Leitlinie zur Neuroborreliose kann in Kraft treten

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Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) darf ihre medizinische Leitlinie Neuroborreliose in der vorgesehenen Form veröffentlichen. Dies hat das Landgericht Berlin am 12. März in seinem schriftlichen Urteil bestätigt.

Im Dezember hatten die Patientenorganisation Borreliose und FSME Bund Deutschland e.V. (BFBD) und die Deutsche Borreliose-Gesellschaft (DBG) per einstweiliger Verfügung einen Stopp der Leitlinie erwirkt (wir berichteten). Ein nach Einschätzung der DGN einmaliger Vorgang: Über drei Jahre lang hatten 25 Organisationen, darunter auch die beiden staatlichen Institute Robert Koch-Institut für Infektionskrankheiten und Paul-Ehrlich-Institut, an der Leitlinie gearbeitet. Gemeinsam hatten sie die aktuellen Diagnostik- und Behandlungsleitlinien dieser Erkrankung des Nervensystems nach einem Zeckenstich recherchiert, in Konferenzen diskutiert und in demokratischen Abstimmungsprozessen unter Moderation der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) über die aktuell bestmöglichen Empfehlungen abgestimmt.

Die Deutsche Borreliose-Gesellschaft e.V. und der Borreliose und FSME Bund Deutschland e.V. wollten sich dem wissenschaftlich begründeten Mehrheitsvotum, vor allem zur späten, chronischen Form der Borreliose, nicht anschließen und hatten Sondervoten verfasst, die als Dissensberichte im Leitlinienreport veröffentlicht werden sollten. Diese Platzierung war den Organisationen nicht prominent genug, sie hatten eine Publikation in der Leitlinie selbst im Auge. Aus diesem Grund hatten sie das Landgericht Berlin angerufen, das im Dezember mit einer einstweiligen Verfügung die Publikation der Leitlinie vorerst untersagte. Mit dem aktuellen Urteil wird nun nicht nur die gegen die DGN ergangene einstweilige Verfügung aufgehoben, sondern auch der Antrag der zwei Organisationen, die Sondervoten in den Leitlinientext aufzunehmen, zurückgewiesen. Die DGN als federführende Fachgesellschaft wird die Leitlinie nun in ihrer ursprünglichen Version veröffentlichen.

„Dieser Versuch, nach wissenschaftlichen Kriterien nicht haltbare Ansichten und damit für Patienten mitunter gefährliche Therapieformen per Jurisdiktion durchzusetzen, ist unserer Kenntnis nach ein einmaliger Vorgang“, sagte Prof. Sebastian Rauer, einer der beiden Koordinatoren der medizinischen Leitlinie. „Zum Glück ist das nicht gelungen. Die fachliche Mehrheitsmeinung, die nach größtmöglicher Objektivität strebt, kann nun publiziert werden – zum Wohle unserer Patienten.“

Auch Prof. Gereon R. Fink, Präsident der DGN, zeigte sich zufrieden: „Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie aktualisiert laufend rund 80 Leitlinien für die wichtigsten Krankheitsbilder und Therapieformen in der Neurologie. Wir sind froh, dass mit dem Urteil klargestellt ist: Leitlinien werden nach wissenschaftlichen Kriterien erstellt und nicht nach spezifischen Interessen Einzelner.“

 Um die teilweise diametral entgegengesetzten Ansichten der klagenden Organisationen wissenschaftlich abzugleichen, seien die beiden Organisationen gezielt in die Entwicklung der S3-Leitlinie eingebunden worden, erklärte die DGN. Die mangelnde Diskurs- und Kompromissfähigkeit der beiden Organisationen habe schließlich zu dem Rechtsstreit beim Landgericht Berlin geführt.

Unzureichender Nachweis der Krankheit

Lyme-Borreliose ist die am häufigsten durch Zecken übertragene Krankheit in Europa. In Deutschland infizieren sich jährlich zwischen 60.000 und mehr als 200.000 Menschen mit dem bakteriellen Erreger. Die Borrelien befallen vorwiegend die Haut, können sich aber auch im übrigen Körper ausbreiten. In drei bis 15 Prozent der Fälle ist das Nervensystem betroffen. Hinsichtlich der Diagnostik und Therapie der akuten Neuroborreliose bestehe weitgehende Einigkeit zwischen den wissenschaftlichen Fachgesellschaften und den beiden Organisationen.

Bei der späten Neuroborreliose und vermeintlich latenten Langzeitinfektionen gingen die Meinungen jedoch so weit auseinander, dass keine inhaltliche Annäherung möglich war. Den sogenannten Lymphozyten-Transformationstest, der bei diffusen Beschwerden wie chronischer Müdigkeit, muskuloskelettalen Schmerzen, Abgeschlagenheit oder Konzentrationsstörungen, eine chronische Borreliose nachweisen soll, halten die wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften für nicht aussagekräftig, da er nicht in zuverlässigen wissenschaftlichen Studien evaluiert ist.

Von der Antibiotika-Langzeittherapie mit großem Risiko für Nebenwirkungen wird abgeraten

„Für eine Langzeitbehandlung der Neuroborreliose mit Antibiotika über mehr als drei Wochen, wie sie von manchen Ärzten durchgeführt wird, gibt es keine wissenschaftliche Grundlage. Sie birgt aber ein großes Risiko für Nebenwirkungen“, betonte Rauer. „Als Ärzte stehen wir in der Verantwortung, unsere Patienten vor Heilversuchen, deren Nutzen nicht wissenschaftlich belegt ist, die aber schaden können und für die sie mitunter große Summen aus eigener Tasche aufbringen müssen, zu schützen“, sagte er. Die S3-Leitlinie der DGN soll Ärzten und Patienten nun Sicherheit auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand geben.

Leitlinie Neuroborreliose:
Rauer S., Kastenbauer S. et al. S3-Leitlinie Neuroborreliose. 2018. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Hrsg., Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online in Vorbereitung: www.dgn.org/leitlinien und www.awmf.org