Mittelalterliche Medizin: Praxisnäher und fortschrittlicher als gedacht21. Juli 2025 Mittelalterliche Handschriften wie Cotton MS Vitellius C III zeigen Verwendungen für Kräuter auf, die heutigen Wellness-Trends ähneln. (© The British Library) Jüngste internationale Forschungsergebnisse unter Beteiligung der Binghamton University zeigen, dass das medizinische Wissen im Mittelalter erheblich differenzierter war als bisher angenommen. Eine Untersuchung lateinischer Handschriften, die vor dem 11. Jahrhundert entstanden und im Rahmen des British-Academy-Projekts „Corpus of Early Medieval Latin Medicine“ (CEMLM) analysiert wurden, brachte neue Erkenntnisse. Zahlreiche Manuskripte, die in früheren Katalogen unbeachtet blieben, wurden nun einbezogen – was die Anzahl der bekannten medizinischen Handschriften aus dem frühen Mittelalter nahezu verdoppelt hat. Dabei wurde deutlich, dass medizinisches Wissen nicht nur in Klöstern verbreitet war. Es zirkulierte vielmehr in breiten Bevölkerungsschichten und war oft kein eigenständiges Fachgebiet, sondern Teil des Alltags. „Die Menschen beschäftigten sich weit mehr mit Medizin, als man bisher gedacht hatte“, sagt Meg Leja, außerordentliche Professorin für Geschichte an der Binghamton University, State University of New York, USA. „Sie waren an Heilmitteln interessiert, sie wollten die natürliche Welt beobachten und Informationen festhalten, wo immer sie konnten – in einer Epoche, die als das ‚dunkle Zeitalter‘ bekannt ist.“ Körperliche Gesundheit damals wie heute bedeutsam Die untersuchten Manuskripte enthalten auch Rezepte, die heutigen Wellness-Hacks verblüffend ähnlich sind und wie sie von Influencern verbreitet werden – von Salben für die äußerliche Anwendung bis hin zu Detox-Kuren. So wurde etwa bei Kopfschmerzen das Zermahlen eines Pfirsichkerns mit Rosenöl angeraten, das auf die Stirn aufgebracht wurde – eine Methode, für deren Wirksamkeit es auch moderne Hinweise gibt. Ebenfalls verzeichnet sind Anwendungen wie „Eidechsenshampoos“, bei denen Teile von Eidechsen zur Förderung von Haarwachstum oder zur Haarentfernung genutzt wurden. „Vieles von dem, was man in diesen Handschriften findet, wird heute tatsächlich online als alternative Medizin beworben – aber das gibt es schon seit Tausenden von Jahren“, sagt Leja. Dieses Manuskript enthält ein bemerkenswertes Rezept am Rand – für Eidechsenshampoo. Die Notiz lautet: „Für fließendes Haar. Den ganzen Kopf mit frischem Bohnenkraut, Salz und Essig bedecken. [Dann] mit der Asche einer verbrannten grünen Eidechse, vermischt mit Öl, einreiben.“ (© The British Library) Leja hat in den vergangenen zwei Jahren gemeinsam mit dem restlichen Team den neuen Katalog vorbereitet (der nun online veröffentlicht wurde), Manuskripte aus ganz Europa durchgesehen und den Katalog redigiert und formatiert. Auffällig ist, dass medizinische Hinweise häufig am Rand von Büchern aus ganz anderen Fachgebieten – zum Beispiel Grammatik, Theologie oder Poesie – notiert wurden. Leja sieht darin ein deutliches Zeichen für ein verbreitetes Interesse an der Gesundheit des Körpers und an der Suche nach Wegen, diese zu beeinflussen. Neuer Katalog macht medizinisches Alltagswissen zugänglich „Es stimmt, dass uns für diese Periode viele Quellen fehlen. In diesem Sinne ist sie tatsächlich ‚dunkel‘. Aber nicht wegen irgendeiner ‚anti-wissenschaftlichen‘ Haltung – die Menschen im frühen Mittelalter waren sehr an Wissenschaft interessiert, an Beobachtung, an der Untersuchung der Nützlichkeit natürlicher Substanzen, daran, Muster zu erkennen und Vorhersagen zu treffen“, sagt Leja. Darstellung von Sauerampfer und Beschreibung seiner medizinischen Anwendungen. (© The Hague, Museum Meermanno) Das Forschungsteam wird den Katalog weiterhin aktualisieren und arbeitet an neuen Editionen und Übersetzungen medizinischer Texte, die auch im Unterricht eingesetzt werden können. Leja weist darauf hin, dass sich frühere Kataloge vor allem auf Texte bekannter Autoritäten wie Hippokrates stützten – Materialien, die man im Mittelalter selbst vielleicht gar nicht vorrangig genutzt hätte. Ein umfassenderer Katalog ermöglicht es Historikern nun, die Medizin in ihrer ganzen Breite darzustellen.
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