Kritik an neuen Leitlinien zu Aortenerkrankungen: „Gefäßchirurgie ist erste Anlaufstelle für die Hauptschlagader“

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Anfang 2024 erschien eine neue internationale medizinische Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Aortenerkrankungen. Von deutschen Experten wird die mangelnde Berücksichtigung gefäßchirurgischer Expertise kritisiert.

Die jüngste Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Aortenerkrankungen wurde von der European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS) und der Society of Thoracic Surgeons (STS) verfasst. Bei der Erstellung der Leitlinie sei keine gefäßchirurgische Expertise hinzugezogen worden, kritisiert die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin e.V. (DGG) anlässlich ihrer 40. Jahrestagung. Dabei spiele die Gefäßchirurgie die tragende Rolle in der Behandlung der Schlagader: Von 15.000 Eingriffen an der Aorta übernähmen Gefäßchirurginnen und Gefäßchirurgen in Deutschland jedes Jahr rund 12.000 Operationen wegen Bauchaortenaneurysmen.

Kurz nach Veröffentlichung der Leitlinie im Februar 2024 sorgte eine Schlagzeile für Aufsehen: Die Aorta, die größte Schlagader im menschlichen Körper, wurde von einigen Fachleuten als eigenständiges Organ anerkannt. Für PD Dr. Farzin Adili, Vize-Präsident der DGG und Direktor der Klinik für Gefäßmedizin, Gefäßchirurgie und Endovaskuläre Chirurgie am Klinikum Darmstadt, steht fest: „Ob die Aorta als Organ betrachtet wird oder nicht, ändert nichts daran, dass die Therapie komplexer Aortenerkrankungen in den Händen von spezialisierten Gefäßchirurginnen und Gefäßchirurgen liegen sollte.“ Er betont: „Wir sind die Fachleute für die häufigsten Aortenerkrankungen und die richtige Anlaufstelle für Betroffene.“

Kritik an fehlender Berücksichtigung gefäßchirurgischer Expertise

Die DGG betont: In der neuen Leitlinie zu Aortenerkrankungen werde ihre zentrale Rolle nicht ausreichend berücksichtigt. Insbesondere das Bauchaortenaneurysma, welches etwa 80 Prozent der Aortenoperationen ausmache, werde in der Leitlinie „auf wenigen Spalten abgehandelt und damit stark vernachlässigt“, heißt es von der Fachgesellschaft. Demgegenüber habe die European Society for Vascular Surgery (ESVS) im Juni 2024 eine Leitlinie allein zum Bauchaortenaneurysma veröffentlicht, die 140 Seiten umfasst. Adili kritisiert: „Obwohl das Fach Gefäßchirurgie die tragende Rolle in der Behandlung der zahlenmäßig häufigsten Krankheitsbilder der Aorta spielt, war keine wissenschaftliche Fachgesellschaft für Gefäßchirurgie in die Entwicklung der Leitlinie zur Aortenerkrankungen eingebunden – weder die DGG noch die Europäische Fachgesellschaft (ESVS) oder die der USA (SVS). Das muss sich dringend ändern!“

Behandlung in spezialisierten Zentren gefordert

Entscheidend für die Behandlung von Aortenerkrankungen sei die Expertise und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen chirurgischen Fächern. Gerade für Bauchaortenaneurysmen gebe es klare Richtlinien zur Qualitätssicherung. „Wir fordern, dass komplexe Aortenerkrankungen in spezialisierten Aortenzentren behandelt werden. Aber auch an Kliniken mit ausgewiesener gefäßchirurgischer Expertise können Eingriffe sicher und erfolgreich durchgeführt werden“, betont Adili.

In diesem Zusammenhang verweist die Fachgesellschaft auf ihre Zertifizierung für deutsche Gefäßzentren, „die hohe, wissenschaftlich fundierte Anforderungen an die Therapie von Gefäßpathologien stellt“. Gefäßzentren könnten sich auch interdisziplinär von der DGG mit der Deutschen Gesellschaft für Angiologie (DGA) und der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG) zertifizieren lassen oder das unabhängige RAL-Gütezeichen Aorta erwerben, für das sie ebenfalls sowohl eine exzellente Prozessqualität als auch Mindestmengen bei der Behandlung aortaler Pathologien nachweisen müssen.