Kongresseröffnung DKOU 2024: „Zukunft wollen – Zukunft machen“ und von Oliver Kahn lernen

Talkrunde mit Tobias Vogel, Markus Scheibel, Andreas Seekamp, Oliver Kahn und Henning Quanz, v.l. (Foto: hr)

Bis auf den letzten Platz gefüllt war der Festsaal zur abendlichen offiziellen Kongress-Eröffnung. Der Grund: Neben den drei Kongresspräsidenten lockte Fußballstar Oliver Kahn als Redner.

„Ob es an uns liegt oder an unserem Gastredner, werden wir ja noch sehen“, begrüßte augenzwinkernd der Kongresspräsident DGOOC, Prof. Markus Scheibel (Berlin/Zürich), die Anwesenden im Anblick des bis auf den letzten Sitz gefüllten Festsaals, in dem viele nur noch stehend Platz fanden. Und auch der Kongresspräsident DGU/DGOU, Prof. Dr. Andreas Seekamp (Kiel), freute sich über den großen Zuspruch zum Kongress, ähnlich einem Klassentreffen „bei dem jedes Jahr alle wieder gerne nach Berlin kommen“. Das Kongressmotto „Zukunft wollen. Zukunft machen“ verdeutliche, „dass man einfach mal Dinge anfassen muss, um dann zu schauen, was daraus wird“, erläuterte Seekamp und Scheibel ergänzte, dass das Motto als Kompromiss in der Diskussion darüber entstanden sei, wie die Zukunft im Fach zu definieren ist. „Es sind ja bereits schon so viele Konzepte dafür vorhanden. Irgendwann muss das Diskutieren aufhören und man muss endlich einmal was machen“, betonte auch der dritte im Bunde, BVOU-Kongresspräsident Dr. Tobias Vogel (München).

Zukunft auf den Punkt gebracht: „Zuversicht, Gesundheit, Nachwuchs“

Gemeinsam mit dem Moderator Henning Quanz (Köln) arbeiteten die Kongresspräsidenten viele der Zukunftsschwerpunkte für das Fach O und U heraus: eine gute Patientenversorgung bei gleichbleibender und sogar verbesserter Qualität; die Umgestaltung der Fachgesellschaft; die Nachwuchsarbeit mit einem positiven Image des Faches zu verknüpfen, gerade auch unter Einbeziehung der Fachfrauen; das Spardiktat in der Medizin zu durchbrechen, um den Standard der Versorgung auch in Wohnortnähe zu halten; die stärkerer Einbindung der Fachgesellschaften und insbesondere der Bevölkerung in die Entscheidungsfindung der Gesundheitspolitik, die Umsetzung von einheitlichen guten Digitalisierungsstandards; der Anschluss des Faches zu Anwendungen von Robotik und Künstlicher Intelligenz (80 Prozent aller Arbeiten in O&U zu diesem Themenkomplex sind erst in den letzten drei Jahren veröffentlicht worden!).

Die Frage des Moderators zum Blick in die Glaskugel für das gar nicht mehr so weit entfernte Jahr 2030 beantwortete BVOU-Kongresspräsident Vogel mit der Hoffnung, „dass das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz im Bundesrat hängen bleibt und die Sektorengrenzen in beide Richtungen durchlässiger werden.“ Auch der Zuwachs an Digitalisierung und an Fachpersonal sei dann hoffentlich erreicht. Scheibel gab sich ebenfalls optimistisch bis dahin „das Weiterbildungsniveau anzuheben und die Wege der Patienten mittels KI und Digitalisierung zu vereinfachen“. Seekamp wollte das Versprechen an die Patienten eingehalten sehen, „dass sich auch 2030 an der Versorgung der Patienten nichts ändern wird“. Nach der Aufforderung von Quanz an die Kongresspräsidenten, die Zukunft mit nur einem Schlagwort zu versehen antworteten diese mit: „Zuversicht (Vogel), Gesundheit (Scheibel) und Nachwuchs (Seekamp).“

Extrem resilient: Titan Oliver Kahn

Torwartlegende Oliver Kahn kennt Verletzungen an Knochen, Sehnen und Gelenken aus eigener Erfahrung und war daher eingeladen zur Talkrunde mit den Kongresspräsidenten zum Thema „Mentale Stärke und Resilienz in Extremsituationen“, um Einblicke in seine Karriere sowie seine Erfahrungen mit Medizin und Gesundheit geben. „Hochleistungssport fordert seinen Tribut“ eröffnete Kahn den Talk und fragte das Publikum: „Haben Sie etwas gemerkt, als ich hier hinauf auf die Bühne gekommen bin?“ Mit „Titan“ habe er mittlerweile nicht nur sportlich Erfahrung gemacht, sondern auch durch seine Hüfte, die sein Problem sei. Den ersten Teil des Hüftersatzes habe er schon, der zweite stehe eventuell an.

