Morbus Niemann-Pick: Energieschub für ausgelaugte Nervenzellen

Symbolbild.©CLIPAREA.com-stock.adobe.com

Mediziner des Klinikums der Universität München (LMU) um Prof. Michael Strupp haben zusammen mit Kollegen der Universitäten Oxford und Bern sowie anderen Zentren eine wirksame neue Therapie für die seltene Stoffwechselerkrankung Morbus Niemann-Pick Typ C entwickelt.

In einer klinischen Studie konnten die Wissenschaftler zeigen, dass das Medikament N-Acetyl-L-Leucin, kurz NALL, die Symptome der Erkrankung deutlich verbessert. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden im medizinischen Fachjournal „New England Journal of Medicine“. veröffentlicht.

Gangunsicherheit, verwaschene Sprache, Ungeschicklichkeit der Arme und Hände, Augenbewegungsstörungen, epileptische Anfälle, Einschränkung des Denkvermögens bis hin zu Psychosen – sind alles Symptome der seltenen Stoffwechselerkrankung Niemann-Pick Typ C. Die Nervenzellen und andere Zellen von Betroffenen können unter anderem Cholesterin und weitere Lipide nicht abbauen. Grund ist ein angeborener genetischer Defekt, durch den sich diese Fette in den Lysosomen der Zellen anreichern. Das beeinträchtigt den Zellstoffwechsel fundamental.

Klinische Studie mit Niemann-Pick-Patienten

NALL ist Bestandteil eines Präparats (sog. Racemat), das laut der Autoren vor allem in Frankreich jahrzehntelang zur Therapie von Schwindel eingesetzt wurde. Prinzipiell sagt Strupp, Oberarzt an der Neurologischen Klinik des LMU-Klinikums und Schwindelexperte, „dass effektive Medikamente gegen Schwindel meist am Kleinhirn ansetzen.“ Warum also, so Strupps Gedanke, „sollte man ein solches Medikament nicht therapeutisch für Erkrankungen testen, an denen das Kleinhirn primär beteiligt ist?“ Denn ein großer Teil der Symptome beim Morbus Niemann-Pick Typ C wird durch Störungen der Nervenzellen im Kleinhirn verursacht. Deshalb lag es nahe den Studien-Patienten NALL zu geben. Die Mediziner rekrutierten 60 Niemann-Pick-Patienten im Alter von fünf bis 67 Jahren aus Australien, Europa und den USA. Strupp: „Das war bei einer derart seltenen Erkrankung eine große Herausforderung.“ Die Teilnehmenden erhielten zwölf Wochen lang NALL und anschließend zwölf Wochen lang Placebo oder umgekehrt.

Wie wirkt NALL?

Ergebnis: „Auf einer validierten Skala der Symptomatik verbesserten sich die Patienten unter der neuen Medikation um zwei Punkte, was funktionell sehr relevant ist“, betont Strupp. Nebenwirkungen konnten, nach Angaben der Autoren, bislang keine beobachtet werden. Zudem berichten die Wissenschaftler, dass die Patienten nach Absetzen des Medikaments NALL und Einnahme des Placebos sich ihr Zustand verschlechterte. „Außerdem haben wir Hinweise darauf, dass das Medikament das Fortschreiten der Erkrankung verzögert“, informiert der Neurologe.

Mit ihren Kollegen der Universität Oxford haben die Wissenschaftler des LMU-Klinikums auch den Grund für die deutliche Verbesserung der Symptomatik und den zellschützenden Effekt aufgeklärt. Die Forscher beschreiben, dass NALL – anders als die normale Aminosäure Leucin – über einen speziellen Transporter mit hoher Kapazität durch Zellmembranen geschleust wird und so hohe Konzentrationen in allen Zellen einschließlich Nervenzellen erreicht. Es beeinflusse in Zellen den Glukosestoff- und Energiestoffwechsel positiv. Daraus resultiere, dass mehr „ATP“ aus jedem Glukosemolekül produziert wird. ATP ist der universelle Energielieferant unserer Zellen. Dieser Energieschub „bringt Nervenzellen und andere Zellen in eine deutlich robustere Verfassung“, erklärt Strupp, „und dann funktionieren die Lysosomen auch besser“. Überdies stelle NALL die normale Erregbarkeit der Nervenzellen wieder her, die ebenfalls gestört sei.

Auch bei anderen Erkrankungen ist die Erregbarkeit von Nervenzellen beeinträchtigt, so die Forscher. Kleinere Studien der Münchner Mediziner deuten an, dass NALL auch hier einen positiven Effekt haben könnte. Die Wissenschaftler hoffen, dass NALL eines Tages auch bei weiteren Erkrankungen, vor allem solchen mit einem vorzeitigen Altern von Nervenzellen, wirksam sein könnte.