Meilenstein: Urkeimzellen aus Stammzellen des nördlichen Breitmaulnashorns generiert12. Dezember 2022 Das Gen SOX17 war bei den Breitmaulnashörnern ein Schlüssel für die Entstehung der Vorläufer von Keimzellen. Bild: © Masafumi Hayashi, Universität Osaka Um das Nördliche Breitmaulnashorn vor dem Aussterben zu retten, will das BioRescue-Konsortium Eizellen und Spermien der Tiere im Labor erzeugen. Ein Team um Spezialisten der Osaka Universität in Japan berichtet nun über einen wichtigen Durchbruch: Erstmals ist es gelungen, Urkeimzellen aus induzierten pluripotenten Stammzellen eines nördlichen Breitmaulnashorns zu generieren. Die 33-jährige Najin und ihre elf Jahre jüngere Tochter Fatu sind die letzten Nördlichen Breitmaulnashörner auf diesem Planeten. Gemeinsam leben die beiden Weibchen in einem Reservat in Kenia. Die größte Nashorn-Art gilt als nicht mehr überlebensfähig – zumindest nicht aus eigener Kraft. Es gebe jedoch Grund zur Hoffnung, lässt ein internationales Team im Fachblatt „Science Advances“ verlautbaren. Die Forschenden haben erstmals sowohl aus embryonalen Stammzellen als auch aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) primordiale Keimzellen – die Vorstufen von Eizellen und Spermien – gezüchtet.Es ist ein Meilenstein für einen ehrgeizigen Plan: In dem seit 2019 vom BMBF geförderten und am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) koordinierten Projekt „BioRescue“ versuchen die Forschenden, unter anderem aus den Hautzellen verstorbener Nashörner Spermien und Eizellen zu generieren. Leihmütter des nah verwandten Südlichen Breitmaulnashorns, so die Idee, werden die daraus entstehenden Embryonen austragen. Modernste Reproduktions- und Stammzelltechnologien sollen die Art, die der Mensch durch Wilderei de facto ausgerottet hat, doch noch retten.Erster Erfolg bei einer bedrohten ArtVon einem Stück Haut zum lebenden Nashorn zu gelangen, ist allerdings wahre Zellingenieurskunst. Zwar gibt es Vorbilder: Das Labor von Letztautor Professor Katsuhiko Hayashi von der Osaka University und der Kyushu University in Fukuoka, Japan, hat es bereits bei Mäusen geschafft. Doch die einzelnen Schritte sind für jede Art Neuland. Beim Nördlichen Breitmaulnashorn arbeitet Hayashi dafür eng mit der Technologieplattform „Pluripotente Stammzellen“ am Berliner Max Delbrück Center von Dr. Sebastian Diecke und dem Reproduktionsexperten Professor Thomas Hildebrandt vom Leibniz-IZW zusammen. Beide sind ebenfalls Letztautoren der aktuellen Studie.„Es ist das erste Mal, dass primordiale Keimzellen einer großen und zugleich bedrohten Säugetierart aus Stammzellen generiert werden konnten“, sagt der japanische Erstautor der Studie, Masafumi Hayashi von der Osaka University. Bislang war das nur bei Nagetieren und Primaten gelungen. Anders als bei Nagetieren identifizierten die Forschenden bei den Nashörnern das Gen SOX17 als einen Schlüssel für die Entstehung der Vorläuferzellen. Das Gen spielt auch bei der menschlichen Keimzellentwicklung – und somit womöglich bei vielen Säugetierarten – eine wesentliche Rolle.Die in Japan verwendeten embryonalen Stammzellen vom Südlichen Breitmaulnashorn stammen aus dem Labor von Avantea im italienischen Cremona, wo sie das Team von Professor Cesare Galli erstmals gezüchtet hat. Die jetzt verfügbaren primordialen Keimzellen des Nördlichen Breitmaulnashorns sind aus den Hautzellen von Fatus Tante Nabire entstanden. Nabire war 2015 im tschechischen Safari Park Dvůr Králové verstorben, am Max Delbrück Center hatte das Team um Diecke ihre Zellen in iPS-Zellen umgewandelt.Die Zellen müssen zunächst reifenMithilfe der Stammzell-Techniken aus dem Labor von Katsuhiko Hayashi wolle man auch andere gefährdete Nashorn-Spezies retten, erläutert Masafumi Hayashi: „Es gibt fünf Nashorn-Arten und fast alle werden in der Roten Liste der IUCN als bedrohte Arten eingestuft.