DWG hat sich deshalb aus eigenen Mitteln dazu entschlossen, ein solches Register aufzubauen. Im Juni dieses Jahres haben wir mit den ersten Erfassungen in zehn ausgewählten Pilotkliniken in Deutschland begonnen. Aktuell sind wir bei circa 150 Krankenhäusern mit dem Aufbau der Registerstruktur beschäftigt. In der Kürze der Zeit ist das ein sehr gutes Ergebnis. Ich hoffe, dass wir damit in den nächsten Jahren eine vernünftige Datengrundlage haben werden, die neben dem Krankheitsbild auch das genaue operative Vorgehen, Komplikationen, sowie die klinischen Ergebnisse erfasst.

Welchen Einfluss wird die Krankenhausreform auf Ihr Fachgebiet nehmen?
Kothe: Diese Frage lässt sich momentan noch nicht beantworten. Hierzu fehlen uns zu viele Informationen über das geplante Vorgehen und die daraus resultierenden Konsequenzen. Die Umsetzung in den einzelnen Bundesländern ist weiter unklar. Wir als Fachgesellschaft werden dazu von der Politik auch nicht gehört. Aus Anfragen von Mitgliedern weiß ich jedoch, dass nur allein durch die Ankündigung einer Krankenhausreform viele Krankenhausträger Investitionen in operative Technik oder andere Verbesserung der Infrastruktur erstmal zurückgestellt haben, weil befürchtet wird, dass einzelne Abteilungen geschlossen werden, da sie die geforderten Mindestmengen nicht erreichen.

Beim Kongress wird es eine Podiumsdiskussion zu Vorstellungen und Ansprüchen der Generation Z geben. Widersprechen sich deren Einstellung und die Herausforderungen des OP-Alltags?
Kothe: Die Integration der jungen Kollegen ist eine der größten Herausforderung in der operativen Medizin. Das betrifft natürlich auch die Wirbelsäulenchirurgie. Wir brauchen neue Konzepte, um die Attraktivität unseres Faches zu erhöhen. Es gibt etwa Überlegungen, die Facharztausbildung zu verkürzen und eine frühe Spezialisierung zu ermöglichen. Operative Eingriffe an der Wirbelsäule haben häufig eine hohe Komplexität, sodass eine entsprechend zeitaufwendige opera­tive Ausbildung notwendig ist. Die Vorstellung der jungen Generation zu einer ausgewogenen Work-Life-Balance mit verschiedensten Modellen der Teilzeitarbeit, auch schon in der Facharztausbildung, passen deshalb oft nicht zu den Vorgaben der ärztlichen Weiterbildung und den auch ökonomisch geprägten Bedingungen in den Krankenhäusern. In manchen Punkten kann ich die jungen Kolleginnen und Kollegen durchaus verstehen. Die ärztliche Weiterbildung wird in dem aktuellen Reformgesetz nicht berücksichtigt.

Die Jahrestagung der DWG setzt in diesem Jahr einen Schwerpunkt auf KI. Mit Prof. Haddadin konnte ein führender Experte als Referent gewonnen werden. Welchen Stellenwert haben KI und Robotik derzeit und wo geht die Reise hin?
Kothe: Die KI hat momentan noch keinen wesentlichen Einfluss auf die Behandlung unserer Patienten mit Erkrankungen der Wirbelsäule. Mal ausgenommen von der radiologischen Diagnostik. Anders ist dies auf dem Gebiet der Robotik. Hier ist es gerade in den letzten Jahren zu einer zunehmenden Verbreitung, vor allem in den USA, aber auch zuletzt in Deutschland, gekommen. Die genauen Vo­rteile und die Wertigkeit dieser oftmals sehr teuren Technologie lassen sich noch nicht abschätzen. Zumal der Einsatz in Deutschland in unserem aktuellen Vergütungssystem nicht refinanziert wird. Neben Prof. ­Haddadin haben wir in der Sitzung deshalb auch eine ­Pro-Kontra-Diskussion zum Thema Robotik und Navigation an der ­Wirbelsäule geplant.

Das Interview führte Romy Held (Conventus Congressmanagement).