Künstliche Beatmung kann Keimzentren für Akutes Lungenversagen hervorrufen

Lars Knudsen demonstriert mit Luftballons, wie ein kollabiertes Lungenbläschen seine Nachbarn überdehnt (links) im Vergleich mit stressfrei entfalteten Alveolen (rechts). (Foto: © Karin Kaiser/MHH)

Ein Forschungsteam von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) hat mikroskopisch kleine Cluster geschädigter Lungenbläschen als Ursache für einen massiven Ausfall der Lungenfunktion identifiziert.

Forschende um Prof. Lars Knudsen, Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie am Institut für Funktionelle und Angewandte Anatomie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), haben herausgefunden, dass sogar bereits klinisch nicht fassbar kleine Ansammlungen aus kollabierten Alveolen ausreichen, um unter künstlicher Beatmung ein Akutes Lungenversagen (ARDS) auszulösen. Darüber hinaus zeigten die Forschenden nach eigenen Angaben zum ersten Mal, dass der unter der Beatmung auftretende Schaden in unmittelbarer Nachbarschaft der existierenden Cluster aus kollabierten Alveolen auftritt. Die Folge: Die Cluster wachsen und werden so erst klinisch bedeutsam. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „American Journal of Physiology“ veröffentlicht worden.

Mechanischer Stress wird erhöht

Im Idealfall entfalten sich beim Einatmen alle Alveolen gleichmäßig und stressfrei. Sind einige Lungenbläschen durch Erkrankung oder eine Verletzung geschädigt, kollabieren sie und fallen aus. Weil die Lungenbläschen wie eine Art schlaffer Luftballon aus vielen Falten bestehen und ähnlich wie ein feines Netz aus Gummibändern miteinander verbunden sind, üben die geschrumpften Alveolen auf ihre Nachbarn Zugkräfte aus und dehnen sie übermäßig. „Dieser mechanische Stress wird offenbar bei künstlicher Beatmung weiter erhöht und schädigt die nur wenige tausendstel Millimeter dünnen Wände der Lungenbläschen nachhaltig“, erklärt Knudsen.

Winzige Cluster breiten sich aus

Am Mausmodell erbrachte das Forschungsteam den experimentellen Beweis dafür, dass die Cluster aus kollabierten Alveolen eine entscheidende Triebfeder für das klammheimliche Entstehen eines beatmungsinduzierten ARDS sind. „Wir haben im Tiermodell einen leichten Lungenschaden gesetzt“, erläutert Knudsen. Die Tiere waren klinisch unauffällig, hatten eine normale Sauerstoffsättigung und eine unauffällige Lungenfunktion. „Der einzig auffällige Befund war, dass am Ende der Ausatemphase rund 30 Prozent der Lungenbläschen kollabiert waren“, stellt der Mediziner fest. Diese kollabierten Alveolen bildeten Cluster mit einem Radius von etwa 50 bis 60 Mikrometern.

Um die zusammengefallenen Lungenbläschen wieder zu öffnen, waren sehr hohe Drücke nötig, die normalerweise beim Beatmen nicht eingesetzt werden. Erfolgte nun in Vollnarkose eine Beatmung dieser Lungen mit einem üblichen Atemzugvolumen, hatten die Tiere zunächst eine relativ stabile Lungenfunktion. Nach vier bis sechs Stunden Langzeitbeatmung verschlechterte sich die Lungenfunktion dann sehr rapide, und es kam vereinzelt zum Lungenversagen. „Wir konnten im Mikroskop erkennen, dass die Cluster aus kollabierten Alveolen größer geworden waren und ihren Radius fast verdoppelt hatten“, sagt der Pneumologe. Die Lungen hatten durch den fortschreitenden Alveolarkollaps in der Nähe bestehender Mikro-Atelektasen im Durchschnitt nochmal mehr als ein Viertel an offenen Lungenbläschen eingebüßt.

Suche nach Markern für ARDS-Risiko

„Unsere Daten belegen, dass Alveolen in der Nähe von Mikro-Atelektasen instabil werden und kollabierte Lungenbläschen als Keimzentren dafür sorgen, dass sich die Schäden im Alveolarepithel weiter ausbreiten“, erläutert Knudsen. Diesen Schaden frühzeitig zu erkennen sei schwierig, da er sich nicht in den üblichen Lungenfunktionsmessungen widerspiegele. Als nächstes wollen die Forschenden daher mithilfe Künstlicher Intelligenz alle gemessenen Daten nach möglichen Markern durchforsten, die auf ein Risiko für einen fatalen Verlauf unter der Beatmung hinweisen. Da sowohl der Aufbau der Mäuselunge als auch die Mechanismen der Atmung Parallelen mit unserer Lunge aufweisen, lassen sich die Ergebnisse übertragen. Offen bleibe aber noch die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine künstliche Beatmung die Lunge am wenigsten schädige.