Memorandum unterzeichnet: Kooperation zur Versorgung von Kriegsverletzten mit Ukraine

DGOU-Generalsekretär Dietmar Pennig und Kongresspräsident Ulrich Stöckle (v. l.) nach der Unterzeichnung des Memorandums mit ASIR-Präsident Mykola Ankin (m.), Kongress-Präsident Christoph Lohman (2.v.r.) und dem stellvertretenden DGOU-Generalsekretär Bernd Kladny (r. ). Foto: Intercongress

Deutsche und ukrainische Orthopäden und Unfallchirurgen wollen enger kooperieren und haben auf dem DKOU 2025 ein Memorandum unterzeichnet. Einen Einblick in den Alltag der Versorgung von Kriegsverletzten lieferte Prof. Mykola Ankin aus Kiew.

Zu mehr Partnerschaft und Kooperation haben sich Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) und der All-Ukrainian Association of Injury and Rehabilitation (ASIR) mit dem Memorandum verpflichtet. Schwerpunkte der Vereinbarung sind der DGOU zufolge gemeinsame Bildungsprogramme, internationale Fachveranstaltungen, Forschungskooperationen, der Austausch junger Fachkräfte sowie die direkte Einbindung deutscher Spezialisten in die Behandlung in der Ukraine.

Seit Beginn des Ukraine-Krieges engagiert sich die DGOU intensiv für die medizinische Versorgung ukrainischer Soldaten in Deutschland. Mehr als 1500 Schwerstverletzte wurden über das TraumaNetzwerk in deutsche Krankenhäuser verteilt und aufwendig versorgt.

Menschlichkeit und Solidarität über Grenzen hinweg

„Das Memorandum steht für Menschlichkeit und Solidarität über Grenzen hinweg“, betont Prof. Christoph H. Lohmann, DKOU-Kongresspräsident 2025, Präsident der DGOU und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC). „Es zeigt, dass medizinische Partnerschaft auch in Krisenzeiten Brücken baut. Unser Ziel ist, daraus langfristige Beziehungen wachsen zu lassen – getragen von gegenseitigem Vertrauen, Respekt und der Überzeugung, dass wir gemeinsam mehr erreichen können.“

„Wir bringen unsere unfallchirurgische Erfahrung dort ein, wo sie dringend gebraucht wird. Gemeinsam können wir helfen, Strukturen zu stärken und die Versorgung Verwundeter langfristig zu sichern. Gerade im Bereich der Traumaversorgung verfügen wir in Deutschland über bewährte Netzwerke und Abläufe. Gleichzeitig können wir in den aktuell unsicheren Zeiten aber auch von den Erfahrungen aus der Ukraine lernen, wenn wir uns auf mögliche Bedrohungslagen vorbereiten“, erklärt Prof. Ulrich Stöckle, DKOU-Kongresspräsident 2025, stellvertretender Präsident der DGOU sowie Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU).

Wissen teilen, Vertrauen stärken

„Gerade in der Unfallchirurgie zählt jede Minute, jeder Handgriff muss sitzen. Von der Erstversorgung über komplexe Frakturen bis hin zur Rehabilitation wollen wir unsere Expertise austauschen, um vor Ort die bestmöglichen Ergebnisse für Patientinnen und Patienten zu erreichen“, ergänzt DGOU-Generalsekretär und DGU-Generalsekretär Prof. Dietmar Pennig.

Prof. Bernd Kladny, stellvertretender Generalsekretär der DGOU und Generalsekretär der DGOOC, sagt: „Wir wollen Wissen teilen, Vertrauen stärken und Strukturen aufbauen, die Bestand haben. Diese Partnerschaft lebt von gegenseitigem Respekt und vom Lernen voneinander und zeigt, wie kollegiale Verbundenheit in der Medizin über Grenzen hinweg konkrete Hilfe ermöglicht.“

Größte Herausforderung: Wundinfektionen

In einer Session auf dem DKOU 2025 berichtete ASIR-Präsident Ankin aus Kiew vom unfallchirurgischen Alltag im Kriegsgebiet, etwa über typische Verletzungsmuster oder Herausforderungen bei der Versorgung der Kriegsverletzten. Als besonders problematisch nannte Ankin etwa die steigende Inzidenz von Wundinfektionen: Komplikationen durch Infekte hätten sich in den letzten Jahren in der Ukraine vervielfacht, insbesondere mit multiresistenten Keimen.

