Kryo-Elektronenmikroskopie: Peroxisomen-Prozesse auf atomarer Ebene untersucht23. Oktober 2023 Nehmen die Peroxisomen ganz genau unter die Lupe: Prof. Christos Gatsogiannis und Maximilian Rüttermann.Foto.©Karthik Subramaniam Kalyankumar/Universität Münster Ein Forschungsteam der Universität Münster um Prof. Christos Gatsogiannis konnte erstmals auf atomarer Ebene zeigen, wie die Zellorganellen „Peroxisomen“ im menschlichen Körper unter anderem toxische Substanzen und Fette abbauen. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal „Nature Communications“ veröffentlicht. „Wir können uns Peroxisomen als Miniaturfabriken vorstellen, die sich auf verschiedene Aufgaben spezialisiert haben“, erklärt Gatsogiannis. „In erster Linie sind sie für die ‚Entgiftung‘ der Zelle bekannt. Sie fungieren als zelluläre Abfallentsorgungseinheiten und bauen schädliche Substanzen ab, die sich sonst unter Umständen in unseren Zellen ansammeln.“ Das können etwa überschüssige Fettsäuren sein oder Giftstoffen aus unserer Umwelt. Die nur 0,5 Mikrometer „großen“ Zellorganellen übernehmen mindestens 50 verschiedene Prozesse dieser Art. Besonders systemrelevant ist die Rolle der Peroxisomen beim Fettstoffwechsel. Denn sie bauen Fette nicht nur ab, sie wandeln sie auch in verwertbare Energie um – die wiederum für verschiedene körperliche Prozesse unerlässlich ist. Ohne Peroxisomen können sich etwa gefährliche Mengen bestimmter Fette im Körper ansammeln und ernsthafte Gesundheitsprobleme auslösen. Altersbedingte Krankheiten werden daher häufig mit Störungen der Peroxisomalfunktion in Verbindung gebracht, zum Beispiel Hör- und Sehverlust, Alzheimer, Diabetes oder Krebs. Jeder dieser Prozesse erfordert eine Reihe spezifischer Enzyme. Die Peroxisomen sind allerdings von einer biologischen Membran umgeben, die die Proteine nicht ohne weiteres passieren können – sie müssen importiert werden. Dieser Importmechanismus braucht Energie und eine weitere Gruppe von Proteinen, die Pex: „Ähnlich wie ein Lastwagen, der Produkte von einem Ort zum anderen transportiert, benötigt der Transport von Enzymen ein Transportprotein, Energie und eine gut durchdachte Logistik, um effizient zu sein“, zieht Doktorand Maximilian Rüttermann aus der Arbeitsgruppe einen Vergleich. „Und wie ein Lastwagen wird das Protein wiederverwendet oder recycelt, bis es schließlich zerfällt.“ Das zelluläre Reinigungsteam Pex1/Pex6 Dieser Recycling-Mechanismus ist der einzige energieaufwendige Schritt des gesamten Importprozesses. Die Hauptrolle spielt dabei der peroxisomale AAA-ATPase-Komplex Pex1/Pex6: Die „biologische Nanomaschine“ entpackt und entfaltet die verbrauchten Proteine, damit sie recycelt oder abgebaut werden können. AAA-ATPasen sind dabei grundsätzlich eine Art zelluläres Reinigungsteam. Es hält die innere Umgebung der Zelle sauber, funktionell und bereit für die Anforderungen des Lebens. Die meisten Störungen der peroxisomalen Biogenese sind mit Mutationen in Pex1 oder Pex6 verbunden. Bis zu 60 Prozent aller Fälle gehen auf eine seltene genetische Störung zurück, bei der die Zellen der Patienten nicht in der Lage sind, Peroxisomen zu bilden. Betroffene versterben in der Regel schon wenige Tage oder Wochen nach der Geburt. Bisher gibt es keine heilende Therapie. Kryo-Elektronenmikroskopie entschlüsselt Geheimnisse der Zellfunktion Die Forschungsgruppe um Gatsogiannis hat nun erstmals im atomaren Detail gezeigt, wie die peroxisomale AAA-ATPase andere Enzyme prozessiert, um die Entgiftungseinheiten funktionsfähig zu halten. Hierfür setzten die Forschenden die Kryo-Elektronenmikroskopie ein. „Die Untersuchung eines hochdynamischen Komplexes wie der AAA-ATPase Pex1 Pex6 ist wie die Beobachtung eines laufenden Automotors“, veranschaulicht Maximilian Rüttermann. „Man macht Millionen von Bildern aus allen Blickwinkeln, während er im Betrieb ist und erstellt auf dieser Grundlage ein dreidimensionales Modell in all seinen verschiedenen Zuständen.“ Die Gruppe hat im Frühjahr ein hoch modernes Kryo-Elektronenmikroskop in Betrieb genommen. Dieses Mikroskop ermöglicht es, Proteine und biologische Nanomaschinen auf atomarer Ebene zu untersuchen und so die Geheimnisse der Zellfunktion zu entschlüsseln. Die hochaufgelösten Strukturen zeigen, wie die Proteine Pex1 und Pex6 synchron zusammenarbeiten: Sie ziehen ein Substrat ähnlich den verwendeten Import-Rezeptoren aus der Membran, um deren Recycling zu ermöglichen. Das ist ein einzigartiger Mechanismus, vergleichbar mit einer Reihe von Armen, die ein dickes Seil schrittweise in Paare ziehen und dabei seine Knoten lösen. „Die atomaren Strukturen und das Verständnis für den Mechanismus dieser komplexen Nanomaschine erlaubt uns nun, wichtige Schritte der Peroxisom-Physiologie in Gesundheit und Krankheit zu verstehen“, resümiert Gatsogiannis. „Nun ist es auch möglich, alle bekannten Mutationen mit ihrer Funktion in Verbindung zu bringen, um ihre chemischen Folgen und damit die Ursachen von Stoffwechselstörungen zu verstehen.“
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