Kreativere Konzepte im Bereich der Lebendspende benötigt19. Oktober 2020 Foto: © Gorodenkoff – Adobe Stock Den Mangel an Organen von verstorbenen Spendern kompensieren viele europäische Länder erfolgreich durch erweiterte Lebendspende-Modelle, die eine optimale Umsetzung der vorhandenen Spendebereitschaft erlauben und darüber hinaus auch eine genderspezifische Ungleichheit ausgleichen: Denn Frauen tolerieren oft nicht die Organe ihrer Lebenspartner und haben daher weniger Aussichten, eine Lebendspende zu erhalten. Die Erfahrung mit der Lebendspende ist groß. Aus umfangreichen US-Registerstudien mit über 160.000 Lebendspendern [Lam 2015, Grams 2016] weiß man, dass Lebendspender keine schlechtere Prognose als die Allgemeinbevölkerung haben. Allerdings muss man einräumen, dass es sich hierbei um eine positive Selektion handelt. In der Regel werden nur gesunde Menschen zu einer Lebendspende zugelassen, die dann vor und nach der Spende meistens auch besonders gesundheitsbewusst leben. Grundsätzlich muss man daher davon ausgehen, dass eine Lebendspende die Lebenszeit statistisch verkürzt, wenn auch im Regelfall nur geringfügig. Darüber sollte jeder potenzielle Spender grundlegend und umfassend aufgeklärt werden. In Deutschland gibt es viele Regeln, die die Lebendspende erschweren, z.T. auch geschlechtsspezifisch behindern. Denn bei Frauen finden sich häufig Antikörper gegen den Partner, bedingt durch Schwangerschaft, Geburt und auch Geschlechtsverkehr. Der Körper immunisiert sich quasi gegen die Antigene des Partners, was zur Folge hat, dass die Frau dann das Spenderorgan ihres Mannes abstoßen würde. Umgekehrt ist das hingegen seltener der Fall. Dies bedeutet, dass Frauen bei der Organspende benachteiligt sind – sie können ihrem Partner ein Organ spenden, aber oft keines von ihm erhalten. In fast allen europäischen Ländern, außer in Deutschland, gibt es die Möglichkeit der Cross-Over-Lebendspende, was auch den Frauen eine gleich hohe Chance auf eine erfolgreiche Organtransplantation einräumt. Ein Teil von Paar A spendet für Paar B und ein Teil von Paar B für Paar A. In einzelnen Bundesländern ist das unter Sonderbedingungen erlaubt, aber eine solche regionale Regelung löst das Problem nicht grundsätzlich, da viele Antikörper, die zur Abstoßung führen, sehr häufig sind und somit eine Sensibilisierung gegen viele potenzielle Spender vorliegt. In zahlreichen anderen Ländern gibt es daher nationale Institute, die Spender-Empfänger-Paare registrieren und mit Hilfe der EDV nach medizinischen, d.h. gewebstypischen, Kriterien bestmöglich überregional zusammenführen. So kann die Spendebereitschaft optimal umgesetzt werden und die Empfänger erhalten die Organe, bei denen das Abstoßungsrisiko am geringsten ist. Da die Cross-Over-Spenden in Deutschland nicht bundesweit erlaubt sind, erfolgen in Deutschland auch mehr blutgruppeninkompatible Organtransplantationen. Diese sind medizinisch aufwändiger und teurer, – und bei circa jedem siebten Empfänger lassen sich die Antikörper nicht entfernen, d.h. bei jedem siebten Spender-Empfänger-Paar kann diese Form der Transplantation per se nicht durchgeführt werden. Mit Cross-Over-Konzepten könnte den Patienten geholfen werden. Um mehr Menschen, die auf ein Organ warten, eine erfolgreiche Lebendspende zu ermöglichen, setzt sich die Deutsche Transplantationsgesellschaft für die bundesweite Zulassung von Cross-Over-Spenden ein. „Perspektivisch sind noch kreativere Ansätze nötig, um den eklatanten Organmangel nachhaltig zu begegnen“, erklärt Professor Dr. Dirk Stippel, Präsident der 29. Jahrestagung der Deutschen Transplantationsgesellschaft. Das könnten „Kettenspenden“ sein, das heißt, die Ausweitung der Cross-Over-Spende auf mehr als nur zwei Paare (z. B. Spender A spendet an Empfänger C, Spender B an Empfänger A und Spender C an Empfänger B), denkbar seien auch Spenderpools, wie sie z.B. in Kalifornien bereits Realität sind. Man spendet eine Niere in einen „Pool“, sie wird einem anonymen Patienten transplantiert und erhält dafür die Garantie, dass der Partner, das Kind oder Enkelkind bei Bedarf ohne große Wartezeit ein Organ erhält. Wenn beispielsweise absehbar ist, dass ein Kleinkind in fünfzehn Jahren eine Niere benötigen wird, kann der Großvater im Alter von 60 Jahren sofort eine Niere spenden und ermöglicht dadurch dem Enkelkind, wenn dessen Nierenfunktion komplett versagt, ein Spenderorgan aus dem „Pool“ zu erhalten. Dies hat auch medizinisch gesehen Vorteile. Mit 60 Jahren ist eine Nierenspende oft unproblematischer als mit 75 – und geht übrigens, berechnet auf das Lebenszeitrisiko, mit einer geringeren Gefahr einher, selbst nierenkrank zu werden, als bei einem Spender, der selbst erst 30 Jahre ist und bei dem nicht absehbar ist, wie sich seine Gesundheit im Laufe der Zeit entwickeln wird. Insofern ermöglicht das Modell, dass ein Spender zum idealen Zeitpunkt spenden kann und dass der Empfänger zum idealen Zeitpunkt ein Organ erhält. „Ich denke, dass wir in unserer Gesellschaft phantasievoller werden müssen, um den Betroffenen helfen zu können. Insbesondere Frauen sind durch die derzeitig starre Regelung benachteiligt und wir brauchen kreative Lösungen, um das Optimum aus der derzeitigen Mangelsituation herauszuholen. Die Ausweitung der Lebendspende würde vielen Wartenden helfen und darüber hinaus zu einer Geschlechtergerechtigkeit beitragen“, erklärte Tagungsleiter Prof. Stippel abschließend.
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