Häufig seien gemischte Infektionen mit aeroben und anaeroben Keimen. Besonders kritisch sei die hohe Kontamination von Wunden während der Evakuierung und der frühen Versorgung. Außerdem berichtete Ankin von steigenden Inzidenzen von Osteomyelitis und Weichteilinfektionen. Auch das Management von Knochendefekten ist Ankin zufolge eine große Herausforderung, die einen multidisziplinären Ansatz erfordert.

Versorgung von Kriegsverletzten als unfallchirurgischer Alltag

Neben diesen medizinischen Problemfeldern gibt es aber auch systemische und organisatorische Faktoren, welche die Versorgung von Kriegsverletzten im Krisengebiet erschweren. So verwies Ankin auf die verzögerte Hospitalisierung der Patienten, den Mangel an modernen Implantaten oder die Auswahl von Antibiotika ohne Rücksicht auf mikrobiologische Daten. Es fehle ein effizientes System zur Kontrolle oder Prävention von Infektionen.

Als weitere systemische Herausforderungen im Kriegsgebiet nannte der Unfallchirurg auch den „kritisch niedrigen Level an Rehabilitation“ oder den nicht ausreichenden Ausbildungsstand des medizinischen Personals und den fehlenden Zugang zu Trainings. Auch die Bezahlung trage nicht zur Motivation bei.

Ankin skizzierte die derzeitige Realität des chirurgischen Alltags in der Ukraine: Chirurgische Eingriffe würden oft ohne ausreichende Ressourcen und mit veralteter Ausstattung durchgeführt – und das in Zwölf- bis 16-Stunden-Schichten, oft viele Tage in Folge. Dies führe zu steigenden Raten an emotionalem Burnout und Erschöpfung. „Ärzte sind auch Menschen. Sie sind erschöpft – und retten trotzdem weiter Leben“, betonte Ankin. Das medizinische Personal erhalte das System durch Teamwork, intrinsische Motivation und Pflichtgefühl.

Zivil-militärische Zusammenarbeit vor dem Krieg und im Krieg

Der Ukrainer lieferte auch einen Blick auf die Strukturen – davor und danach: So habe es vor Kriegsbeginn 2022 separate Strukturen für zivile und militärische Gesundheitsversorgung gegeben mit minimaler Koordination. Zivile Krankenhäuser seien nicht auf den Massenanfall von Verletzten vorbereitet gewesen. Zudem habe es keine Systeme zur Nachverfolgung von Patienten gegeben. Mit Beginn des Krieges im Februar 2022, Tausenden von Verwundeten täglich und Versorgungsengpässen bei Material und Blutkonserven wurde dann die zivil-militärische Koordination unabdinglich: zivile Krankenhäuser wurden in militärische Versorgungswege eingebunden, so Ankin.

Inzwischen könnten alle medizinischen Einrichtungen an der Versorgung von Kriegsverletzten teilnehmen, die Verteilung der Patienten werde durch militärische Koordinatoren organisiert. Allerdings operiere das System nur in einem manuellen Modus und sei daher auch fehleranfällig, so Ankin. Ihm zufolge sind häufige Verzögerungen bei der Evakuierung von Verletzten aus der Kampfzone. Sogenannte „stabilization points“ haben sich dem ASIR-Präsidenten zufolge als zentrales Verbindungsstück zwischen Kampfzone und Krankenhaus erwiesen. (ja/BIERMANN)