Passgenauere Gesichtsimplantate: Künstliche Intelligenz trifft 3-D-Druck

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Unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird aktuell ein Projekt am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie durchgeführt. Zunächst werden schneller passgenauere patientenspezifische Implantate bei gebrochenem Orbitaboden erstellt.

Das aktuelle Projekt „DigiMed – Digitale Wertschöpfungsketten für die Medizintechnik anhand der additiven Fertigung patientenspezifischer gesichtschirurgischer Implantate“* zielt ab auf eine nachhaltige Verbesserung der Patientenversorgung mit individuell angepassten Orbitabodenimplantaten. Hierzu ist es essenziell, den langsamen und von vielen manuellen Einzelschritten geprägten Fertigungsprozess durch Entwicklung maßgeschneiderter digitaler Bildgebungs-, Design- und Fertigungsstrategien nachhaltig zu verbessern und diese zu einer durchgängigen digitalen Wertschöpfungskette zusammenzuführen.

Die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie(MKG)-Chirurgie setzt individuelle Gesichtsimplantate aus dem 3-D-Drucker seit etwa zehn bis 15 Jahren ein – beispielsweise bei Gesichtsoperationen nach schweren Unfällen oder nach Tumoroperationen. „Dank virtueller Modellierung, schablonengestützter Bohrvorgänge, Real-Time-Navigation und additiver Fertigungstechniken wird das Gesicht des Patienten dabei hochgenau und ohne Berührung mittels Bildgebung aufgenommen“, betont DGMKG-Mitglied und Experte Prof. Ralf Smeets, Stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für MKG-Chirurgie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) .

„Statt wie bisher für jeden Patienten ein Modell von Grund auf neu zu entwerfen, können wir zukünftig mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) auf eine riesige Datenbasis mit patientenspezifischen Gesichtsdaten und Implantaten zugreifen, und so innerhalb von kürzester Zeit ein Rekonstruktionsmodell für den jeweiligen Patienten schaffen“, erläutert Smeets. Die aufwendigen Anpassungstermine für Gesichtsimplantate würden wegfallen. „Das bedeutet gegenüber dem bisherigen Verfahren eine Zeitersparnis von bis zu 50 Prozent. Zudem erwartet man durch den Einsatz künstlicher Intelligenz eine weitere Steigerung der Passgenauigkeit bis zu 30 Prozent“, so der DGMKG-Experte. Zudem können durch die Umsetzung der digitalen Prozesse Personalressourcen bei der Diagnose, der Implantatvorbereitung und -fertigung sowie bei der Operationsplanung entlastet werden.

Von der Orbitaboden-Fraktur bis zur Schädelfehlbildung
Derzeit kommt die neue Technologie bei patientenspezifischen Gesichtsimplantaten zum Einsatz, die für einen frakturierten Orbitaboden – etwa nach Unfällen – erstellt werden.
In den kommenden Monaten soll sie unter anderem auch für die Generierung von 3-D-gedruckten Trinkplatten bei Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und bei implantologischen Bohrschablonen in der Zahnmedizin angewendet werden. Zudem wird die Technologie bei der Erstellung von Schienen zur Korrektur von Kieferfehlstellungen sogenannten Splinten für Dysgnathieoperationen – und bei der Erstellung von Aufbiss-Schienen/CMD-Schienen sowie für Modelle nach Operationen bei Schädelfehlbildungen eingesetzt.

Ebenfalls präklinisch etabliert sind 3-D-gedruckte patientenspezifische resorbierbare Osteosyntheseplatten aus Magnesium, die beispielsweise bei der Frakturversorgung, der Tumorrekonstruktion und bei Dysgnathieoperationen zum Einsatz kommen.

Darüber hinaus forschen die MKG-Chirurgen am UKE in Hamburg aktuell aktiv an der Entwicklung 3-D-gedruckter Gesichtsepithesen aus Silikon, sensor-unterstützter Helme für die Helmtherapie – zur Behandlung von kindlichen Schädelfehlbildungen – und perspektivisch an dem „3-D-Druck von Blut“ – Bioprinting. Auch in diesen Projekten wird die KI langfristig immer mehr eingebaut. Der DGMKG-Experte Smeets sieht für die Künstliche Intelligenz in der MKG-Chirurgie viel Potenzial: „Wenn wir zukünftig dahin kommen, dass die moderne Technologie beispielsweise auch bei der Operation von Tumoren vermehrt eingesetzt werden – und dadurch wichtige, unter Umständen lebensrettende Eingriffe viel rascher durchgeführt werden können –, ist unheimlich viel gewonnen.“

*Hintergrund: Das Projekt „DigiMed – Digitale Wertschöpfungsketten für die Medizintechnik anhand der additiven Fertigung patientenspezifischer gesichtschirurgischer Implantate“ unter Leitung von Prof. Ralf Smeets wird unter anderem von Experten der Deutschen Gesellschaft für MKG-Chirurgie e.V. (DGMKG) aus dem UKE und seinen Forschungskollegen der Hamburger Fraunhofer-Einrichtung für Additive Produktionstechnologien IAPT und der Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg betreut. Gefördert wird das Projekt mit knapp 1,5 Millionen Euro über das EFRE-Förderprogramm REACT-EU.