Metaanalyse liefert Evidenz für Verlauf der natürlichen Immunität gegen SARS-CoV-2-Varianten

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Gerade haben Forschende die nach eigenen Angaben bis heute größte Übersichtsarbeit und Metaanalyse veröffentlicht, in der stratifiziert nach verantwortlicher Virusvariante der Immunschutz nach SARS-CoV-2-Infektion untersucht sowie die Dauer dieses Schutzes gegen verschiedene Varianten ermittelt wurde. Analysiert hat die Arbeitsgruppe dafür 65 Studien aus 19 Ländern.*

Die Wissenschaftler stellten Folgendes fest: Bei Personen, die zuvor mindestens einmal eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht hatten, erwies sich die natürliche Immunität gegen eine schwere COVID-19-Erkrankung (definiert durch Krankenhausaufenthalt und Tod) bei allen Varianten als stark und langanhaltend (mindestens 88% 10 Monate nach der Infektion). Vorangegangene Infektionen mit Prä-Omikron-Varianten führten zu einem erheblich reduzierten natürlichen Immunschutz gegenüber einer erneuten Infektion mit Omikron BA.1 (36% 10 Monate nach der Infektion).

Während die natürliche Immunität gegenüber SARS-CoV-2 bei kürzlich Infizierten anerkannt werden sollte, warnen die Forschenden jedoch, dass ihre Forschungsergebnisse keinesfalls bedeuten, dass Impfungen zu vernachlässigen sind: Der Einsatz von Impfstoffen sei der sicherste Weg, eine Immunität zu erlangen.

Die Analyse deutet auch darauf hin, dass das Ausmaß und die Dauer des Schutzes vor einer erneuten Infektion, vor einer symptomatischen beziehungsweise schweren Erkrankung mindestens dem entsprechen, den zwei Dosen eines mRNA-Impfstoffes gegen das SARS-CoV-2-Ursprungsvirus sowie seine Varianten Alpha, Delta und Omikron BA.1 bieten. Zum Schutz vor Infektion durch Omikron XBB und dessen Unterlinien enthält der Review keine Daten.

„Die Impfung ist der sicherste Weg, eine Immunität zu erlangen, während der Erwerb einer natürlichen Immunität gegen die mit der Erstinfektion verbundenen Risiken einer schweren Erkrankung und des Todes abgewogen werden muss“, erklärt Erstautor Dr. Stephen Lim vom Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) an der School of Medicine der University of Washington (USA).

Co-Autorin Dr. Caroline Stein, ebenfalls vom IHME, ergänzt: „Impfstoffe sind nach wie vor wichtig für alle, um Hochrisikopopulationen wie die über 60-Jährigen und Menschen mit Komorbiditäten zu schützen. Dazu gehören auch Bevölkerungsgruppen, die zuvor nicht infiziert waren, und nicht geimpfte Gruppen sowie solche, deren Infektion mehr als sechs Monaten zurückliegt oder die vor mehr als sechs Monaten ihre letzte Impfdosis erhalten haben. Entscheidungsträger sollten sowohl die natürliche Immunität als auch den Impfstatus berücksichtigen, um ein vollständiges Bild des Immunitätsprofils einer Person zu erhalten.“

Seit Januar 2021 wurde in einer Reihe von Studien und Reviews über die Wirksamkeit einer vergangenen COVID-19-Infektion bei der Verringerung des Risikos für eine erneute Infektion berichtet sowie darüber, wie die Immunität im Laufe der Zeit nachlässt. Jedoch stellte keine dieser Arbeiten eine umfassende Bewertung der Dauer des Schutzes nach einer natürlichen Infektion dar – oder wie lange dieser Schutz gegen verschiedene Varianten anhält. Die Autoren der kürzlich in „The Lancet“ veröffentlichen Arbeit werteten daher bis September 2022 veröffentlichte Studien aus, in denen die Verringerung des COVID-19-Risikos unter nichtgeimpften Personen gegenüber einer SARS-CoV-2-Re-Infektion bei Nichtgeimpften ohne vorherige Infektion verglichen wurde.

Die Immunität lässt mit der Zeit nach

Die Analyse von Daten aus 21 Studien, in denen über die Zeit seit der Infektion durch eine Prä-Omikron-Variante berichtet wurde, ergab, dass der Schutz vor einer erneuten Infektion durch eine Prä-Omikron-Variante nach einem Monat etwa 85 Prozent betrug. Dieser Anteil belief sich nach zehn Monaten nur noch auf 79 Prozent. Der Schutz durch eine Infektion mit einer Prä-Omikron-Variante vor einer Re-Infektion mit der Omikron-BA.1-Variante fiel geringer aus (74% nach 1 Monat) und sank rascher auf 36 Prozent nach etwa zehn Monaten.

