Mehr als die Hälfte der Niedergelassenen denkt ans Aufhören – obwohl sie ihre Arbeit wichtig finden

KBV-Vorstandsvorsitzender Andreas Gassen. Foto: Lopata/axentis.de

Mehr als 60 Prozent der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten denken laut einer aktuellen Online-Umfrage darüber nach, vorzeitig aus der Patientenversorgung auszusteigen. „Mehr als ein Alarmsignal!“, kommentiert die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV).

Die KBV hat die repräsentative Befragung gemeinsam mit dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) vom 19.10.-04.12.2023 online durchgeführt. Teilgenommen haben knapp 32.000 Vertragsärzte und Psychotherapeuten. Es war nach KBV-Angaben die größte Ärztebefragung seit über zehn Jahren.

„Die Ergebnisse dieser Befragung übertreffen meine schlimmsten Erwartungen: Über 60 Prozent der Kolleginnen und Kollegen spielen mit dem Gedanken, aufgrund der schlechten Rahmenbedingungen vorzeitig aus der Patientenversorgung auszusteigen. Wenn Politik jetzt nicht reagiert, werden wir bereits ab dem kommenden Jahr zunehmende Versorgungslücken haben, nicht nur auf dem Land, sondern auch in den Städten“, warnte KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen.

Ein weiteres Ergebnis der Umfrage ist, dass knapp über 98 Prozent der Befragten ihre Arbeit als nützlich und sinnvoll empfinden. „Diese Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Vereinfacht gesagt: Ärzte und Psychotherapeuten wollen schlichtweg ihren Job machen – und das so gut wie möglich. Aber miserable Rahmenbedingungen bremsen sie an allen Ecken und Enden aus“, sagte die Vorsitzende der KBV-Vertreterversammlung, Dr. Petra Reis-Berkowicz. Sie verwies ausdrücklich auf die sieben Kernforderungen der KBV an Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) vom August, um Abhilfe zu schaffen.

Rund 62 Prozent der ärztlichen und psychotherapeutischen Kolleginnen und Kollegen fühlten sich laut der Umfrage ausgebrannt. KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner konkretisiert, was den Ärzten das Leben schwer macht: Viele “verzweifeln (…) an einem Übermaß an Bürokratie, schlecht gemachter Digitalisierung, einer unzureichenden finanziellen Situation und dem damit verbundenen Fachkräftemangel sowie nicht zuletzt an der fehlenden politischen Wertschätzung ihrer enormen Arbeit.“

„Anhand dieser Befragung lässt sich eindrucksvoll ablesen, dass unsere Forderungen kein Lobbyisten-Geschrei von Funktionären sind, wie es der Bundesgesundheitsminister zuweilen darstellen möchte“, erklärte der stellvertretende KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Stephan Hofmeister. „Diese Ergebnisse spiegeln die ganz realen Probleme und Sorgen der Praxen wider. Das ist eine veritable Krise.“ Frühzeitig habe man dem Minister Lösungsvorschläge unterbreitet. Jetzt müsse er handeln. Hofmeister: „Obwohl es einige wenige, zaghafte erste positive Reaktionen gibt – es darf nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben.“

„Noch existiert ein dichtes Praxisnetz, durch das mehr als 600 Millionen Behandlungsfälle pro Jahr versorgt werden. Aber schon jetzt sind bundesweit fast 6000 Arztsitze unbesetzt, weil die Niederlassung im Vergleich zu anderen Formen der ärztlichen Berufsausübung an Attraktivität eingebüßt hat. Tendenz steigend. Wer aufhört, findet immer seltener einen Nachfolger für die Praxis. Wenn aber die Praxen zunehmend ausfallen, werden Lücken in das bislang noch engmaschige Versorgungsnetz gerissen, die die jetzt schon völlig überforderten Krankenhäuser niemals werden füllen können. Die Leidtragenden werden die Patientinnen und Patienten sein“, mahnte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried.

(KBV/ms)