Menschliche Haarsinneszellen im Labor erzeugen14. August 2025 Foto: murat/stock.adobe.com Effizienter und kontrollierbarer: US-amerikanische Forscher haben einen neuen Ansatz zur Kultivierung menschlicher Haarsinneszellen im Labor. Sie sehen ihre Methode als nützliches Instrument für künftige Forschung zu Hörverlust. Bereits mit früheren Arbeiten war es Forschern der Keck School of Medicine der University of Southern California gelungen, Mäusezellen mithilfe von vier Transkriptionsfaktoren – Six1, Atoh1, Pou4f3 und Gfi1, zusammenfassend als SAPG bezeichnet – so umzuprogrammieren, dass die Zellen Haarsinneszellen ähneln. Virusbasierter Ansatz hat „erhebliche Nachteile“ „In unseren früheren Studien an Mäusen haben wir Retroviren verwendet, um die vier SAPG-Gene zu übertragen, wodurch die Zellen erfolgreich in haarähnliche Zellen umprogrammiert wurden“, beschreibt Robert Rainey die Methode, Postdoktorand und Hauptautor der aktuell in „eLife“ als Preprint veröffentlichten Studie. „Die virale Übertragung hat jedoch erhebliche Nachteile. Es ist schwierig, den Zeitpunkt und das Ausmaß der Genexpression zu kontrollieren. Außerdem entstehen Schwankungen, die eine Skalierung oder Anpassung für eine konsistente Verwendung in verschiedenen Systemen erschweren“, führte Rainey weiter aus. „Wir wollten einen effizienteren Ansatz entwickeln, der in menschlichen Zellen zuverlässig funktioniert.“ Reprogrammierung mit Doxycyclin induzieren Im Rahmen ihrer aktuellen Arbeit entwickelten Rainey und seine Kollegen eine stabile Stammzelllinie aus humanen pluripotenten Stammzellen, die eine Doxycyclin-induzierbare Version der SAPG-Transkriptionsfaktoren trägt. So ließ sich der Reprogrammierungsprozess durch Zugabe des Antibiotikums präzise steuern. Mittels eines fluoreszierenden Reportergens, das im Verlauf der Reprogrammierung aktiviert wurde, konnten die Wissenschaftler verfolgen, ab welchem Zeitpunkt die Mäusezellen, die Eigenschaften von Haarsinneszellen annahmen. Nach der Zugabe von Doxycyclin zeigten sich innerhalb von drei Tagen die ersten Anzeichen einer Reprogrammierung. Am siebten Tag exprimierten etwa 35 bis 40 Prozent der Zellen wichtige Haarzell-Genmarker wie MYO7A, MYO6 und POU4F3. Im Vergleich zum virusbasierten Ansatz war dies eine mehr als 19-fache Steigerung der ‒ und das in der Hälfte der Zeit. Ähnlichkeit mit frühen Entwicklungsstadien menschlicher Haarzellen? Mittels Einzelzell-RNA-Sequenzierung analysierte Raineys Tema die Genexpressionsmuster der umprogrammierten Zellen. Wie sich zeigte hatten diese viele wichtige Transkriptionsfaktoren und Signalwege mit den menschlichen Haarsinneszellen gemeinsam. Die Zellen ließen sich nicht eindeutig in cochleäre oder vestibuläre Subtypen unterteilen, exprimierten aber Marker für beide. Für die Studienautoren deutet letzteres darauf hin, dass die mit der neuen Methode erzeugten Zellen unreifen oder sich in einem frühen Entwicklungsstadium befindlichen menschlichen Haarzellen ähneln. Wie nahe kommen die im Labor erzeugten Zellen menschliche Haarsinneszellen? Um diese Frage zu beantworten, testete das Team die elektrischen Eigenschaften der reprogrammierten Zellen. Mithilfe von Patch-Clamp-Aufzeichnungen fanden sie eine Reihe von spannungsgesteuerten Ionenströmen, darunter auch einige, die denen in sich entwickelnden menschlichen Haarzellen entsprachen. „Methode weitaus skalierbarer und anpassungsfähiger für zukünftige Forschungsarbeiten“ „Diese Methode bietet gegenüber viralen Transfersystemen mehrere Vorteile. Wir können den Beginn und das Ende der Reprogrammierung durch kurze Doxycyclin-Impulse präzise steuern, und sie funktioniert in standardmäßigen zweidimensionalen Zellkulturen“, erklärte der korrespondierende Autor Andrew Groves, heute Leiter des Instituts für Entwicklungsbiologie an der Washington University School of Medicine in Missouri, USA. „Zusammen mit dem Wegfall der Notwendigkeit einer viralen Übertragung machen diese Eigenschaften die Methode weitaus skalierbarer und anpassungsfähiger für zukünftige Forschungsarbeiten – sei es für die Modellierung der Entwicklung des menschlichen Innenohrs, die Untersuchung von Hörverlust oder das Screening nach schützenden Medikamenten“, so Groves weiter zu künftigen Perspektiven. Die Herausgeber von „eLife“ ordnen die Ergebnisse von Rainey et al. als wichtige Arbeit ein, die das Verständnis der Faktoren, die Haarzell-ähnliche Zellen aus menschlichen Stammzellen induzieren können, erheblich voranbringe. Die in der Studie aufgeführten Belege halten sie für überzeugend. (ja/BIERMANN)