Kongress zur Versorgungsforschung: Fachkräftemangel im Fokus

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Auf dem Zi-Kongress „Versorgungsforschung 2024“ suchten Experten nach Lösungen für die Fachkräftemangel in Arztpraxen. Vorschläge waren unter anderem, ärztliche Delegation und neue Versorgungsmodelle auszuweiten.

Längst ist der Fachkräftemangel auch im Alltag der in Deutschland niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte angekommen. Obwohl in Praxen flächendeckend medizinische Fachangestellte (MFA) ausbildet werden, wird dort händeringend nach qualifiziertem nicht-ärztlichem Personal gesucht – immer häufiger ohne Erfolg. Schlimmer noch: Von den aktuell 330.000 bei Niedergelassenen angestellten MFA wechseln immer mehr in den stationären Versorgungsbereich. Der Grund: Eine oftmals bessere Vergütung, die die Kliniken ihren Mitarbeitenden aufgrund günstigerer Finanzierungsgrundlagen anbieten können sowie weniger Bürokratie und IT-Dysfunktionalität.

1,8 Millionen offene Stellen bis 2025

Aber auch die die Praxisinhaberinnen und -inhaber selbst werden immer mehr zu einer raren Ressource auf dem hart umkämpften Markt der ärztlichen Gesundheitsversorgung. Insbesondere zwei Gründe sind hierfür maßgeblich: Der allmähliche Renteneintritt der geburtenstarken „Baby-Boomer“-Jahrgänge 1955-1969 sowie der ungebrochene Trend zur Teilzeitarbeit. Dieser führt zu einem stetigen Rückgang der verfügbaren Arbeitszeit. Hohe Renteneintrittszahlen, sinkende Versorgungsleistungen je Ärztin/Arzt und die weiter dynamisch steigende Inanspruchnahme einer immer älter werdenden Bevölkerung – diese drei Faktoren führen zu großen Herausforderungen, die medizinische Versorgung in Zukunft abzusichern. Fazit: Aktuelle Untersuchungen gehen davon aus, dass im deutschen Gesundheitswesen bis 2035 knapp 1,8 Millionen offene Stellen nicht mehr besetzt werden können, weil qualifizierte Arbeitskräfte fehlen.

„Wir stehen in der ambulanten ärztlichen Versorgung vor einer Zeitenwende. Aus dem vermeintlichen personellen Überangebot ist eine drohende medizinische Unterversorgung geworden“, warnte der Vorstandsvorsitzende des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi), Dr. Dominik von Stillfried, zur Eröffnung des zweitägigen Zi-Congresses „Versorgungsforschung 2024“ in Berlin. Es sei eine Tatsache, dass die tragende Säule der medizinischen Versorgung in Deutschland personell deutlich dünner werden würde. Kostensprünge und Bürokratielast zehren die Praxen zusätzlich aus. Handfeste wirtschaftliche Nachteile gegenüber den Kliniken demotivieren die Praxisinhaberinnen und Praxisinhaber zunehmend, eine dysfunktionale IT-Infrastruktur tue „ihr Übriges“, so von Stillfried weiter. Er betonte: „Was die vertragsärztliche Versorgung jetzt braucht, ist kein Weiter so, sondern einen Paradigmenwechsel: Mehr Förderung, weniger Kontrolle.“

Rare Ressource Arztzeit effizienter einsetzen

Über Delegation und Kooperation könnten Praxen die rare Ressource Arztzeit noch effizienter für die Behandlung der Patientinnen und Patienten einsetzen und damit dem steigenden Versorgungsbedarf gerecht werden, so Dr. Volker Schrage, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe. Das Modell der Zukunft sei das der Teampraxis, in der sich unterschiedliche Gesundheitsberufe entsprechend ihrer Kompetenzen und Erfahrungen optimal ergänzen.

Dies könne allerdings nur dann effizient gelingen, wenn neue Berufsbilder an die Praxen angebunden würden, anstatt als eigenständige Leistungserbringer mit neuen Schnittstellen zu bestehenden Versorgungsstrukturen eingeführt zu werden, erklärte Schrage. Eine zentrale Stellung nehme hierbei die neue Berufsgruppe des Physician Assistent ein, zu dem sich immer mehr MFA in praxisnahen Studiengängen für einen deutlich erweiterten Delegationsrahmen qualifizierten. Diese Perspektiven leisteten einen Beitrag dazu, nichtärztliche Fachkräfte im Beruf und in ihren jeweiligen Regionen zu halten. Deshalb sei die Zusatzqualifikation nichtärztlicher Praxismitarbeitender ein hochrelevantes Thema für die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung, machte Schrage deutlich.

Digitalisierung: Überragende Bedeutung für die medizinische Versorgung

In einer Diskussionsrunde zu den Perspektiven der Gesundheitsversorgung bekräftigten die Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen, Dr. Annette Rommel und die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Prof. Henriette Neumeyer, die überragende Bedeutung der Digitalisierung für die medizinische Versorgung von morgen. Digitalisierung könne einen wesentlichen Beitrag leisten, um den Fachkräftemangel zu entschärfen. Es sei jedoch wichtig, dass die Digitalisierung in die Arbeitsprozesse integriert und nicht als zusätzliche Belastung wahrgenommen werde. Tatsächliche Entlastung durch Digitalisierung werde erlebbar, wenn diese Arbeitsprozesse erleichtert und mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten schafft. Mit der digitalen Abbildung der bisherigen Überbürokratie sei allerdings nichts gewonnen. Das Gesundheitswesen müsse daher vor allem digital konkurrenzfähig gemacht werden, um im „war of talents“ mit anderen Branchen bestehen zu können.