Lob und Kritik an G-BA-Vorgaben für ein Ersteinschätzungsverfahren in Notaufnahmen

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Während die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) in den Vorgaben des G-BA zur Ersteinschätzung des Versorgungsbedarfs in der Notfallversorgung Nachteile für akut Hilfesuchende befürchtet, bewertet der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa) diese positiv. Der GKV-Spitzenverband verlangt weitere Nachbesserungen vom Gesetzgeber.

Am Donnerstag, 6. Juli, gab der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) seine Vorgaben für ein qualifiziertes und standardisiertes Ersteinschätzungsverfahren in Notaufnahmen von Krankenhäusern bekannt. Demnach sollen Hilfesuchende nur dann ambulant im Krankenhaus behandelt oder gegebenenfalls auch stationär aufgenommen werden, wenn ein sofortiger Behandlungsbedarf festgestellt wird. In allen anderen Fällen soll die Behandlung grundsätzlich in der vertragsärztlichen Versorgung erfolgen – nach einer weiteren Einteilung der Dringlichkeit in zwei Stufen (wir berichteten).

Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. „Mit dem heute getroffenen Beschluss zum Einschätzungsverfahren missachtet der G-BA den Auftrag des Gesetzgebers und trifft Regelungen, die die Versorgung von ambulanten Notfällen zum Nachteil der Patienten stark einschränken“, bemängelte der DKG-Vorsitzende Dr. Gerald Gaß. Er fürchtet, dass mit der Entscheidung ein wesentlich Teil der Hilfesuchenden an den Tresen der Notaufnehmen abgewiesen werden muss, ohne dass der konkrete Hilfebedarf durch eine ärztliche Untersuchung eingeschätzt wird. In einem eigenen Konzept hatte die Krankenhausgesellschaft dafür geworben, dass Patientinnen und Patienten erst nach einer Ersteinschätzung durch einen Arzt oder eine Ärztin weitergeleitet werden.

„Dies hat die Stimmenmehrheit im G-BA aus Krankenkassen und Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) gemeinsam mit den unparteiischen Vorsitzenden so festgelegt. Da bis heute und auch absehbar kein valides Ersteinschätzungsverfahren existiert, dass es erlaubt, ambulante Notfälle medizinisch exakt und verlässlich in dringende und weniger dringende Fälle einzuteilen, hatte sich die DKG bis zuletzt im G-BA dafür eingesetzt, dass Krankenhäuser keine Patienten abweisen müssen, ohne dass eine ärztliche Einschätzung der Dringlichkeit und ggfs. eine Erstversorgung erfolgt“, so Gaß weiter. Eine solche Abweisung von Patienten ohne ärztliche Abklärung ist aus Sicht der DKG bis auf weiteres nur dann möglich, wenn eine im Krankenhaus unmittelbar erreichbare Notdienstpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung diese Patienten direkt übernehmen kann.

Die DKG sieht daher einen „klaren Verstoß des G-BA gegen den gesetzlichen Auftrag“ und müsse deshalb jetzt im weiteren Verfahren auch durch die Rechtsaufsicht im Bundesgesundheitsministerium gestoppt werden.

Weiterhin kritisiert die Krankenhausgesellschaft, dass nach dem G-BA-Beschluss ab dem Jahr 2027 in allen ambulanten Notaufnahmen am Tresen 24/7 speziell weitergebildete Notfallpflegekräfte tätig werden. Nach Ansicht der DKG werden diese hochqualifizierten Pflegekräfte jedoch viel dringender in der Notfallambulanz in Behandlungs- und Schockräumen gebraucht. „Pflegekräfte mit einer solchen Zusatzqualifikation sind weder heute noch absehbar in Zukunft in der vom G-BA geforderten Anzahl verfügbar“, moniert Gaß. Konkret werde dies dazu führen, dass heute noch existierende ambulante Notaufnahmen perspektivisch schließen oder ihre Öffnungszeiten drastisch einschränken müssten.

„Diese Entscheidung des G-BA zeigt, dass weder die Krankenkassen noch die KBV Interesse an einer flächendeckenden Notfallversorgung haben, obwohl allgemein bekannt ist, dass die Notfallversorgungsstrukturen der Kassenärztlichen Vereinigungen große Lücken aufweisen und viele Patienten vor allem deshalb die Notfallambulanzen der Krankenhäuser aufsuchen“, so Gaß.

„Gänzlich praxisfremd“ sei auch die Entscheidung hinsichtlich des einzusetzenden Ersteinschätzungsinstruments. Festgelegt wurde, dass ab dem 1. März 2025 ein Instrument eingesetzt werden muss. Bis dato liege aber kein wissenschaftlich ausreichend validiertes und in der Fachwelt anerkanntes System vor. „Der Beschluss fußt also auf der Hoffnung, dass binnen kurzer Zeit ein System patientensicher validiert und geprüft ist und flächendeckend eingesetzt werden kann. Dies ist mehr als unrealistisch.“

Lob vom SpiFa

Im Gegensatz zur DKG bewertet der SpiFa die Regelung des G-BA positiv. Der SpiFa-Vorstandsvorsitzende Dr. Dirk Heinrich erläutert: „Eine gelungene Krankenhausreform kann nur gelingen, wenn die Reform der Notfallversorgung gut durchdacht ausgestaltet wird. Bürgerinnen und Bürger, die die Notfallaufnahme aufsuchen, nehmen die teuerste medizinische Versorgungsstruktur in Anspruch. Dies sollen sie auch! Allerdings nur, wenn sie tatsächlich ein Fall für das Krankenhaus sind. Alle anderen Patientinnen und Patienten gehören in die medizinische ambulante Versorgungsebene.“

GKV-Spitzenverband hält weitere Schritte für nötig

Laut GKV-Spitzenverband ist zwar ein erster wichtige Schritt zur Reform der Notfallversorgung geschafft, allerdings hätten die gesetzlichen Vorgaben des Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetzes, auf denen die Richtlinie basiert, jedoch weiterreichende Verbesserungen verhindert. Der Gesetzgeber müsse deshalb bei den kommenden Reformschritten zur Notfallversorgung noch nachzusteuern, appelliert der Spitzenverband.

Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband: „Die medizinische Ersteinschätzung ist ein wichtiger Schritt, der die bedarfsgerechte Versorgung Hilfesuchender ermöglicht und gleichzeitig die Notaufnahmen entlasten kann. Was leider noch fehlt, ist die Möglichkeit, Menschen direkt einen verbindlichen Termin in einer ambulanten ärztlichen Praxis zu geben – das wäre für Hilfesuchende ein großer Mehrwert. Der Gesetzgeber ist gefordert, diese Chance auf eine bessere Versorgung bei den nächsten Reformschritten noch zu nutzen.“

Hintergrund: Mit der neuen Richtlinie legt der G-BA vor allem die Qualifikation des medizinischen Personals, das die Ersteinschätzung durchführt, fest und macht Vorgaben, wann eine Ärztin oder ein Arzt einbezogen werden muss. Spätestens ab dem 1. Juni 2024 müssen Krankenhäuser die Anforderungen der Richtlinie erfüllen. Spätestens ab dem 1. März 2025 muss das Ersteinschätzungsverfahren durch ein digitales Instrument unterstützt werden. Ab 1. Januar 2024 bekommen Krankenhäuser von der zuständigen KV die Möglichkeit, einen Vermittlungscode für die Terminservicestelle zu erstellen.

(ah/hr)