Massenanfall von Erkrankten optimal steuern

TraumaNetzwerk DGU® als Vorbild für die Versorgung Schwererkrankter während einer Pandemie? (Foto: Halfpoint/stock.adobe.com)

Die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) sieht ihr TraumaNetzwerk als Vorbild für zukünftige Strukturen, um PatientInnen auch bei Pandemien länderübergreifend schnell versorgen zu können.

Ein Massenanfall von Verletzten oder Erkrankten bei einem Zugunfall, einem Terroranschlag oder einer Pandemie: Immer wieder gibt es Situationen, in denen die Zahl an Patienten sprunghaft steigt und droht, die Krankenhäuser zu überlasten.

Mit dem TraumaNetzwerk DGU® verfüge man heute bereits über ein länderübergreifendes Akutnetzwerk, in dem Schwerverletzte an jedem Ort in Deutschland rund um die Uhr optimal versorgt werden. So werde mit Verlegungskonzepten zur Zuweisung von Patienten sichergestellt, dass eine einzelne Klinik nicht überlastet wird, erklärt die DGU.

„Solche Strukturen könnten auch bei einer Pandemie helfen, die Patienten koordiniert auf die Krankenhäuser zu verteilen und damit die Auslastung zu steuern, um Überlastung zu vermeiden. Denn ein Virus, wie Corona, macht nicht an Ländergrenzen halt. Die Netzwerkstruktur, die wir in den TraumaNetzwerken seit mehr als 15 Jahren ‚leben‘, könnte das Modell für die Zukunft sein“, sagt DGU-Präsident Prof. Michael J. Raschke.

Gemeinsamkeiten bei Massenanfällen von Verletzten und bei Pandemien

Die DGU verweist dabei auf Analogien zwischen einer Pandemie und ein Massenanfall von Verletzten, wie etwa bei einem Zugunglück oder einem Terroranschlag: zu viele Patienten für zu wenig Kapazitäten. Allerdings würden bei einem Terroranschlag in kürzester Zeit ungewöhnlich viele Patienten medizinisch versorgt werden müssen, während die Zahlen bei einer Epidemie oder Pandemie allerdings eher langsam, dafür aber über einen längeren Zeitraum unaufhörlich stiegen.

“Anders als bei der organisierten Schwerverletztenversorgung sind viele Krankenhäuser auf einen Massenanfall an Erkrankten im Falle einer Pandemie nur bedingt vorbereitet”, konstatiert die DGU. “Überdurchschnittlich viele Patienten müssen in Kliniken aufgenommen werden, wobei es regional sehr große Unterschiede bei der Erregerausbreitung gibt. Schnell muss klar sein, wer verfügt über freie Betten, freie Intensivkapazitäten und Fachpersonal. Falls regional eine Klinik mit ihren Ressourcen an ihre Grenzen stößt, müssen Patienten frühzeitig in andere Kliniken verlegt und aufgenommen werden. Hier spielt der Zeitpunkt der Verlegung eine entscheidende Rolle”, so die Fachgesellschaft weiter.

Föderale Krankhausstrukturen können bei einer Pandemie Patientenversorgung behindern

In der Realität scheitere dieses Vorhaben nicht selten an den föderalen Krankenhausstrukturen. Bei einer Überlastung sei es dann sehr aufwendig, länderübergreifend Patienten zu verlegen oder überhaupt Krankenhäuser zu finden, die Patienten aufnehmen könnten. Denn für diesen Fall existierten keine strukturierte Steuerung, etablierte Kommunikationswege und gemeinsam genutzte Telematikstrukturen, erklärt die DGU.

„Länderübergreifende Netzwerkstrukturen wie in unserem Akutnetzwerk bringen für die Patienten einen Riesenvorteil. Denn kein Krankenhaus steht bei einem Massenanfall an Verletzten alleine da. Wenn alle Betten voll sind, ist klar, welche Klinik angefragt werden kann und welche gegenseitigen Aufnahmeverpflichtungen bestehen“, sagt Prof. Benedikt Friemert, Mitglied der DGU-AG Einsatz-, Katastrophen- und Taktische Chirurgie und DGU-Vizepräsident.

