Möglicher Grund entdeckt, weshalb Melanomzellen aggressiver werden

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Das „Durchpressen“ von Melanomzellen durch feinste Venen könnte Melanomzellen aggressiver machen und die Metastasierung begünstigen, so die Vermutung einer Arbeitsgruppe aus Australien.

In einer in „Nature Communications“ veröffentlichten Studie beschrieben die Wissenschaftler, wie sie ein biomedizinisches Gerät konstruierten, das den Blutfluss durch die engsten Blutgefäße simuliert. Sie zeigten, dass menschliche Melanomzellen, die dazu gebracht werden, Kanäle mit weniger als 10 µm zu passieren, sich zunehmend wie Stammzellen verhalten und Eigenschaften gewinnen, die ihnen das Überleben, die Ausbreitung und die Neubildung von Tumoren ermöglichen könnten.

Das Ergebnis stützt eine Theorie, die von Forschenden lange vertreten wird, dass mechanischer Druck in engen Blutgefäßen Krebszellen aggressiver machen könnte. Während die jüngsten Ergebnisse in Laborgeräten und bei Mäusen beobachtet wurden, eröffnen sie neue Perspektiven für zukünftige Forschungen und künftige Strategien zur Verhinderung der Ausbreitung von Krebs. „Wir haben lange Zeit nicht vollständig verstanden, wie sich Krebs auf entfernte Organe ausbreitet“, sagt Koautor Prof. Kris Kilian aus Sydney, Australien.

„Die meisten Tumorzellen, die sich im Blutkreislauf bewegen, sind schlecht dafür gerüstet, in andere Organe zu gelangen und sich dort auszubreiten, trotzdem sehen wir bei manchen Patienten hohe Metastasierungsraten. Unser Ergebnis zeichnet ein neues Bild: Krebszellen werden nach dem Durchqueren der engsten Kanäle dazu angeregt, tumorbildender zu werden – also neue Tumoren bilden zu können. Dies legt nahe, dass dieser Prozess Ereignisse wie Knochen- und Gehirnmetastasen vorausgehen könnte.“

Simulation von Blutgefäßen

Die Forschenden entwickelten ein Gerät, das kleiner als eine Briefmarke ist und den Weg des Bluts im menschlichen Körper durch immer enger werdende Kanäle nachahmt – nachgebaut nach den winzigen Kapillaren vieler Gewebe. Studienleiterin Dr. Giulia Silvani fertigte das Gerät auf dem Campus der Australian National Fabrication Facility (ANFF). Sie baute die Kanäle aus PDMS – einer biokompatiblen, gummiartigen Kunststoffart – in Breiten von 30 µm bis hinunter zu nur 5 µm.

Anschließend pumpte Silvani eine nährstoffreiche Lösung, ähnlich Blutplasma und mit menschlichen Melanomzellen darin, bei der gleichen Fließgeschwindigkeit wie Blut in Kapillaren durch das Gerät. „Bereits nach 15 Minuten, in denen die Melanomzellen durch die kleinsten Kanäle gedrückt wurden, konnten wir beobachten, wie die Zellen sich physisch verformten“, sagt Silvani. „Bei der Analyse der Zellen fanden wir Proteine, die mit Krebswanderung und stamzellähnlichem Verhalten in Zusammenhang stehen – dies deutet darauf hin, dass der mechanische Stress die Zellen in diesen neuen Zustand ‚umprogrammiert‘ hat.“

Bestätigung in tierexperimentellen Versuchen

Um zu testen, ob diese „gequetschten“ Krebszellen sich im Körper leichter ausbreiten, injizierten die Forschenden sie in Mäuse ohne funktionierendes Immunsystem, sodass die menschlichen Melanomzellen überleben und wachsen konnten. Nach 30 Tagen stellten sie fest, dass Mäuse mit den „gequetschten“ Zellen signifikant mehr Tumoren in Lunge, Knochen und Gehirn entwickelten als Tiere mit „ungequetschten“ Melanomzellen. Dies legt laut den Forschenden die Vermutung nahe, dass das Pressen die Krebszellen aggressiver und tumorbildender macht.

„Eine der faszinierendsten Aspekte dieses Projekts war die Möglichkeit, metastasierende Krebszellen auf eine bisher nicht mögliche Weise zu untersuchen“, sagt Silvani. „Ihr Weg durch den Körper bleibt meist verborgen, hinterlässt kaum Spuren und macht die Zellen extrem schwer nachvollziehbar. Wir konnten diese Reise im Labor nachstellen und so einen seltenen Blick auf den Moment werfen, in dem die Zellen in ihren aggressivsten Zustand wechseln.“

Zukünftige Behandlungsmöglichkeiten

Die Ergebnisse werfen laut Kilian neue Fragen zu potenziellen Behandlungsmöglichkeiten auf, die darauf abzielen, die Ausbreitung von Tumoren zu verhindern. „Diese Ergebnisse eröffnen neue Prognose- und Therapieoptionen, indem mechanische Kräfte adressiert werden, die zur Metastasierung führen“, so Kilian.

„Man könnte dann die im Blutstrom eines Patienten gefundenen Krebszellen daraufhin untersuchen, wie anfällig sie für diese Art von Umwandlung sind. Das könnte helfen, das Metastasierungsrisiko für die jeweilige Person einzuschätzen. Oder man könnte mit MRT oder anderen bildgebenden Verfahren Regionen mit hoher Dichte von Mikrogefäßen identifizieren, um Metastasen zu überwachen und eventuell sogar eingreifen, damit die Zellen diese kleinen Kapillaren schwerer erreichen. Der Punkt ist: Früher dachte man, dass nur ein extrem seltener Zelltyp seinen Weg von einem Primärtumor an eine Invasionsstelle findet. Aber tatsächlich ist es in manchen Fällen das Quetschen, das eine Zelle in diesen seltenen Typ verwandelt – und das könnte Krebsforscher in die Lage versetzen, neue Behandlungsstrategien zu entwickeln.“

Nächste Schritte

Kilian erklärt, dass rund 90 Prozent der Arbeit des Projekts an Melanomzellen erfolgte und dass er hofft, dass die gleichen Schlussfolgerungen gezogen werden, wenn Forschende den Quetscheffekt auch bei frei flottierenden Zellen anderer Tumoren untersuchen. „Ich glaube, wir werden Hinweise finden, dass viele solide Tumoren auf diese Weise metastasieren – wir sehen etwa schon überzeugende Befunde bei Experimenten mit Brustkrebs – und ich freue mich darauf, eine breite Palette von Krebszelltypen im Labor zu testen“, sagt Kilian. (ins)