Mann, Frau und dazwischen aus Sicht der Neurowissenschaft

Existieren nur zwei Geschlechter oder ist das Geschlechtsspektrum vielfältiger? Über diese Frage wird mit viel Leidenschaft und oft auch aggressiv gestritten. Doch was sagt eigentlich die Neurobiologie dazu? Ein aktuelles Buch klärt auf.

Prof. Lutz Jäncke, Neuropsychologe und kognitiver Neurowissenschaftler, beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Gehirn des Menschen und seinem Verhalten. In seinem neuen Buch widmet sich der emeritierte Ordinarius an der Universität Zürich einer der kontroversesten Debatten in unserer heutigen Gesellschaft.

Reise durch Geschichte, Biologie und Psychologie

In „Mann und Frau – ein Auslaufmodell?“ legt Jäncke anschaulich dar, wie Geschlechtsunterschiede durch ein Zusammenspiel biologischer, sozialer und psychologischer Faktoren entstehen. Der Autor lädt den Leser ein auf eine Reise durch die Geschichte der Geschlechterrollen und der neurowissenschaftlichen Erkenntnisse. Von der Analyse der Geschlechterrollen in den Gesellschaften der Steinzeit, Antike und bei Naturvölkern arbeitet er sich vor zu den Geschlechtsunterschieden in Bezug auf Gene und Hormone und gibt einen Überblick über die aktuelle Transgender-Forschung.

Jäncke analysiert die vermeintlichen Unterschiede in männlichen und weiblichen Gehirnen und den aktuellen Stand der Wissenschaft, was die psychischen Unterschiede zwischen Mann und Frau angeht. Dabei legt er einen besonderen Fokus auf die bemerkenswerte Lern- und Interpretationsfähigkeit des menschlichen Gehirns. Diese Fähigkeiten des Gehirns machen es Jäncke zufolge möglich, dass Menschen heute als vollkommen normal empfinden können, was noch vor Jahrzehnten als krankhaft oder gar strafwürdig angesehen wurde. Hierzu zählt auch der nachweisbare Trend zu größerer sexueller Vielfalt bei der jüngeren Generation.

Beitrag zur Versachlichung

Eine der Stärken des Buches liegt darin, dass Jäncke stets die neutrale wissenschaftliche Position beibehält und sich nicht dazu hinreißen lässt, in die mediale Tortenschlacht zum Thema Gender ein weiteres Konditorenstück hineinzuwerfen. Eine der wichtigsten Erkenntnisse besagt, dass rein biologische Unterschiede in der Regel keine massiven Auswirkungen auf intellektuelle Leistungen oder emotionale Funktionen haben. Medienwirksame und Bestseller-verdächtige Zuschreibungen, wie Mann und Frau angeblich von Natur aus sind oder zu sein haben, entbehren also aus wissenschaftlicher Sicht einer robusten Grundlage. „Man muss das subjektive vom biologischen Geschlecht unterscheiden. Diese beiden Perspektiven werden in der aktuellen Geschlechtsdiskussion ständig verwechselt und vermischt“, betont der Autor. Ein wichtiger Beitrag zur Versachlichung dieses hochemotionalen Themas.

(ms/BIERMANN)

Lutz Jäncke: „Mann und Frau – ein Auslaufmodell? Warum sie sich ähnlicher sind, als wir vermuten, und wo der wahre Unterschied liegt“. Hogrefe Verlag, Bern (Schweiz) 2025. Softcover, 64 Seiten, € 28,00. ISBN 978-3-456-86410-5