Krisenvorsorge und Zivilschutz: MedTech-Verband fordert resilientes und dual nutzbares medizinisches Versorgungssystem

BVMed-Vorstandsmitglied Stefan Geiselbrechtinger, CEO vom Medizinprodukte-Hersteller OPED. (Foto: BVMed/Tina Eichner)

Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) fordert in einem Positionspapier eine Strategie für eine dual nutzbare und digital gestützte Gesundheitsversorgung. Dabei solle die Medizintechnik als integraler Bestandteil einbezogen werden.

„Die medizinische Versorgung hat eine Schlüsselrolle im Krisenfall. Wir müssen jetzt die Strukturen schaffen, die in der Krise notwendig sind. Das Ziel muss der Aufbau eines resilienten, dual nutzbaren Systems medizinischer Versorgung sein, das sowohl im Alltag als auch im Krisenfall tragfähig ist”, sagte BVMed-Vorstandsmitglied und OPED-CEO Stefan Geiselbrechtinger bei der Vorstellung des Papiers auf dem BVMed-Medienseminar in Berlin.

Hintergrund der BVMed-Initiative ist, dass sich die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen durch Pandemien, Naturkatastrophen, Kriege und Bedrohungsszenarien in Form von hybriden Angriffen erheblich verändert haben. Ein funktionierendes Gesundheitssystem sei nicht nur humanitär geboten, sondern sicherheitsrelevant. „Der Schutz und die Versorgung der Bevölkerung sowie die Aufrechterhaltung der Einsatzfähigkeit der Streitkräfte hängen maßgeblich von einer leistungsfähigen, robusten und skalierbaren medizinischen Infrastruktur ab”, heißt es in dem BVMed-Positionspapier.

Zentrale Rolle von Medizintechnik im Krisenfall

Bei der Bewältigung von Gesundheitskrisen, Naturkatastrophen, Kriegen oder Pandemien. sind folgende Aspekte aus der Sicht des BVMed wichtig:

  • Bereitstellung von Medizinprodukten und Ausrüstung: Ob Notfall- und Intensivmedizin, Wundversorgung und Erste Hilfe, Diagnostik und Hygiene oder Infrastruktur für Notfallversorgung wie mobile Kliniken, mobile Bildgebung, Ferndiagnostik-Systeme und akkubetriebene Geräte.
  • Sicherung von Lieferketten: Durch die Zusammenarbeit mit Behörden, um im Krisenfall Engpässe bei Ersatzteilen, Verbrauchsmaterialien (etwa Masken, Filter) oder wichtigen Komponenten zu vermeiden.
  • Unterstützung beim Schutz von medizinischem Personal: Durch die Entwicklung von Schutzsystemen wie Desinfektionsanlagen oder kontaktloser Diagnostik, Geräteschulungen sowie Monitoring- und Telemedizin-Systemen zur Versorgung bei kontaktreduzierter Betreuung.

Duales Versorgungskonzept im Gesundheitswesen

Um einen zukunftsfähigen Bevölkerungsschutz im Gesundheitswesen zu ermöglichen, fordert der BVMed den Aufbau von Strukturen, „die sowohl im zivilen Alltag als auch im Krisenfall voll nutzbar und skalierbar sind. Dabei sollte die Nutzung bestehender Infrastrukturen und Kompetenzen im Vordergrund stehen, um redundante Systeme zu vermeiden und vorhandene Ressourcen effizient einzusetzen”, heißt es im BVMed-Papier.

Ein zentraler Baustein sei dafür die Einbindung medizintechnischer Unternehmen in nationale und regionale Krisenstäbe, Planungsgruppen, Notfallpläne und Übungen. „Durch ihre Innovationskraft und umfassende Marktkenntnis kann die MedTech-Branche entscheidende Beiträge zu Versorgungskonzepten, zur Materialbereitstellung sowie zu digitalen Lösungen leisten”, so Geiselbrechtinger. Dabei seien folgende Ansätze bedeutsam:

  • Netzwerk aus Versorgungsknoten: Traumazentren verteilen Schwerverletzte bereits nach dem „Schockraum“-Prinzip. Im Krisenfall ließe sich dieses System durch regionale „Hubs“ wie Bundeswehrkrankenhäuser oder Unikliniken erweitern. Diese könnten Kapazitäten vorhalten und mit medizintechnischen Dienstleistern kooperieren. Erprobt wurde dies bereits im „Kleeblatt-System“ mit ukrainischen Kriegsverletzten.
  • Skalierbare Infrastruktur: Modulare Feldkliniken könnten in Friedenszeiten zur Entlastung bei Großschadenslagen dienen und im Bündnisfall als Lazarett. Industrie, Rotes Kreuz, Bundeswehr und Zivilschutz könnten solche Containerkliniken gemeinsam erproben und einsatzbereit lagern.
  • Personal-Pool mit Doppelfunktion: Ein Reservepool aus medizinisch-ausgebildetem Fachpersonal könnte im Alltag regulär in medizinischen Einrichtungen oder bei MedTech-Unternehmen arbeiten und im Krisenfall in einen „Reservisten-Status“ wechseln. So stünde dem Gesundheitssystem schnell zusätzliche Unterstützung zur Verfügung.
  • Versorgungspfade abbilden: Ein zentrales digitales Steuerungssystem könnte im Alltag Patient:innen bei Engpässen länderübergreifend verteilen und im Bündnisfall auf Tausende Verwundete skalieren. Entscheidend ist, dass alle Beteiligten es bereits aus Übungen kennen.

Digitalisierung als Voraussetzung für skalierbare Versorgung

„Die Digitalisierung ist die Ermöglicherin für viele der vorgeschlagenen skalierbaren und innovativen Ansätze”, so Geiselbrechtinger weiter. Das BVMed-Positionspapier beschreibe dazu fünf Bereiche:

  1. Digitales Versorgungsnetzwerk: Vernetzung von Kliniken, Herstellern und Logistik durch eine zentrale digitale Plattform, um Bestände, Bedarfe und Lieferungen in Echtzeit zu koordinieren.
  2. Telemedizin und E-Health: Ortsunabhängige Nutzung von Telemedizin-Konzepten wie Videokonferenzen, AR-Brillen oder Telekonsile.
  3. KI und Datenanalyse: KI kann im Krisenfall Diagnosen beschleunigen, Vitaldaten überwachen und Verletzungen per Bildanalyse einstufen.
  4. Ausbildung und Quereinstieg: Digitalisierung ermöglicht neue Ausbildungswege für Quereinsteiger:innen durch E-Learning und Assistenzsysteme.
  5. Simulation und Planung: Digitale Simulationen zeigen frühzeitig Engpässe auf und ermöglichen gezielte Vorbereitung. Außerdem lassen sich Einsatzpläne für Kliniken und Lieferketten digital effizient erstellen.

„Die MedTech-Branche ist ein integraler Bestandteil der zivilen und militärischen Gesundheitsvorsorge und Versorgung. Ihre Rolle geht im Krisenfall weit über die Produktbereitstellung hinaus. Deutschland hat als führender MedTech-Standort Europas die Möglichkeit, ein international sichtbares Modell resilienter Versorgung aufzubauen. Jetzt ist der Zeitpunkt zu handeln”, so das Fazit von BVMed-Vorstand Geiselbrechtinger.