Dennoch ergab die Analyse von fünf Studien, die schwere COVID-19-Erkrankungen beschrieb, dass der Schutz zehn Monate lang allgemein hoch blieb: Er wurde mit 90 Prozent für das Ursprungsvirus sowie für die Varianten Alpha und Delta angegeben sowie mit 88 Prozent für die Omikron-Untervariante BA.1.

Sechs Studien, in denen der Schutz speziell gegen Omikron-Untervarianten (BA.2 und BA.4/BA.5) beurteilt wurde, deuteten auf einen signifikant reduzierten schützenden Effekt hin, wenn es sich bei dem für die vorherige Infektion verantwortlichen Virus um eine Prä-Omikron-Variante handelte. War für die letzte vorangegangene Infektion aber eine Omikron-Variante verantwortlich, blieb der Schutz auf einem höheren Niveau.

„Die schwächere variantenübergreifende Immunität mit der Omikron-Variante und deren Untervarianten spiegelt deren Mutationen wider, die dazu führen, dass sie der aufgebauten Immunität leichter entkommen können als andere Varianten“, erläutert Co-Autor Dr. Hasan Nassereldine vom IHME. „Die begrenzten Daten, die wir zum natürlichen Immunitätsschutz gegen die Omikron-Variante und deren Untervarianten haben, unterstreichen, wie wichtig eine kontinuierliche Bewertung ist, zumal sich zwischen November 2021 und Juni 2022 schätzungsweise 46 Prozent der Weltbevölkerung damit infiziert haben. Es muss auch weiter geforscht werden, um die natürliche Immunität bei neu auftretenden Varianten zu bewerten und den Schutz zu untersuchen, den Kombinationen aus Impfung und natürlicher Infektion bieten können.“

Die Forschenden weisen auf einige Mängel ihrer Arbeit hin: So räumen sie ein, dass die Anzahl der Studien zu Omikron BA.1 und dessen Untervarianten gering war und dass es insgesamt gesehen nur wenige Daten aus Afrika gab. Darüber hinaus waren nur begrenzt Informationen verfügbar zu Zeiträumen, die über zehn Monate nach der Erstinfektion hinausgingen. Die Autoren der Metaanalyse weisen auch darauf hin, dass einige Informationen, wie zum Beispiel zum Infektionsstatus und zu Krankenhauseinweisungen in der Vergangenheit, unterschiedlich oder unvollständig gemessen wurden, was zu einer falschen Einschätzung des Schutzes geführt haben könnte.

Prof. Cheryl Cohen vom National Institute for Communicable Diseases (Südafrika), die nicht an der Arbeit beteiligt war, schreibt in einem verlinkten Kommentar zur der aktuellen Arbeit: „Das hohe und anhaltende Niveau des Schutzes vor einer vor schweren Erkrankung, das durch eine frühere Infektion verliehen wird, hat wichtige Auswirkungen auf die COVID-19-Impfpolitik. Bis September 2021 wurde die globale SARS-CoV-2-Seroprävalenz auf 59 Prozent geschätzt, mit erheblichen Schwankungen im Anteil der durch Infektion oder Impfung induzierten Immunität in unterschiedlichen Settings. Die Seroprävalenz in Afrika wurde im Dezember 2021 auf 87 Prozent geschätzt, was größtenteils auf Infektionen zurückzuführen ist. Ein hohes Maß an Immunität trägt wesentlich zu den geringeren Schweregraden bei, die bei Infektionen beobachtet werden, die durch neu auftretende Omikron-Untervarianten verursacht werden. Da sich die Epidemiologie von SARS-CoV-2 im Kontext eines hohen Immunitätsniveaus zu stabileren Zirkulationsmustern verlagert, sind Studien zur SARS-CoV-2-Infektionslast, zu den Kosten und zu Risikogruppen für schwere Erkrankungen erforderlich, um zu einer rationalen Impfpolitik zu kommen sowie zu Entscheidungen bezüglich der Priorisierung im Hinblick auf andere durch eine Impfung vermeidbare Krankheiten.“

* Österreich, Belgien, Brasilien, Kanada, Tschechien, Dänemark, Frankreich, Indien, Italien, Niederlande, Nicaragua, Norwegen, Katar, Schottland, Südafrika, Schweden, Schweiz, Großbritannien, USA