Krebserkrankungen: Interleukin-22 als Treiber der Metastasierung

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Ein Tumor entsteht in einem Organ, wenn sich eine Zelle unkontrolliert vermehrt. Doch zur tödlichen Bedrohung wird die Geschwulst meist erst, wenn die Krebszellen lernen, sich aus dem Gewebeverband zu lösen und andere Organe über Blut und Lymphe zu besiedeln und zu zerstören.

Für diese Metastasierung spannt der Tumor das Immunsystem ein – laut Prof. Sebastian Kobold vor allem den Botenstoff Interleukin-22. Kobolds Arbeitsgruppe am LMU Klinikum und ein Team des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf haben die Rolle von IL-22 bei der Metastasierung ausgiebig untersucht. Die Ergebnisse wurden nun in zwei Artikeln in der Fachzeitschrift „Immunity“ veröffentlicht.

Seit einigen Jahren schon nutzen Forscher das körpereigene Immunsystem im Kampf gegen den Krebs. Weitaus weniger bekannt ist, dass das Immunsystem neben seiner schützenden und krebszerstörenden Funktion die Entstehung und die weitere Entwicklung bösartiger Tumoren fördert. Und während die Rolle der immunvermittelten Entzündung bei der Krebsentstehung immer besser verstanden wird, bleibt das Verständnis für spätere Phasen, insbesondere der Metastasierung, noch weitgehend eine Black Box.

In aufwendigen Untersuchungen hat einerseits das Hamburger Team nun gezeigt, dass IL-22 den Übergang der Krebszellen in ferne Absiedlungsorte (vor allem die Leber) über Gefäßwände ermöglicht. Die Forschenden des LMU Klinikums hingegen beschäftigten sich mit der Rolle des Botenstoffes nach dem Absiedlungsprozess am Ort der Streuung. „Wir konnten belegen, dass IL-22 Krebszellen vor natürlichen Killerzellen schützt“, resümiert Daria Briukhovetska, Erstautorin der Studie, die Ergebnisse. IL22 führt dazu, dass ein anderes Molekül in der Tumorzelle angeschaltet wird: das Oberflächenmolekül CD155. Die Folge: Die Killerzellen werden stumpf gegenüber den Krebszellen, sie verlieren ihre schützende Funktion. So können neue Geschwulste, insbesondere in der Lunge, auswachsen.

Die Forscher beider Standorte sind überzeugt, dass diese grundlegende Erkenntnis künftig auch therapeutisch genutzt werden könnte. „Vom Mechanismus her könnte es sinnvoll sein, IL-22 möglichst früh in der Therapie eines noch nicht metastasierten Krebses zu blockieren“, sagt Kobold von der Abteilung für Klinische Pharmakologie des LMU Klinikums, „da kann man das Böse noch an der Wurzel packen. Im Idealfall würden wir nämlich verhindern, dass die Killerzellen ihre Funktionalität verlieren.“ Zum Beispiel bei Patienten, denen ein Lungentumor entfernt wurde und die ein hohes Risiko der Metastasierung in den Jahren nach der Operation haben. „Vielleicht“, fährt der Münchner Mediziner fort, „können wir genau das mit der IL-22-Blockade verhindern.“

IL-22-blockierende Antikörper gibt es bereits; sie werden zum Beispiel in der Therapie des Rheumas getestet. Die Therapie mit diesem Wirkstoff scheint relativ nebenwirkungsarm zu sein.