“ Vom Südlichen Breitmaulnashorn, von dem es weltweit noch etwa 20.000 Exemplare gibt, hat das internationale Team ebenfalls primordiale Keimzellen aus Stammzellen gezüchtet. Zudem konnten die Forschenden bei beiden Nashorn-Arten auf der Oberfläche der Vorläuferzellen zwei charakteristische Moleküle, CD9 und ITGA6, identifizieren. „Diese Marker werden uns künftig dabei helfen, in einer Gruppe pluripotenter Stammzellen die schon entstandenen primordialen Keimzellen aufzuspüren und zu isolieren“, sagt Hayashi.Nun stehen die Forschenden von BioRescue vor der nächsten schwierigen Aufgabe: Die primordialen Keimzellen müssen im Labor zu funktionstüchtigen Eizellen und Spermien heranreifen. „Die Vorläuferzellen sind im Vergleich zu Eizellen relativ klein und haben vor allem noch einen doppelten Chromosomensatz“, erläutert Dr. Vera Zywitza aus Dieckes Arbeitsgruppe, die an der aktuellen Studie beteiligt war. „Wir müssen also geeignete Bedingungen finden, unter denen die Zellen wachsen und ihren Chromosomensatz halbieren.“Genetische Varianz für den ArterhaltDer IZW-Forscher Hildebrandt verfolgt noch einen ergänzenden Ansatz. Er will von der 22-jährigen Fatu Eizellen gewinnen, um sie im Labor des Italieners Galli nach der ICSI-Methode, also der Intracytoplasmatischen Spermieninjektion, mit aufgetauten Spermien zu befruchten. Von vier verstorbenen Bullen des Nördlichen Breitmaulnashorns existiert tiefgefrorenes Sperma. Austragen könnte Fatu ihren im Labor erzeugten Nachwuchs allerdings nicht. „Sie hat Probleme an der Achillessehne und kann daher kein zusätzliches Gewicht mehr tragen“, erklärt Hildebrandt. Ihre Mutter Najin wäre für Nachwuchs ohnehin zu alt. Zudem leidet die betagte Nashorn-Dame an Tumoren der Eierstöcke. „Aber da wir nur noch eine Spenderin für natürliche Eizellen haben, wäre die genetische Varianz für den Artenerhalt auf jeden Fall zu klein.“Die jetzt vorliegenden primordialen Keimzellen in Eizellen zu verwandeln, hat für das Team somit oberste Priorität. „Bei der Maus war für diesen entscheidenden Schritt die Anwesenheit von Eierstockgewebe wichtig. Da wir dieses Gewebe den beiden Nashorn-Weibchen nicht einfach so entnehmen können, müssen wir es vermutlich ebenfalls aus Stammzellen züchten“, ergänzt Zywitza. Möglicherweise könne jedoch Eierstockgewebe von Pferden dienlich sein, hofft die Forscherin. Denn Pferde zählen aus evolutionärer Sicht zu den engsten Nachbarn der Nashörner. Um sie hat sich der Mensch in der Vergangenheit allerdings sehr viel besser gekümmert als um die wildlebenden und daher jetzt bedrohten Verwandten.Katsuhiko Hayashi, Osaka University, sagt: „Die genaue Orchestrierung, wann Zellen welche Signale brauchen, um sich wie gewünscht zu entwickeln, ist für jede Art anders. Diese Entwicklung in der Zellkultur nachzustellen, ist eine extrem große Herausforderung. Wir mussten außerdem bestätigen, dass die künstlich erzeugten Vorläufer der Keimzellen genetisch identisch sind mit den Zellen, aus denen sie entstanden sind. Auch das kann kompliziert sein.“ Und Thomas Hildebrandt, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) fügt hinzu: „Es war von Anfang klar, dass wir das Nördliche Breitmaulnashorn nicht langfristig vor dem Aussterben retten können, wenn wir für die künstliche Befruchtung nur auf natürlich Keimzellen zurückgreifen. Eine ergänzende Strategie, um Keimzellen mit deutlich höherer genetischer Vielfalt und in größerer Zahl zu gewinnen, ist von entscheidender Bedeutung. Künstliche Keimzellen können es uns sogar ermöglichen, Embryonen zu erzeugen, die Nachkommen von Najin sind. Das war mit ihren natürlichen Keimzellen nicht mehr machbar. Es ist ermutigend, dass die Stammzellspezialisten in unserem Konsortium, also die Expertinnen und Experten von der Universität Osaka und vom Max Delbrück Center, jetzt einen wichtigen Schritt auf diesem Weg gemacht haben. Hier geht es nicht um ein Entweder-oder: Wir brauchen sowohl natürliche als auch künstliche Keimzellen, diese Wege kreuzen sich und sie verschmelzen, wenn über die In-vitro-Fertilisation Embryonen entstehen.“ Weitere Informationen: https://www.biorescue.org/de – BioRescuehttps://hyoka.ofc.kyushu-u.ac.jp/search/details/K005449/english.html – Katsuhiko Hayashihttps://www.mdc-berlin.de/pluripotent-stem-cells – Technologie-Plattform Pluripotente Stammzellen am Max Delbrück Centerhttps://www.izw-berlin.de/de/abteilung-fuer-reproduktionsmanagement.html – Leibniz-IZW
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