Krankenhaus und Klimaschutz: Nachhaltigkeit als Vorteil

Mahnt mehr Nachhaltigkeit und weniger Energieverbrauch im Gesundheitssektor an: DKOU-Kongresspräsident Dieter C. Wirtz. Foto: hr/Biermann Medizin

„Krankenhäuser produzieren einen Mülltsunami. Die Müllproduktion an deutschen Krankenhäusern ist ökologisch nicht vertretbar“, mahnt DKOU-Kongresspräsident Prof. Dieter C. Wirtz auf der zweiten Kongress-Pressekonferenz. Als Ursache sieht er eine Überregulierung und mahnt zudem zum Umdenken beim Energieverbrauch an. Wirtz sieht aber auch die Chance: „Nachhaltigkeit wird für Patienten ein Entscheidungskriterium bei der Krankenhauswahl.“

Auf den Gesundheitssektor entfallen weltweit 4,5 Prozent des gesamten Emissionsaufkommens. Dies entspricht dem globalen Kohlendioxidausstoß des Luft- und Schifffahrtsverkehrs zusammen. In Deutschland liegt dieser Wert bei etwa fünf Prozent, in den USA sogar bei zehn Prozent. Der Kohlendioxidausstoß zusammen mit dem gestiegenen Müllaufkommen, das vor allem im OP durch komplexes Equipment, Sterilisationsprozeduren und hohe Hygieneanforderungen entsteht, alarmieren Wirtz. Er fordert die Politik auf, die gesetzlichen Regularien, wie Implantate und Instrumente anzuwenden sind, den ökologischen Herausforderungen umgehend anzupassen.

Grundsätzlich erwartet der Chefarzt ein Umdenken im Gesundheitswesen: „Krankenhäuser müssen sich zur Energie- und Abfallminimierung mehr in Richtung Ressourcenreduktion, Wiederverwendung und mehr Recycling orientieren. Auch die Politik ist hier gefragt: Überregulierte Vorschriften müssen abgeschafft werden.“ Neben dem Handeln der Politik sieht der Chefarzt auch eine weitere Motivation, schnell und effektiv die ökologische Bilanz eines Krankenhauses zu verbessern: als Krankenhaus die Nachhaltigkeit als Marketing- und Standortvorteil zu verstehen. Außerdem könne eine geringerer Energieverbrauch Kosten einsparen.

Mülltsunami an deutschen Krankenhäusern

Wirtz betrachtet mit Sorge die Zunahme des Mülls an deutschen Krankenhäusern. Der Abfall an Krankenhäusern entstehe zu 70 Prozent im Operationssaal. Bestimmte Operationen produzierten mehr Müll als eine vierköpfige Familie in einer Woche, so Wirtz: „Bei einer aufwendigen orthopädischen Operation fallen bis zu 100 Kilogramm Müll an!“

Als ursächliches Problem macht Wirtz mehrere Komponenten für die Müllsteigerung aus und nennt Beispiele: Dokumentationsvorgaben, die eine separate Lognummer für jedes Implantat vorsehen und somit individuelle, zusätzliche Verpackungen beanspruchen; Hygienebestimmungen, die Mehrfachverpackungen pro Produkt erfordern; Einmalinstrumente, die keine Wiederverwendung ermöglichen. Nachverfolgungspflichten haben Sinn, so Wirtz, bei Produkten wie Implantaten, die im Körper bleiben, aber sind seiner Ansicht nach überflüssig bei Verbrauchsmaterialien, die anschließend entsorgt werden, aber zu weiteren zusätzlichen Verpackungen führen.