„Mit dem Ausrollen der Netzwerkstrukturen von 700 Kliniken, angepasst an die Notwendigkeiten einer Pandemie, auf die insgesamt über 2000 Krankenhäuser, würde beispielsweise eine flächendeckende telemedizinische Vernetzung zwischen allen Kliniken in Deutschland etabliert. Diese könnte auch über die aktuelle Lage hinaus Bestand haben“, so Friemert. Nach Angaben der DGU gibt es zwar bereits jetzt schon lokale und regionale Krankenhauskooperationen, aber diese seien unterschiedlich organisiert und hätten verschiedene digitale Standards.

Vor mehr als 15 Jahren habe auch die Situation bei der Schwerverletztenversorgung nicht anders ausgesehen, erklärt die DGU. „Ich erinnere mich an eine Zeit, in der nach einem Unfall ein Rettungswagen oder Hubschrauber mehrere Krankenhäuser anfahren bzw. kontaktieren musste, bis die Schwerverletzten von einer Klinik mit entsprechenden Schockraumressourcen, Fachpersonal und freien Betten aufgenommen wurden. Diese Zeitverzögerung ist zum erheblichen Nachteil für die Patienten“, sagt DGU-Generalsekretär Prof. Dietmar Pennig, einer der Mitbegründer des Akutnetzwerkes.

Vorteile von strukturierten Krankenhausnetzwerken

Damals schrieben Unfallchirurgen die optimalen Bedingungen für die Versorgung von Schwerverletzten im Weißbuch Schwerverletztenversorgung fest und gründeten die Initiative TraumaNetzwerk DGU® mit dem Ziel, jedem Schwerverletzten an jedem Ort zu jeder Zeit bestmögliche Überlebenschancen unter standardisierten Qualitätsmaßstäben zu bieten und auch außerhalb der Ballungszentren eine optimale Versorgung zu gewährleisten. Auch die Versorgung von Schwerstverletzten bei Massenanfällen sei mitbedacht und seitdem weiterentwickelt worden. Laut DGU haben sich heute die Kliniken regional und grenzüberschreitend zu 53 zertifizierten Netzwerken flächendeckend zusammengeschlossen.

Nach Angaben der DGU ergeben sich folgende Vorteile aus dem TraumaNetzwerk:

Netzwerke machen nicht an Ländergrenzen halt

  • regionaler Zusammenschluss von mindestens einem überregionalen, zwei regionalen und drei lokalen Traumazentren
  • Eine nachträgliche Aufnahme weiterer Kliniken in ein bereits zertifiziertes TraumaNetzwerk ist möglich.
  • An der Initiative nehmen gegenwärtig Kliniken aus Deutschland, Österreich, Schweiz, Niederlande, Belgien und Luxemburg teil.

Verbund von Netzwerken

  • Es bestehen Vereinbarungen zur erleichterten Kommunikation inklusive definierter und hinterlegter Notfallnummern sowie Vereinbarungen zur Zusammenarbeit mit anderen TraumaNetzwerken im Katastrophen- und Massenanfall.
  • abgestimmte Versorgungsstandards und qualitätsgestützte Kooperation zwischen den Kliniken eines TraumaNetzwerks, insbesondere Absprachen zur Verlegung von Patienten
  • Optimierung der Prozess- und Strukturqualität durch eine zertifizierte Vernetzung geprüfter Unfallkliniken (TraumaZentren) einer Region

Nutzung einer gemeinsamen Telematikstruktur

  • Es kann auf die etablierte telemedizinische Vernetzung der beteiligten Zentren zur Übermittlung von Befund- und Bilddaten zurückgegriffen werden. Diese ist innerhalb der Netzwerke verpflichtend.
  • Fast alle Netzwerke sind an die gemeinsame Telemedizinstruktur TKmed angebunden, die mit Wachstum des Netzes beliebig weiter ausgebaut werden kann.

Optimierte Nutzung gemeinsamer Ressourcen

  • enge Kooperation der Netzwerkklinken in den Bereichen Diagnostik, Therapie, Qualitätssicherung und Forschung
  • Unterstützung bei der Behandlung von komplexen Verletzungsmustern
  • Einbindung in Absprachen mit dem primären und sekundären Schwerverletztentransport

Steuerung von Patientenflüssen

  • definierte Kriterien für die Zuweisung eines Schwerverletzten oder Erkrankten in eine Klinik
  • Aufnahmegarantie durch die zertifizierten Kliniken
  • Regelungen zur Weiterverlegung von Patienten innerhalb des Netzwerks
  • garantierte Aufnahme von Schwerverletzen rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr