Krankheitsrisiko, Medikation und Co.: Deutsche möchten Gender-Unterschiede berücksichtigt wissen1. März 2022 Abbildung: © klesign/stock.adobe.com Laut einer neuen repräsentativen Befragung, die eine deutschen Krankenversicherung bei 1000 Personen durchführen ließ, haben 67 Prozent der Befragten von ihren Ärztinnen und Ärzten keine Informationen über die unterschiedliche Wirkung von Medikamenten auf Frauen und Männer erhalten. Neun von zehn Deutschen wissen der Befragung zufolge, dass Männer für bestimmte Erkrankungen ein anderes Risiko haben als Frauen, und mehr als acht von zehn Menschen sind überzeugt, dass auch Krankheitssymptome geschlechterspezifisch sind. Nach Meinung der im Auftrag der pronova BKK Befragten werden die angesprochenen Unterschiede weder in der Forschung noch im Arztgespräch ausreichend berücksichtigt. Mit 88 Prozent glaubten in der Umfrage besonders viele Frauen, dass bei ihrem Geschlecht andere Symptome auftreten. 79 Prozent der Männer waren derselben Ansicht. „Die medizinische Forschung orientiert sich am männlichen Normkörper“, bestätigt Prof. Sabine Oertelt-Prigione, Inhaberin von Deutschlands erster Professur für geschlechtersensible Medizin: „Frauen zeigen bei den gleichen Erkrankungen aber häufig andere Symptome. So sind bei Männern die klassischen Symptome für einen drohenden Herzinfarkt starke Brustschmerzen, junge Frauen können in dieser Situation unter Übelkeit und Schwindel leiden. Asthma zeigt sich bei Jungen durch Geräusche beim Atmen, bei Mädchen oft durch trockenen Husten.“ Bei der Diagnose von Erkrankungen, aber auch bei der Behandlung ist es wichtig, dass Ärztinnen und Ärzte geschlechtsspezifische Unterschiede berücksichtigen. Unterschiede müssen stärker berücksichtigt werden „Frauen leiden generell öfter unter Nebenwirkungen von Arzneimitteln. Gleichzeitig können Medikamente bei Frauen aufgrund von Körpergröße, Gewicht und Hormonen anders wirken als bei Männern“, betont Prof. Oertelt-Prigione. „Wir haben bei klinischen Studien zu Corona festgestellt, dass das Geschlecht kaum beachtet wurde, obwohl längst bekannt war, dass Männer und Frauen unterschiedlich betroffen sind – es hatte sich einfach so etabliert und war gesellschaftlich akzeptiert. Inzwischen sehen wir bereits einen Wandel bei der Auswahl der Probanden für Studien. Die geschlechterspezifische Analyse erfolgt aber weiterhin zu selten.“ Ärztinnen und Ärzte, Pharmafirmen und der Gesetzgeber in der Pflicht Wie die Studie zeigt, wissen viele Menschen, dass es auch bei Krankheiten und Symptomen geschlechtsspezifische Unterschiede geben kann. Doch bei der Vermittlung konkreter Fakten hapert es: 82 Prozent der Befragten erwarten generell mehr Informationen, wie sich Symptome bei Erkrankungen wie zum Beispiel beim Herzinfarkt je nach Geschlecht unterscheiden. Auch die Pharmaindustrie sollte nach Ansicht von 87 Prozent der Deutschen ihre Packungsbeilagen anpassen und dort klar auf die Unterschiede bei der Verwendung durch Männer und Frauen hinweisen. 86 Prozent der Befragten sehen den Gesetzgeber in der Pflicht, klare Vorgaben zu einer geschlechterangepassten Gesundheitsversorgung zu machen. „Hier wird sich erst etwas verändern, wenn es klare Regularien gibt. Beispielsweise muss die Politik dafür sorgen, dass nur noch Studien finanziert werden, die das Geschlecht berücksichtigen“, erklärt Oertelt-Prigione. „Dort wo die Datenlage bereits gut ist, wie in der Kardiologie, können Leitlinienveränderungen angeschoben und Therapien geschlechterspezifisch angepasst werden.“ Im Gespräch mit Ärztinnen und Ärzten wird besonders von Frauen mangelnde Transparenz beklagt: Nur 26 Prozent sagen, ihre Ärztin oder ihr Arzt habe sie über die unterschiedlichen Wirkungen von Medikamenten aufgeklärt – im Unterschied zu 40 Prozent der Männer. Insgesamt haben zwei Drittel der befragten Frauen und Männer keine entsprechende Auskunft bei der ärztlichen Behandlung erhalten. 83 Prozent wünschen sich deutliche Hinweise von Medizinerinnen und Medizinern, wenn noch unklar ist, ob Medikamente auf Männer und Frauen unterschiedlich wirken. Nur 33 Prozent sagen, ihre Ärztin oder ihr Arzt habe mit ihnen darüber gesprochen. „Der Wandel zur personengerichteten Medizin mit dem Ziel, einen kooperativen Prozess zwischen Patientinnen, Patienten, Ärztinnen und Ärzten zu schaffen, beginnt erst. Dafür müssen die Medizinerinnen und Mediziner ihre Deutungshoheit aufgeben und die Expertise ihrer Patientinnen und Patienten für die eigene Gesundheit wahrnehmen“, sagt Oertelt-Prigione. „Andere Länder wie die Niederlande, Kanada oder Großbritannien sind da weiter. Die jüngere Generation treibt diesen Wandel auch bei uns in Deutschland voran.“ Die Studie „Geschlechtersensible Medizin“ wurde im Februar 2022 im Auftrag der pronova BKK durchgeführt. Bundesweit wurden 1000 Erwachsene ab 18 Jahre repräsentativ online befragt.
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