Wegwerfinstrumente, die problemlos wieder aufbereitet werden könnten, aber gesetzlich angeordnet vernichtet gehören, ärgern Wirtz, gleichzeitig macht er aber deutlich: „Selbstverständlich brauchen wir einen hohen Hygienestandard. Aber warum muss eine Schraube viermal eingepackt sein und nicht nur zweimal mit gleicher Sterilqualität.“

1.000 Liter Wasser pro Tag pro Patient sind zu viel – und es gibt Lösungen

Der Wasserverbrauch im Krankenhaus beträgt bis zu 1.000 Liter pro Tag pro Patient oder Patientin. Wirtz schlägt vor, dass Krankenhäuser beispielsweise statt auf Wasserhähne mit Ellenbogenmechanismus auf sensorgesteuerte Lösungen setzen, die, so Wirtz, pro Patient und Tag Wasser in der Größenordnung einer Wasserkiste einsparen. Auch die Sterilisation verbrauche „extrem viel“ Wasser. Die Lösung könnten hier alternative Verfahren wie etwa die Plasmasterilisation sein.

Wirtz sieht auch beim Einkauf Potenzial, wenn Krankenhäuser Instrumente bevorzugen, die nachhaltigen Produktionsgrundsätzen unterliegen. Die Wiederverwendbarkeit sieht er in diesem Zusammenhang positiv, wenn dies möglich ist. Auch bei chirurgischen Abdeckmaterialien ist auf deren Entsorgungsfähigkeit zu achten.

Ökologisch gesehen ist das Gesundheitswesen paradox

„Ökologisch gesehen ist das Gesundheitswesen paradox. Wir helfen im Krankenhaus Menschen, tragen aber auch zur Gesundheitsschädigung durch Umweltverschmutzung bei“, so der Kongresspräsident und richtet seinen Blick vor allem auf die CO2-Emissionen. Krankenhäuser stoßen innerhalb des Gesundheitswesens mit 24 Prozent die zweitmeisten Treibhausgase aus, nur die Herstellung der Medikamente liegt mit 25 Prozent davor. Wirtz erläutert weiter, dass etwa 25 Prozent der Energiekosten im Krankenhaus für Operationen anfallen. Problematisch sind auch die in der Anästhesie verwendeten Narkosegase, die nur zu einem geringen Teil vom Patienten metabolisiert werden. Der Rest gelangt in die Atmosphäre und wird dort nicht abgebaut. Trotz dieser Tatsachen sei der Medizinsektor unter dem Aspekt Klimaschutz „noch nicht auf dem Radar“, so Wirtz.

Er betont: „Wenn wir in Deutschland die Klimaziele erreichen wollen, müssen wir auch in den Krankenhäusern umweltbewusster handeln. Prozesse müssen nicht nur aus ökonomischen, sondern auch aus ökologischen Gründen optimiert werden. Gerade das Überdenken und Neustrukturieren alt gewohnter Abläufe werden dazu beitragen, die ökologische Bilanz im Krankenhaus zu verbessern.“ Als Ansatzpunkt für nachhaltigeres Handeln nennt Wirtz die 5 Rs: Müll vermeiden (reduce), Materialien wiederverwerten (recycle) und wiederverwenden (reuse), Forschung (research) und Abläufe neu zu denken (rethink).


Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein bringen Vorteile

Wirtz wünscht sich, dass Krankenhäuser den Nachhaltigkeitsgedanken nicht nur verantwortungsvoll im Leitbild tragen, sondern als reale Chance sehen, denn er denkt: „Die Menschen legen beim Kauf von Produkten oder Dienstleistungen Wert auf Nachhaltigkeit. Deshalb wird Nachhaltigkeit für Patienten und Patientinnen sehr bald ein Entscheidungskriterium bei der Wahl des Krankenhauses sein.“ Er sieht einen weiteren Vorteil: die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gewinnen. Junge Menschen, so Wirtz, legen stärkeren Wert auf die ökologische Positionierung eines Unternehmens oder Arbeitgebers: „Die Nachhaltigkeit eines Krankenhauses interessiert zunehmend auch potenzielle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Sie ist ein Standortvorteil für Krankenhäuser.“ 

Das Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz ist auch ein Schwerpunktthema auf dem Kongress und wird auch in der aktuellen Kongress-Ausgabe der Orthopädischen-Unfallchirurgischen Nachrichten in einem Fachbeitrag aufgegriffen. (ja).