Ein Tropfen Wahrheit: Wie man Krankheiten im Augenwinkel aufspürt

Biochemikerin Marlies Gijs bei der Arbeit. Foto: © New Dutch

An der Universitätsklinik Maastricht, Niederlande, wird erforscht, wie sich anhand von Tränenflüssigkeit schwere Krankheiten wie Alzheimer, aber auch lokale Augenerkrankungen früh erkennen und schonend diagnostizieren lassen.

„Tränenflüssigkeit ist ein unglaublich faszinierendes Körperfluid“, betont Biochemikerin Marlies Gijs von der Universitätsklinik Maastricht. Gleich hinter der deutschen Grenze bei Aachen leitet Gijs an der Augenklinik des Maastricht UMC ihr eigenes Tear Fluid Research Lab.

Dort untersucht sie die vermeintlich unscheinbaren Basaltränen, die permanent die Augenoberfläche befeuchten. Sie sammelt Proben und analysiert ihren molekularen Inhalt. Und sucht nach Spuren schwerer Krankheiten wie Alzheimer-Demenz oder Huntington.

„Besonders spannend finde ich das, was in ihnen steckt, also der molekulare Inhalt.“ In ihrem Labor werden die Proben eingefroren, aufbereitet und durch empfindliche Messverfahren analysiert. Was für Laien wie klares Wasser aussieht, entpuppt sich unter dem Mikroskop als dichtes Gemisch aus Elektrolyten, Proteinen, Antikörpern und Signalmolekülen.

Tränen als ein Mini-Spiegel des Körpers

Tränen, das zeigt Gijs, sind eine Art Mini-Spiegel des Körpers. Auf einer Präsentationsfolie listet sie auf, was sich alles darin nachweisen lässt: Proteine und Biomarker, die auf Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson, Huntington, SARS und COVID hinweisen, aber auch auf Augenkrankheiten wie etwa Glaukome, Keratokonus oder Uveitis. Selbst Marker für kleine Gefäßschäden im Gehirn lassen sich im Tränenfilm finden. „Tränenflüssigkeit ist das naheliegendste Untersuchungsmaterial für lokale Augenerkrankungen“, betont Gijs, „aber eben nicht nur dafür.“

An der Universität und in der Klinik laufen derzeit etwa 20 bis 30 Projekte zu unterschiedlichen Erkrankungen und Krankheitsbildern, in denen sie Tränenflüssigkeit untersuchen, so Gijs. Ihr bislang größtes und international beachtetes Projekt dreht sich um Alzheimer-Demenz.

In einer Studie untersuchte sie vier Gruppen: gesunde Kontrollpersonen, Patienten mit subjektiven Gedächtnisbeschwerden, Menschen mit leichten kognitiven Störungen und Personen mit manifester Demenz. „Wir haben von all diesen Patienten Tränenflüssigkeit gesammelt und die bekanntesten Alzheimer-Biomarker analysiert“, berichtet Gijs. „Und wir haben gesehen, dass diese Marker mit zunehmender Krankheitsstärke ansteigen.“

Die lange Reise zur Diagnose

Dass Alzheimer ein gewaltiges gesellschaftliches Problem ist, macht Gijs mit wenigen Sätzen klar. Alzheimer sei eben nicht nur „Gedächtnisprobleme“, sondern ein ganzes Bündel an Symptomen, das den Alltag massiv beeinträchtige. Und zwar auch für Familie und Freunde. „Und weil es keine heilende Behandlung gibt, ist es heute die führende Todesursache“, betont sie.

Besonders eindrücklich schildert sie den Leidensweg des Patienten. „Es beginnt mit der ersten Beschwerde“, erklärt sie. „Mit einigen Gedächtnisproblemen, die der Betroffene vielleicht bemerkt. Dann geht man einmal zum Hausarzt, wahrscheinlich zweimal, dreimal oder noch öfter, weil diese Gedächtnisprobleme am Anfang sehr vage sind. Das kann sich hinziehen, mit Monaten zwischen den einzelnen Besuchen.“

Am Ende dieses Weges steht häufig eine Lumbalpunktion: „Um die Diagnose zu stellen, braucht man eine Probe der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit, die man über eine Lumbalpunktion gewinnt“, erörtert Gijs. „Das ist ein ziemlich unangenehmer Eingriff und auch nicht ohne Risiko oder mögliche Komplikationen, gerade bei älteren Patienten.“ Zusammen mit neuropsychologischen Tests, MRT und Blutuntersuchungen führt sie oft erst nach Jahren zur Diagnose.

Tränen statt Lumbalpunktion

Genau an dieser Stelle setzt ihre Vision an. „Ich würde dieses Tränenfluid gerne nutzen, um Alzheimer viel früher zu diagnostizieren“, erzählt Gijs. Ihr schweben einfach durchführbare Tränentests vor, die etwa schon in der Hausarztpraxis oder beim Neurologen durchgeführt werden. „Auf einfache, nicht invasive Weise. Denn die Entnahme von Tränen ist sehr einfach.“

Es gebe bereits einige Tests für Augenerkrankungen auf dem Markt, bei denen man Tränenflüssigkeit sammele, die dann wie ein COVID-Test oder Schwangerschaftstest ausgewertet würden. Allerdings sei das eine Frage der Empfindlichkeit: „Die Marker, nach denen wir suchen, liegen in viel geringerer Konzentration vor – also etwas schwieriger zu entdecken als etwa eine COVID-Infektion. Aber grundsätzlich ist es durchaus möglich.“

Frühe Diagnose – heikle Fragen

Doch je früher man eine solche Krankheit erkennen kann, desto drängender werden die ethischen Fragen. Die pathologischen Veränderungen im Gehirn beginnen Jahrzehnte vor den ersten Symptomen. „Die Frage ist also, wann wir zeitlich ansetzen wollen, und auch, ob wir es überhaupt in jedem Fall wollen, denn es gibt schließlich keine Heilung. Würden Sie wirklich wissen wollen, dass in Ihrem Gehirn bereits etwas passiert, wenn Sie gar nicht eingreifen können?“ Gijs weist außerdem darauf hin, dass andere ein Interesse an solchen Informationen haben könnten: „Vielleicht möchte Ihr Arbeitgeber das wissen. Oder Ihre Krankenversicherung.“