Langzeitgedächtnis: Zusammenhang zwischen autobiographischem Gedächtnis und Aphantasie entdeckt

Forschungsgruppenleiterin Cornelia McCormick, Merlin Monzel und Pitshaporn Leelaarporn (v. li).Foto.© Universitätsklinikum Bonn/Rolf Müller

Fehlt Menschen die visuelle Vorstellungskraft, wird dies als Aphantasie bezeichnet. Forscher des Universitätsklinikums Bonn (UKB), der Universität Bonn und des Deutschen Zentrums für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) untersuchten, wie sich der Mangel an mentalen Bildern auf das Langzeitgedächtnis auswirkt.

Die Wissenschaftler konnten beweisen, dass Veränderungen in zwei wichtigen Hirnregionen, dem Hippocampus und dem Okzipitallappen, sowie deren Interaktion einen Einfluss auf den beeinträchtigten Abruf persönlicher Erinnerungen bei Aphantasie haben. Die Studienergebnisse, die das Verständnis des autobiographischen Gedächtnisses voranbringen, sind jetzt von dem Fachmagazin „eLife“ online veröffentlicht worden.

Den meisten von uns fällt es leicht, sich an persönliche Momente aus dem eigenen Leben zu erinnern. Diese Erinnerungen sind in der Regel mit lebendigen, inneren Bildern verknüpft. Menschen, die keine oder nur sehr schwache mentalen Bilder erzeugen können, werden als Aphantasten bezeichnet. Bisherige neurowissenschaftliche Studien konnten zeigen, dass vor allem der Hippocampus, der bei der Gedächtnisbildung als Zwischenspeicher des Gehirns fungiert, sowohl das autobiographische Gedächtnis als auch die bildhafte Vorstellungskraft unterstützt. Die Beziehung zwischen den beiden kognitiven Funktionen ist bislang jedoch ungeklärt: „Kann man sich an spezielle Ereignisse in seinem Leben erinnern, ohne dabei innere Bilder zu erzeugen? Wir sind dieser Frage nachgegangen und haben in Zusammenarbeit mit dem Institut für Psychologie der Universität Bonn das autobiographische Gedächtnis von Menschen mit und ohne visuelle Vorstellungskraft untersucht“, erzählt Korrespondenzautorin Dr. Cornelia McCormick von der Klinik für Neurodegenerative Erkrankungen und Gerontopsychiatrie, die auch am DZNE und der Universität Bonn forscht.

Abrufen von Erinnerungen ist abhängig von Erzeugung mentaler Bilder

Der Frage, ob der Hippocampus – insbesondere seine Konnektivität zu anderen Hirnregionen – bei Menschen mit Aphantasie verändert ist, ging das Bonner Team um McCormick nach. Die Forscher untersuchte die Gehirnaktivitäten und -strukturen, die mit Defiziten des autobiografischen Gedächtnisses bei Aphantasie verbunden sind.

An der Studie nahmen 14 Aphantasie-Betroffene und 16 Kontrollpersonen teil. Das Ausmaß der Aphantasie sowie das jeweilige autobiographische Gedächtnis wurden zunächst mit Fragebögen und Interviews ermittelt. „Wir stellten fest, dass Menschen mit Aphantasie mehr Schwierigkeiten beim Abrufen von Erinnerungen haben. Sie berichten nicht nur weniger Details, sondern ihre Erzählungen sind wenig lebhaft und das Vertrauen in die eigene Erinnerung ist vermindert. Dies spricht dafür, dass unsere Fähigkeit, sich an die persönliche Biographie zu erinnern, eng mit unserer Vorstellungskraft verbunden ist”, erklärt der Ko-Autor Merlin Monzel, Doktorand im Institut für Psychologie der Universität Bonn.

Anschließend haben sich die Studienteilnehmer an autobiographische Ereignisse erinnert, während Bilder ihres Gehirns mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) aufgezeichnet wurde. „Hierbei zeigte sich, dass der Hippocampus, der eine wichtige Rolle beim Abrufen lebendiger, detailreicher autobiografischer Erinnerungen spielt, bei Personen mit Aphantasie weniger stark aktiviert ist”, berichtet Co-Autorin und Doktorandin Pitshaporn Leelaarporn, die am UKB und am DZNE arbeitet.

Zudem gab es Unterschiede bei der Interaktion zwischen Hippocampus und visuellen Kortex. Dieser ist für die Verarbeitung und Integration der visuellen Information im Gehirn verantwortlich und im Okzipitallappen lokalisiert. „Die Konnektivität zwischen dem Hippocampus und dem visuellen Kortex korrelierte bei Personen ohne Aphantasie mit ihrer Vorstellungskraft, bei Betroffenen fand sich keine Korrelation“, erörtert Leelaarporn.

„Insgesamt haben wir zeigen können, dass das autobiographische Gedächtnis bei Menschen, welche eine eingeschränkte visuelle Vorstellungskraft haben, nicht so gut funktioniert, wie bei Menschen, die sich sehr leicht etwas bildhaft vorstellen können. Diese Ergebnisse werfen weitere Fragen auf, denen wir zurzeit nachgehen“, resümiert McCormick.

Zum einen sei es nun wichtig herauszufinden, ob Menschen, die von Geburt an blind sind und nie ein Repertoire an inneren Bildern aufbauen konnten, sich an detailreiche autobiographische Ereignisse erinnern können. Zum anderen wollen die Bonner Forscher untersuchen, ob man diese Fähigkeit trainieren kann. „Eventuell kann man sogar Personen helfen, die an Gedächtnisstörungen leiden, wie zum Beispiel bei der Alzheimer Demenz, indem man anstelle vom üblichen Gedächtnistraining, Training im visuellen Vorstellungsvermögen anbietet“, verdeutlicht McCormick.