Machbarkeitsstudie ebnet Weg für klinische Anwendung von Herzpflaster

Das Herzpflaster wird aus induzierten pluripotenten Stammzellen gewonnenen Herzmuskel- und Bindegewebszellen in einem Kollagen-Hydrogel hergestellt. (Bild: ©umg/eva meyer-besting)

Ein mit Stammzellen angereichertes „Herzpflaster“ macht den nächsten Schritt zur Anwendung bei Herzinsuffizienz. Derartige Gewebepflaster könnten aber auch bei weiteren Erkrankungen zum Einsatz kommen.

Im Fachmagazin „Nature“ präsentiert ein Forschungsteam der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Lübeck, Ergebnisse an Rhesusmakaken und einem Menschen, bei denen ein Herzpflaster aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSC) bei Herzinsuffizienz angewendet wurde. Für diese Erkrankung gibt es derzeit keine ausreichenden Behandlungsmöglichkeiten. Die Studie sei „ein Meilenstein für die klinische Anwendung des Herzpflasters als innovative Therapieoption bei schwerer Herzschwäche“, hebt das UMG hervor.

Aus Körperzellen werden Herzmuskelzellen

Bei dem Herzpflaster handelt es sich um ein im Labor aus iPSC gezüchtetes Herzmuskelgewebe, das sich aus Bindegewebe- und Herzmuskelzellen zusammensetzt. Es wird auf den geschwächten Herzmuskel aufgebracht, um das Herz dauerhaft zu stärken. iPSC können aus schon ausgereiften Körperzellen, wie zum Beispiel Bindegewebezellen, hergestellt werden. Im Labor werden diese Körperzellen zu pluripotenten Stammzellen umprogrammiert und vermehrt. Aus ihnen können dann wiederum beliebige Körperzellen entstehen, aus denen man ganze Gewebe und kleine Organoide erzeugen kann. Neben dem Einsatz als Gewebeersatz können an diesen auch Krankheitsmechanismen untersucht und Medikamente getestet werden.

Studie im Tiermodell ebnet Weg für klinische Anwendung

Vor fast genau vier Jahren – im Februar 2021 – hat die UMG bekannt gegeben, dass das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) erstmalig die Prüfung eines Herzmuskelpräparates aus Stammzellen genehmigt habe. Daraufhin wurde am UMG sowie am UKSH Campus Lübeck die klinische Studie BioVAT-HF-DZHK20 eingeleitet – nach mehr als 25 Jahren Forschung und präklinischer Entwicklung, wie es damals vom UMG hieß.

Voraussetzung für die Genehmigung der klinischen Prüfung durch das PEI war eine vorausgehende Überprüfung der Sicherheit und Wirksamkeit des Herzpflasters im Tiermodell. Diese erfolgte am Deutschen Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung (DPZ) bei Rhesusaffen. Die aktuelle „Nature“-Publikation fasst die dabei gewonnen Erkenntnisse zusammen.

Die Forschenden konnten zeigen, dass implantierte Herzpflaster, die aus 40 bis 200 Millionen Zellen bestehen, zu einer Verbesserung der Herzfunktion durch Herzmuskelaufbau führen. Bildgebende Verfahren und Gewebeanalysen bestätigten, dass die implantierten Herzmuskelzellen langfristig erhalten bleiben und die Pumpfunktion des Herzens stärken.

„Die Herausforderung bestand darin, ausreichend Herzmuskelzellen aus induzierten pluripotenten Stammzellen von Rhesusaffen zu gewinnen, um eine nachhaltige Reparatur des Herzens zu erreichen, ohne gefährliche Nebenwirkungen wie Herzrhythmusstörungen oder Tumorwachstum zu verursachen“, erklärt Prof. Wolfram-Hubertus Zimmermann, Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der UMG und wissenschaftlicher Leiter der vorklinischen und klinischen Herzpflaster-Studien.

Erste Beobachtung am Menschen

Zusätzlich berichtet die Studiengruppe über eine ersten klinischen Fall einer Patientin mit terminaler Herzinsuffizienz, die drei Monate nach der Herzpflaster-Operation schließlich eine Herztransplantation erhalten hatte. Eine Chance für die Forschenden, ihr Herz mit dem Herzpflaster genauer untersuchen zu können.

„Erstmals konnten wir den Aufbau echter Herzmuskulatur am menschlichen Herzen beobachten. Die erfolgreiche Behandlung zeigt, dass wir mit dem Herzpflaster auf dem richtigen Weg sind“, sagt Prof. Ingo Kutschka, Direktor der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie der UMG und chirurgischer Leiter der BioVAT-HF-DZHK20-Studie an der UMG.

„Die Ergebnisse dieser Untersuchungen waren entscheidend für die Genehmigung der weltweit ersten klinischen Studie zur Reparatur des Herzens mit im Labor entwickelten Gewebeimplantaten in Menschen mit fortgeschrittener Herzmuskelschwäche“, betont Zimmermann. Und weiter: „Diese Arbeit fasst unsere wichtigsten Erkenntnisse auf dem Weg in die klinische Prüfung zusammen und kann damit als Muster für die Überführung neuartiger Stammzell-basierter Therapieverfahren in die Klinik dienen. Darüber hinaus belegt unsere Arbeit erstmalig, dass Herzmuskelreparatur durch Herzmuskelwiederaufbau auch im Menschen möglich ist.“

Proof-of-Concept-Studie im Gange

Auf den so gewonnen Erkenntnissen baut nun die klinische Studie BioVAT-HF-DZHK20 auf. Sie wird vom Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) und der Repairon GmbH, einer Ausgründung aus der UMG, finanziert. Für die Studie seien bereits 15 Patienten mit insgesamt zehn Milliarden Herzmuskelzellen aus iPSC in Form sogenannter Engineered Heart Muscle (EHM) behandelt worden, berichtet die UMG.

Schon im April 2023 hatten die beteiligten Institutionen vermeldet, sie hätten den ersten Teil der Studie – die Dosisfindung – abgeschlossen. Nach Behandlung von zehn Patienten habe die maximale sichere Höchstdosis von 800 Millionen Herzzellen pro Herzpflaster festgestanden. Anschließend wurde die Studie als Proof-of-Concept-Studie fortgesetzt, in die schlussendlich 35 Patienten aufgenommen werden sollen. Eine erste Zwischenauswertung mit Augenmerk auf die Wirksamkeit planen die Studienverantwortlichen nach Behandlung von insgesamt 15 Patienten mit einer Dosis von 800 Millionen Zellen. Erste Ergebnisse werden für Ende 2025 erwartet.

Gewebe-Ersatz für weitere Erkrankungen

Aktuell wird für verschiedene Erkrankungen in klinischen Studien erprobt, wie Gewebe-Ersatz aus iPSC helfen kann. Das ist besonders bei bisher ursächlich kaum behandelbaren Erkrankungen denkbar: etwa bei Diabetes Typ 1 oder der altersabhängigen Makuladegeneration, die zur Erblindung führen kann. So berichteten chinesische Forscher im letzten Jahr, erstmals Beta-Zellen aus iPSC bei einer Diabetes-Patientin angewandt zu haben. Sie war danach unabhängig von Insulinspritzen. 2014 gab es die erste Transplantation von Netzhautzellen aus iPSC, seitdem laufen viele klinische Studien: Die Sehfähigkeit kann dadurch verbessert werden. Weitere Anwendungsgebiete sind beispielsweise Krebserkrankungen, die Parkinson-Krankheit, Krankheiten des blutbildenden Systems, Rückenmarksverletzungen oder Knorpelschäden.

(ah)