„Kosten für Digitalisierung müssen bezahlt werden“

Informierten über den Digitalisierungsstand der westfälisch-lippischen Praxen: Anke Richter-Scheer (li.) und Dirk Spelmeyer. (Foto: © KVWL)

Der KVWL-Vorstand informierte am 24. Juni während einer digitalen Pressekonferenz über den Digitalisierungsstand der westfälisch-lippischen Praxen und erläuterte, welche Hürden noch zu nehmen sind. Zugleich erneuerte er die Forderung nach einem Praxiszukunftsgesetz.

Laut der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) sind die Herausforderungen im deutschen Gesundheitswesen immens: Auf der einen Seite führen gesamtgesellschaftliche Entwicklungen wie demografischer Wandel und zunehmende Morbidität zu Rekordausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV), die Krankenkassenbeiträge steigen. Auf der anderen Seite belastet eine bislang ineffiziente Patientensteuerung das System. Die Folge: Über-, Unter- und Fehlversorgung. Einer der entscheidenden Hebel, um die Probleme in den Griff zu bekommen, ist der KVWL zufolge die Digitalisierung.

„Die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen in Westfalen-Lippe stehen beim Thema Digitalisierung sicher nicht auf der Bremse, ganz im Gegenteil”, betonte Anke Richter-Scheer, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KVWL. „Schon heute sorgen digitale Tools – wenn sie störungsfrei funktionieren und sauber implementiert wurden – für eine verbesserte Behandlungsqualität. Die meisten Praxisteams arbeiten jedoch am Anschlag. Daher müssen digitalisierte Prozesse auch immer zu einer spürbaren Entlastung führen”, erläuterte Richter-Scheer weiter. Deshalb engagiere sich die KVWL beispielsweise auch als Modellregion bei der Einführung von digitalen Massenanwendungen wie dem elektronischen Rezept und der elektronischen Patientenakte, um für möglichst praxisnahe Lösungen zu sorgen.

Digitale Transformation ist an Bedingungen geknüpft

Eine zukunftsgerechte Ausstattung der Praxen mit digitalen Tools und dazugehöriger Hardware ist laut der KVWL dabei Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche digitale Transformation der Praxen. Allerdings erzeuge sie auch finanzielle und zeitliche Aufwände. Richter-Scheer: „Die Kosten für die Digitalisierung müssen bezahlt werden, sie dürfen nicht bei den Praxen hängenbleiben. Als KVWL fordern wir daher weiterhin ein Praxiszukunftsgesetz. Dieses sieht – analog zum Krankenhausbereich – unter anderem die Einführung eines Investitionsförderprogramms durch den Bund vor. Dadurch könnten die Praxen Förderanträge über die jeweilige Landes-KV stellen, um Ausstattung und Betrieb einer digitalen Praxis sicherzustellen. Dieses Thema muss die Bundesgesundheitsministerin jetzt zügig angehen.“

KVWL-Chef Spelmeyer zur Patientensteuerung: „Digitale Prozesse unverzichtbar“

Auch bei der derzeit viel diskutierten Patientensteuerung kommt man, so die KVWL, an einer nachhaltigen Digitalisierung nicht vorbei. Hausärztinnen und Hausärzte, Kinder- und Jugendmediziner sowie die grundversorgenden Fachärzte seien Vertrauenspersonen für ihre Patienten.

„Durch diese enge Arzt-Patienten-Beziehung sind sie dafür prädestiniert, eine wichtige Steuerungsfunktion in der ambulanten Regelversorgung wahrzunehmen. Sie darf aber nicht zu einer zusätzlichen Belastung der Bezugspraxen führen. Auch hier sind ausgereifte digitale Prozesse unverzichtbar, um eine möglichst effiziente Patientenbehandlung gewährleisten zu können. Zudem muss die zusätzliche Koordinierungsarbeit angemessen vergütet werden“, forderte Dr. Dirk Spelmeyer, Vorstandsvorsitzender der KVWL.

Digitale Ersteinschätzungssysteme

Als eine zentrale Säule der Patientensteuerung sieht die KVWL die Patientenhotline 116117 und die Online-Plattform 116117.de, da sie als wichtige Anlaufstellen für medizinische Anliegen, insbesondere außerhalb der Praxisöffnungszeiten dienten. Durch das Gesamtangebot der 116117 und vor allem auch durch die Nutzung digitaler Ersteinschätzungssysteme – wie das ‚Patienten-Navi‘ auf 116117.de – könne die Versorgung gezielt nach medizinischer Dringlichkeit gesteuert werden.

„Die 116117 ist der Schlüssel zu einer modernen und effizienten Patientensteuerung. Der Weg über die 116117 entlastet die Praxen und sorgt dafür, dass knapper werdende Ressourcen dort eingesetzt werden, wo sie am dringendsten gebraucht werden,“ erklärte Spelmeyer. „Dabei entlastet die strukturierte Ersteinschätzung durch qualifiziertes Personal nicht nur die Praxen der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, sie unterstützt vor allem auch die Patienten dabei, schnell und ohne Umwege ein passendes Behandlungsangebot zu bekommen.“ Derzeit werde das Angebot der 116117 jedoch ausschließlich durch die Kassenärztlichen Vereinigungen finanziert. „Wenn dieser Service ausgebaut werden soll, muss der Bund entsprechende Investitionen tätigen”, forderte er. Schließlich handele es sich um ein Angebot der Daseinsvorsorge.

Innovatives „Digi-ManagerIn“-Programm geht in die nächste Runde

Um die Praxen in Westfalen-Lippe bei der Digitalisierung bestmöglich zu unterstützen, erklärte die KVWL ihr „Digi-ManagerIn“-Programm fortzusetzen. Schon heute seien beispielsweise Online-Terminvergabe, digitale Voranamnese, Online-Rezeptbestellung oder Videosprechstunden vielerorts im Einsatz. Vor diesem Hintergrund habe man einen speziellen Fortbildungslehrgang konzipiert, der sich an nichtärztliches Praxispersonal richtet. Die angehenden Digi-Managerinnen und -Manager lernten dabei unter anderem den Digitalisierungsgrad ihrer Praxis zu analysieren und Prozesse nachhaltig und sinnvoll zu digitalisieren.

Die Fortbildung, die 2023/24 erfolgreich als Pilotprojekt gestartet sei, werde ab sofort zweimal jährlich angeboten, verkündete die KVWL. Die Bewerbungsphase für die dritte Runde sei erst vor wenigen Tagen gestartet. „Die Rückmeldungen aus den ersten Jahrgängen waren durchweg positiv. Die Praxisteams haben dadurch einen echten Digitalisierungsschub erhalten. Daher stand es für uns außer Frage, dieses erfolgreiche Programm weiterzuentwickeln und fortzusetzen“, so Richter-Scheer.