Kongenitale Katarakt: Irreversible Veränderungen der Sehrinde durch frühkindliche Erfahrungen31. Mai 2022 Kongenitale Katarakt. Foto.©BVA/ Busse Eine durch einschneidende frühkindliche Ereignisse veränderte Struktur der visuellen Areale der Hirnrinde regeneriert sich nicht vollständig. Zu diesem Schluss kommt die Studie eines Forschungsteams der Universität Hamburg unter der Leitung der Psychologin und Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. Brigitte Röder. Neurowissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass ungünstige Entwicklungen und Erfahrungen in den ersten Lebensmonaten und ‑jahren, zum Beispiel Blindheit oder Armut, die strukturelle Entwicklung des menschlichen Gehirns beeinträchtigen können. Nicht bekannt war aber bislang, ob sich die Hirnstruktur wieder erholen kann, wenn die Ursachen der Beeinträchtigungen beseitigt werden. Die im Fachjournal „Cerebral Cortex“ veröffentlichte neue Forschungsarbeit kommt in Bezug auf die Entwicklung der visuellen Areale nun zu der Erkenntnis, dass die Gehirnstruktur nachhaltig beeinträchtigt bleibt.3-D-Modelle der GehirneFür die Studie hat ein Team des Arbeitsbereiches Biologische Psychologie und Neuropsychologie in Kooperation mit dem LV Prasad Eye Institute in Hyderabad, Indien, Menschen mit beidseitiger Katarakt untersucht. Die Betroffenen waren teilweise mehrere Jahre nach der Geburt blind, bevor ihr Augenlicht durch eine Operation wiederhergestellt werden konnte. Die Teilnehmenden waren zum Zeitpunkt der Studie zwischen sechs und 36 Jahre alt. Mithilfe eines Kernspintomographen wurden Bilder des Gehirns aufgenommen, aus denen anschließend für jede Person ein 3-D‑Abbild des Gehirns rekonstruiert wurde. Anhand dieses Modells konnten die Forschenden messen, wie dick und wie groß die Oberfläche der Hirnrinde in den visuellen Arealen des Gehirns war.Die Hirnrinde ist die äußerste, mehrfach gefaltete Schicht des Gehirns, die mehrere Millimeter dick ist und hauptsächlich aus Zellkörpern von Nervenzellen besteht – der sogenannten grauen Substanz. Durch ihre mehrfache Faltung besitzt die Hirnrinde eine große Oberfläche und bietet viel Platz für Milliarden von Nervenzellkörpern, die für die Verarbeitung sensorischer Information und damit für die Entstehung von Wahrnehmung zuständig sind. In der normalen Entwicklung wird die Hirnrinde ab einem Alter von ein bis zwei Jahren dünner, während ihre Oberfläche bis in die Pubertät zunimmt. Beide strukturellen Veränderungen sind wichtig für die vollständige Reifung neuronaler Netzwerke.Veränderungen der SehrindeDas Forschungsteam fand heraus, dass bei den vormals blinden Menschen die Sehrinde sowohl eine kleinere Oberfläche besaß als auch dicker war. Ihre visuelle Hirnrinde ähnelte mehr der von Menschen, die seit ihrer Geburt dauerhaft blind waren als der von Geburt an sehenden Menschen. Außerdem sagte das Ausmaß der Veränderungen in den visuellen Arealen vorher, wie gut die Studienteilnehmer nach der Entfernung der Katarakt sehen lernten.„Die Studie zeigt, dass frühkindliche Erfahrungen die Hirnstruktur langanhaltend und offenbar nicht reversibel verändern können“, erklärt Dr. Cordula Hölig, Autorin der Studie und Wissenschaftlerin an der Universität Hamburg. „Auch wenn wir hier ausschließlich den Einfluss von fehlendem Sehen untersucht haben, vermuten wir, dass auch andere extreme frühkindliche Erfahrungen wie sie zum Beispiel bei Armut oder Vernachlässigung auftreten können, die Hirnstruktur irreversibel schädigen können.“ Originalpublikation:Hölig C et al. Sight restoration in congenitally blind humans does not restore visual brain structure. Cerebral Cortex 2022. doi: http://10.1093/cercor/bhac197
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