Druck auf beiden Seiten

Der Druck auf Hochleistungssportler ist Kahn zufolge hoch, denn Verletzungen bedrohten die sportliche Existenz. Doch im Umkehrschluss laste auch auf die (Mannschafts)Ärzte der Sportler ein enormer Druck, bestätigte Kahn, da Management und Trainer die Sportler einfach nur auf dem Platz sehen wollten. „Die kennen keine Muskelverletzung. Der Spieler muss auf den Platz.“ Wenn nicht, werde schonmal die ganze medizinische Abteilung infrage gestellt. „Wenn sich ein Spitzensportler verletzt, steht das Telefon nicht mehr still“, berichtete Scheibel und Vogel bestätigte: „In dieser Situation muss der Arzt einfach performen.“

Resilienz unter Druck entwickeln

Kahn stellte klar, dass der Druck eines Spitzensportlers nur schlecht mit dem Druck des Arztes im OP vergleichbar ist. Gemeinsam sei aber, dass Erfahrung dabei helfe, mit Druck umzugehen. Ihm habe etwa geholfen, bestimmte Routinen zu entwickeln, „um sich im Vorfeld bereits auf alle Eventualitäten vorzubereiten“. Dies müsse aber jeder für sich selbst herausfinden, führte Kahn mit einer Anekdote weiter aus: „Wenn ich mit den südamerikanischen Spielern im Mannschaftsbus saß und mich auf meine Routinen konzentrierte, lachten mich diese deswegen aus und haben einfach gesungen. „So kann man offenbar auch erfolgreiche mit Druck umgehen“, lachte Kahn. Dies womöglich auf die Ärzte vor dem OP zu übertragen, führte bei den im Festsaal anwesenden Mitarbeitern von Seekamp zu Lachern und er riet eher dazu „vor schweren OPs nicht nur das ganze Komplizierte zu sehen, sondern sich auf die Einzelschritte zu konzentrieren“.

Teambuilding: Von Alphatieren bis zu den Schwächeren im Team

Ausstrahlung und Körpersprache ist laut Kahn das, was seiner Generation als wesentlicher Teilaspekt des Teams anerzogen wurde. „Wir wurden mit Muskeltrainings zu Bodybuildern im Tor – egal, ob es was gebracht hat.“ Heut sei für ihn klar, dass man, um eine hohe Performance auf dem Platz zu schaffen, eine Atmosphäre 100prozentigen Vertrauens schaffen müsse in einer Mannschaft von so unterschiedlichen Typen. „Nur so kann jeder sein Potenzial und seine Stärken ins Team voll einbringen.“ Scheibel sah durchaus die Parallelen zur Medizin: „Wir müssen in unseren Teams ebenfalls Alphatiere und Schwächere einbinden, gerade auch in der Ausbildung.“ Nur die Ablösesummen seien nicht mit dem Sport vergleichbar: „Wir machen alles für eine gute Ausbildung und dann sind die Kollegen einfach weg, oftmals ohne ein Dankeschön“, beklagte er.

Umgang mit Niederlagen

Auf seine Gedanken zur WM-Niederlage gegen Brasilien (0:2) 2002 angesprochen, bei dem Kahn sich 20 Minuten vor Abpfiff zwei Tore mit zuvor nur insgesamt einem Gegentor in sechs Spielen im Turnier einfing und er am Spielende gebrochen am Torpfosten angelehnt auf dem Boden saß, antwortete Kahn: „Torwart sein ist schon ein Scheißjob.“ Wir er damit umgegangen sei? „Shit happens und dann geht es einfach weiter“, so Kahn. Schließlich hätten ja noch zehn weitere Spieler auf dem Platz gestanden, die einfach nur mehr Tore hätten schießen können. „Dann hätten wir gewonnen.“ Aber auch eine solche Niederlage sei sicher nicht mit einer im OP zu vergleichen, relativierte er zugleich. Vogel bestätigte, dass natürlich auch in der Medizin gelte: „Je länger die ‚Niederlage‛ her ist, desto besser kann man sie händeln.“ Wichtig sei, dass Mediziner nach wenig erfolgreichen Therapien, weiterhin die Ansprechpartner für Patienten blieben, „damit das Vertrauen in der Arzt-Patienten-Beziehung nicht verloren geht“. „Leider haben wir keine Foren, in denen wir über solche Erfahrungen sprechen können“, bedauerte er.

Zukunft Medizin, Nationaltorwart und Kahn

Auch mit dem Kongressmotto konnte Kahn „etwas anfangen“, nachdem er gefragt wurde. Denn „wir alle wollen ja Veränderungen und etwas wagen“, so seine These. Medizin mache im Spitzensport vieles möglich. Sinnbildlich sei das aufgrund eines Patellasehnenabrisses vorzeitige Aus von Marc-Andre ter Stegen als Nachfolger auf Nationaltorhüter Manuel Neuer. Ob ihm der Anschluss wieder gelinge? „Mediziner machen es meistens möglich!“. Derzeit sieht Kahn aber Oliver Baumann (TSG Hoffenheim) mit leichten Vorteilen gegenüber Alexander Nübel (VFB Stuttgart).

Und auch die Zukunft Kahns zeigt neue Wege auf durch sein Engagement in der Oliver Kahn-Stiftung, die sich dem Aufbau von sogenannten Safe-Hubs widmet. Dort sollen strukturell benachteiligte Kinder und Jugendliche mit der Kraft des Fußballs motiviert und gefördert werden. „Gerade bauen wir ein Safe-Hub nicht weit von hier in Berlin-Wedding auf, ich bin sicher das wird Gelingen“, so Kahn. Und auch die Kongresspräsidenten wollten Ihren Anteil dazu beitragen und gaben ein von Kahn vor dem DKOU-Publikum signiertes Trikot sowie Fußballhandschuhe zur Versteigerung bis zum Kongressende frei. Der Erlös gehe an die Stiftung. (hr)