Kinderblindheit in Afrika: DOG appelliert für Neujustierung der Entwicklungshilfe

Das Positionspapier der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina illustriert am Beispiel der Kinderblindheit in Afrika wie wichtig eine stärkere Vernetzung von Prävention und Kuration ist. Katarakt bei Kindern ist die häufigste Erblindungsursache in Afrika und es gibt keine Prävention. Daten aus Kinshasa belegen, das mehr als die Hälfte der an Katarakt operierten Kinder anschließend eine Regelschule besuchen konnten. Symbolbild.© Riccardo Niels Mayer-stock.adobe.com

Das von der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina vorgelegte Diskussionspapier zur Kinderblindheit wird von der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) ausdrücklich befürwortet.

Deutsche Entwicklungszusammenarbeit und internationale Gesundheitspolitik haben in der Vergangenheit einen Schwerpunkt auf präventive Maßnahmen wie Impfungen gelegt. Dabei ist die Kuration in den Hintergrund getreten.

Neujustierung deutscher Entwicklungszusammenarbeit und globaler Gesundheitspolitik

In einem Positionspapier der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina plädieren nun namhafte Augenärzte und Wissenschaftler aus dem Public-Health-Bereich dafür, Prävention und Kuration stärker zu vernetzen (wir berichteten). Wie das gelingen kann, legen sie am Beispiel der Kinderblindheit in Afrika und bestehender Partnerschaften zwischen deutschen und afrikanischen Augenkliniken dar. Das ist ein Konzept, das die DOG ausdrücklich unterstützt. „Internationale Kooperation auch in der Augenheilkunde ist sehr wichtig und effizient“, sagt DOG-Generalsekretär Prof. Claus Cursiefen.  

Die als Leopoldina-Diskussionspapier bezeichnete Veröffentlichung möchte Impulse für eine Neujustierung deutscher Entwicklungszusammenarbeit und globaler Gesundheitspolitik geben, wie es bereits im Titel heißt. „Gerade im Bereich der Ophthalmologie zeigt sich, dass Prävention und Kuration als Glieder einer gemeinsamen medizinischen Versorgungskette anzusehen sind“, erklärt Leopoldina- und DOG-Mitglied Prof. Rudolf F. Guthoff.

Guthoff hatte bis zu seiner Emeritierung den Lehrstuhl für Augenheilkunde an der Universität Rostock inne und hat das Positionspapier mit verfasst, das kürzlich veröffentlicht worden ist. So sei Sekundärprävention – etwa die Identifizierung von Kindern mit Augenveränderungen – nur dann sinnvoll, wenn sich auch eine Behandlung anschließe.

Nicht alle Krankheitsbilder seien zudem präventabel. Außerdem ließen sich viele bereits eingetretene Erkrankungen mit relativ geringem Aufwand erfolgreich therapieren. „Das aus den 1980er Jahren stammende und weit verbreitete Vorurteil, wonach Prävention für jede Erkrankung (kosten-)effektiver sei als eine kurative Behandlung, lässt sich daher nicht aufrechterhalten“, betont Guthoff.

Grauer Star ist die häufigste Erblindungsursache in Afrika

Wie wichtig ein Neben- und Miteinander von Prävention und Kuration ist, illustriert das Leopoldina-Papier am Beispiel der Kinderblindheit in Afrika. Als großer Erfolg der Prävention muss die nahezu vollständige Elimination der Hornhautblindheit gelten. Diese sei hauptsächlich auf die Versorgung mit Vitamin A und konsequente Masernimpfungen zurückzuführen.

„Für die derzeit häufigste Erblindungsursache auf dem Kontinent, den grauen Star, gibt es jedoch keine Prophylaxe. Er lässt sich nur chirurgisch behandeln“, so Guthoff. Er arbeitet bereits seit 25 Jahren mit einer Augenklinik in Kinshasa eng zusammen und bildet dort sowie in Rostock kongolesische Ärztinnen und Ärzte aus. Jedes Jahr kommen weltweit 20.000 bis 40.000 Kinder mit angeborenem Katarakt zur Welt. Unbehandelt entwickelt sich ihr Sehsystem nicht richtig und sie erblinden irreversibel.

Mehr als die Hälfte der operierten Kinder schafft die Regelschule

Die heute als Routineeingriff geltende Katarakt-Operation kann Leben verändern und retten, wie Daten aus Kinshasa belegen. So konnte mehr als die Hälfte der dort operierten Kinder anschließend eine Regelschule besuchen. Die übrigen konnten in einer Sonderschule für Kinder mit Sehschwäche beschult und damit ebenfalls auf ein produktives Erwachsenenleben vorbereitet werden.

„Bereits eine rein ökonomische Betrachtung zeigt daher, dass die Intervention auf lange Sicht immer kostensparend ist“, betont Guthoff. Moralisch sei es ohnehin geboten, den vergleichsweise kleinen Eingriff vorzunehmen. So könnte den betroffenen Kindern eine neue Lebensperspektive eröffnet werden.

Katarakt-Operation verlängert die Lebenserwartung

Nicht zuletzt wirkt die Operation sich auch auf die Lebenserwartung aus: In Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen sterben bis zu 60 Prozent der Kinder im ersten Jahr nach der Erblindung. Für das Projekt in Kinshasa gehen Schätzungen davon aus, dass durch die Katarakt-Operation die Lebenserwartung von zuvor 45 Jahren, auf die für Augengesunde geltenden 63 Jahre ansteigt. „Hier zahlt sich jeder in die Kuration investierte Euro vielfach aus“, so der DOG-Experte.

Guthoff ruft mit seinen Mitautoren die Bundesregierung dazu auf, bei der Fortschreibung der Strategie zur globalen Gesundheit auf eine ausgewogenere Balance zwischen Prävention und Kuration zu achten. Dabei sollten zudem gezielt kurative Strukturen gestärkt werden.

Klinikpartnerschaften sind sehr effizient

Wie Gelder der Entwicklungshilfe effizient eingesetzt werden können, zeigen die im Diskussionspapier vorgestellten ophthalmologischen Partnerschaften zwischen Rostock und Kinshasa und zwischen der Augenklinik Tübingen und der Kamuzu University in Blantyre, Malawi, die ebenfalls bereits seit 20 Jahren besteht.

„Durch solche institutionalisierten Partnerschaften wird die örtliche Versorgung beispielsweise durch augenärztliche Weiterbildung gestärkt und darauf hingearbeitet, dass die Einrichtungen letztlich ohne externe Finanzierung betrieben werden können“, erläutert Guthoff. Die bisherigen Erfahrungen zeigten, dass diese Entwicklungszusammenarbeit eine Verankerung mit örtlichen Strukturen bedürfe, um nachhaltig wirken zu können. „Dafür wäre es sehr hilfreich, wenn das deutsche Entwicklungshilfeministerium solchen Kurationsprojekten direkt Gelder zuschreibt“, so der DOG-Experte.

Forderung: Abbau von Bürokratie, Aufbau kurativer Strukturen

Bislang werden solche Partnerschaften hauptsächlich aus privaten Spenden und Stiftungsgeldern finanziert. Auch hier wünschen sich die Autoren mehr politisches Engagement, sowohl in finanzieller Hinsicht als auch beim Abbau bürokratischer Hürden. „So können auf effiziente Weise kurative Strukturen etabliert und mit präventiven Ansätzen vor Ort verzahnt werden – ein Modell, das medizinisch notwendig, sozial geboten und ökonomisch tragfähig ist“, resümiert Guthoff.