MHH-Forscher will Gentherapie gegen Hör- und Gleichgewichtsstörungen entwickeln

Möchte Hörverlust mit Gentherapie heilen: Axel Schambach. Foto: Karin Kaiser / MHH

Prof. Axel Schambach, Leiter des Instituts für Experimentelle Hämatologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), erhält einen EU-Förderpreis für seine Forschung zum Usher-Syndrom. Sein Ziel: Kinder und Erwachsene mit Hilfe von Gentherapie vor erblich bedingter Gehörlosigkeit zu schützen.

Dafür hat Schambach  bereits eine der höchsten für exzellente Wissenschaft vorgesehene Förderung der Europäischen Union erhalten. Sein Forschungsvorhaben iHEAR wurde mit dem begehrten „Consolidator Grant“ des Europäischen Forschungsrates (European Research Council, ERC) ausgezeichnet. Im neuen Projekt MY-O-SENSES sollen die Ergebnisse seiner Pionierforschung nun genutzt werden, um gemeinsam mit der MHH-Klinik für Hals-, Nasen, Ohrenheilkunde ein Medikament gegen eine bestimmte Form des Hörverlustes zu entwickeln. Die EU unterstützt das Vorhaben in der Kategorie „ERC Proof of Concept Grant“ für 18 Monate mit einer Fördersumme in Höhe von 150.000 Euro.

Therapie direkt im Innenohr

Es gibt verschiedene Ursachen, weshalb Menschen einen Hörverlust erleiden. Bei der sogenannten Schallempfindungsschwerhörigkeit (sensoneural hearing loss, SNHL) spielen meist angeborene Veränderungen der Erbsubstanz eine Rolle. Sie gehört zu den häufigsten genetisch bedingten Störungen der Sinnesorgane und betrifft weltweit mehr als 430 Millionen Menschen. Erbgutveränderung in mehr als 150 Genen kommen als Ursache für SNHL in Frage. Eine besonders schwere Form ist das Usher-Syndrom Typ 1B (USH1B). Neben hochgradiger Taubheit leiden Betroffene auch an einem Verlust des Sehvermögens und des Gleichgewichts. Verantwortlich dafür ist eine Mutation in einem Gen namens MYO7A, das Schambach und sein Team in den Fokus nehmen. Erbt ein Mensch das geschädigte Gen sowohl vom Vater als auch von der Mutter, kann keine gesunde Variante diesen Mangel ausgleichen und die Erkrankung setzt sich durch.

Bislang gibt es keine Heilung, lediglich eine Behandlung mit unterstützenden Systemen wie dem Cochlea Implantat sind möglich. Die Hörprothese hilft allerdings weder gegen Beeinträchtigungen des Sehvermögens, noch gegen Schwindel. „Wir wollen in unserem Projekt direkt an den Ursachen ansetzen und eine gesunde Variante dieses Gens direkt an die Stelle des Innenohres bringen, wo die Sinneszellen für die Hörverarbeitung und das Gleichgewicht sitzen“, sagt der Molekularmediziner.

Vorbereitung für klinische Studien

Das geschieht mit einem viralen Vektor, der das therapeutische Gen zielgenau per Mikroinjektion in den inneren und äußeren Zellen der Hörschnecke im Innenohr abliefern soll. „Da MYO7A ein sehr großes Gen ist, benötigen wir sozusagen ein Gentaxi mit großem Kofferraum“, sagt Schambach. Das Forschungsteam nutzt daher Lentivirale Vektoren (LV), die eine große Menge an Genmaterial tragen können, ohne sie unterwegs zu verlieren.

„Wir haben so ein LV-System bereits im Projekt iHEAR entwickelt und erfolgreich im Mausmodell gegen Hörstörungen und Schwindel getestet“, stellt der Wissenschaftler fest. Im Projekt MY-O-SENSES geht es nun darum, anhand der erhobenen Daten das Vektorsystem noch weiter zu verbessern, damit es möglichst sicher und effektiv ist, ohne unerwünschte Nebenwirkungen zu verursachen. Außerdem wollen die Forschenden untersuchen, welche Dosis und welcher Behandlungszeitpunkt ideal sind, um mit möglichst wenig Genmaterial eine möglichst umfassende Heilung zu erzielen.

Wenn alles funktioniert, soll die Gentherapie nach Ende des Projekts in klinischen Studien am Menschen getestet werden. Professor Schambach ist sicher, dass das Verfahren großes Potenzial hat. „Neben der Verabreichung in das Innenohr könnte das Therapeutikum auch im Auge angewendet werden, um die mit USH1B in Zusammenhang stehende Blindheit zu behandeln“, meint er. Auch andere Formen und altersbedingter schwerer Hörverlust ließe sich so möglicherweise therapieren.

Das Projekt MY-O-SENSES ist eine Kooperation des MHH-Instituts für Experimentelle Hämatologie mit dem MHH-Institut für Humangenetik, dem Exzellenzcluster Hearing4All, der Universitätsmedizin der University of Kansas (USA) und dem Boston Children’s Hospital.