Künstliche Intelligenz zur Unterstützung multidisziplinärer Tumorkonferenzen

Gregor Duwe. Foto: Duwe

Beim 77. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) in Hamburg wurden am 18.09.2025 erste Ergebnisse des Projektes KITTU zu Künstliche-Intelligenz-generierten, erklärbaren Therapieempfehlungen für Urothel- und Nierenzellkarzinome vorgestellt. Ziel ist es, multidisziplinäre Tumorkonferenzen mithilfe der Künstlichen Intelligenz (KI) zu unterstützen.

Von Dr. Gregor Duwe

Rund ein Viertel aller Krebserkrankungen in westlichen Industrienationen betrifft Organe des Urogenitaltraktes. Die Empfehlung der individuell besten Therapie ist komplex und erfordert die Berücksichtigung zahlreicher klinischer, pathologischer und patientenspezifischer Faktoren. In multidisziplinären Tumorkonferenzen (MTK) erarbeiten die ärztlichen Konferenzteilnehmer auf Basis des aktuellen Wissensstands eine fundierte Therapieempfehlung – ein anspruchsvoller Prozess mit hohem Ressourcenbedarf.

An dieser Stelle setzt unser vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt gefördertes Projekt KITTU (Förderkennzeichen 16SV9053, Förderzeitraum: 08/2022–09/2025) an: Ziel ist die Entwicklung eines durch Künstliche Intelligenz (KI) gestützten Assistenzsystems, das beim Urothelkarzinom (UC), Nierenzellkarzinom (NCC) und Prostatakarzinom evidenzbasierte, individualisierte Therapievorschläge generiert – und diese transparent darstellt. Zusätzlich wurde ein Dashboard entwickelt, das nicht nur den KI-Vorschlag visualisiert, sondern auch die Entscheidungsfaktoren nachvollziehbar aufbereitet – inklusive interaktiver Erläuterungen und klinischer Studiendaten. Das System wurde in einem zweistufigen Lernprozess trainiert, um die Entscheidungslogik interdisziplinärer Tumor­boards nachzuahmen. Dabei erfolgt zunächst eine übergeordnete Klassifikation der Therapieart (High-Level), gefolgt von einer differenzierten Empfehlung (Low-Level). Das KI-Training basierte auf strukturierten Patientendaten aus MTK-Empfehlungen der Universitätsmedizin Mainz (2015–2022), die manuell extrahiert wurden, um eine hohe Datenqualität sicherzustellen. Die jeweils 76 (NCC) beziehungsweise 77 (UC) erfassten Merkmale deckten alle für die urologisch-onkologische Entscheidungsfindung relevanten Faktoren ab – einschließlich studienrelevanter Einschlusskriterien. Eingesetzt wurden KI-Verfahren des Maschinellen Lernens (CatBoost, XGBoost, Random Forest) und Deep Learning (SoftOrdering-1d-CNN).

Für die primäre Evaluation diente der F1-Score als Maß für die Genauigkeit des Modells (harmonische Mittel aus Präzision und Recall; max. Wert 1,0). Zusätzlich ermöglicht der Einsatz von SHAP (SHapley Additive exPlanations) Transparenz, indem der Einfluss einzelner Faktoren auf die Therapieempfehlung sichtbar gemacht wird. Ergänzend werden relevante Studiendaten – die für die Entwicklung manuell extrahiert wurden – automatisiert eingeblendet, um evidenzbasierte Entscheidungen zu unterstützen.

Vielversprechende Prognosegenauigkeit

Das Training erfolgte mit 1617 (UC) beziehungsweise 880 (NCC) MTK-Fällen. Die Ergebnisse dieser Etablierungsarbeit zeigten eine vielversprechende Prognosegenauigkeit von mehr als 70 Prozent, je nach Tumor­entität und Therapievorschlag teils deutlich darüber (bis >90%). Alle Ergebnisse sind in der Originalpublikation (1) einsehbar. Besonders hohe F1-Scores erreichte KITTU unter anderem bei:
– UC High-Level: Operation (0,80), medikamentöse Therapie (0,83)
– UC Low-Level: radikale Zystektomie (0,86), Gemcitabin/Cisplatin (0,88)
– NCC High-Level: Nachsorge (0,80), medikamentöse Therapie (0,92)
– NCC Low-Level: Nivolumab (0,78), Pembrolizumab/Axitinib (0,89).

Derzeit läuft die Auswertung eines analogen KI-Modells für das Prostatakarzinom, dessen Ergebnisse zeitnah publiziert werden. Aufbauend auf den bisherigen Erfolgen startet am 1. Oktober 2025 eine prospektive, multizentrische Validierungsstudie des KITTU-Prototyps. Gefördert wird diese zweite Phase des KITTU-Forschungsvorhabens durch die ForTra gGmbH für Forschungstransfer der Else Kröner-Fresenius-Stiftung. Langfristig verfolgt KITTU das Ziel, eine digitale, interaktive Entscheidungsunterstützung in die onkologische Versorgung zu integrieren – zum Nutzen von Patienten und Ärzten. Das übergeordnete Ziel von KITTU ist die KI-generierte Erstellung von evidenzbasierten Therapievorschlägen, um die Behandlungsqualität und die onkologischen Langzeitergebnisse der Patienten zu verbessern. Zudem sollen Risiken und Nebenwirkungen reduziert werden, aus der Vielzahl geeigneter Therapien soll die optimale für den Patienten herausgefiltert und hierdurch die Lebensqualität und Patientenzufriedenheit verbessert werden. Perspektivisch bietet KITTU zudem Potenzial zur Übertragung auf weitere Tumorentitäten und zur internationalen Nutzung – ein vielversprechender Schritt in Richtung KI-gestützter Krebsmedizin.

Die in dieser Studie entwickelte KI wurde am 31. Januar 2025 beim Europäischen Patentamt zur Patentierung angemeldet (Anmeldenummer: EP25155356.6).

Autor:
Dr. med. Gregor Duwe
Klinik und Poliklinik für Urologie und ­Kinder­urologie, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
E-Mail: [email protected]

Die Ergebnisse dieser Studie wurden publiziert unter Duwe G, Mercier D, Kauth V et al. Development of an artificial intelligence-generated, explainable treatment recommendation system for urothelial carcinoma and renal cell carcinoma to support multidisciplinary cancer conference. Eur J Cancer 2025 May 2:220:115367 (s. Link unten).