Multiples Myelom: Brechen Krebszellen aus dem Knochenmark aus, entsteht gefährliche Vielfalt

Ansammlung verschiedener Arten von Immunzellen in einem aus dem Knochen herausgebrochenen Myelomherd: T-Zellen und Natürliche Killerzellen sind pink, Makrophagen gelb dargestellt. Die umgebenden Myelomzellen erscheinen blau. Bild: ©Dr. Johanna Wagner/Quelle: Universitätsklinikum Heidelberg

Ein Forschungsteam der Medizinischen Fakultät Heidelberg, des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) und des Max Delbrück Center hat neue Details zur Ausbreitung des Multiplen Myeloms im Körper entdeckt.

Im fortgeschrittenen Stadium des Multiplen Myeloms bilden sich Herde, die den Knochen zerstören und in andere Körperbereiche streuen können. Was in diesen Herden geschieht, wenn die Myelomzellen den Knochen erstmals durchbrechen, hat ein interdisziplinäres Team des Myelomzentrums des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD), der Universität Heidelberg, des DKFZ, des BIH und des Max Delbrück Center zusammen mit weiteren nationalen und internationalen Partnern genauer untersucht.

Die Forschenden entdeckten, dass die Tumorzellen beim Verlassen des Knochenmarks eine dramatische Vielfalt entwickeln, die sich auch auf die Immunzellen in den Krebsherden auswirkt. Die neuen Erkenntnisse könnten zu einer präziseren Diagnostik und Therapie beitragen.

Neue Umgebung wirkt wie Evolutionsschub

Verlassen die Tumorzellen das Knochenmark und auch den Knochen, finden sie sich in einer völlig anderen Umgebung mit anderen Umweltbedingungen wieder. „Das wirkt offenbar wie ein Evolutionsschub für die Tumorzellen. Die Vielfalt, die dabei entsteht, könnte den Zellen helfen, sich an das Überleben außerhalb des Knochens anzupassen und die Ausbreitung auf andere Körperregionen zu ermöglichen“, erläutert PD Dr. Niels Weinhold, Leiter der Translationalen Myelom-Forschung an der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Rheumatologie des UKHD und der Medizinischen Fakultät Heidelberg.

Mithilfe innovativer Technik untersuchte das Team zudem erstmals, wie das Immunsystem auf diesen „Ausbruch“ der Krebszellen aus dem Knochen reagiert. Sie entdeckten deutliche Veränderungen in Art und Anzahl der Immunzellen im Bereich der Krebsherde. Zum Beispiel wiesen T-Zellen in den Herden außerhalb des Knochens sehr unterschiedliche Rezeptoren und Oberflächenmoleküle auf – eine mögliche Anpassung an die neu entstandene Heterogenität der Tumorzellen.

Co-Evolution als Folge der Interaktion von Krebs und Immunsystem

„Es scheint eine Art Co-Evolution zwischen Tumor- und Immunzellen stattzufinden, bei der beide Seiten jeweils auf die Veränderungen der anderen Seite reagieren“, vermutet Prof. Simon Haas, Berlin Institute of Health in der Charité (BIH), Max Delbrück Center und Precision Healthcare University Research Institute (PHURI) der Queen Mary University of London. „Diese Interaktion zwischen Immunsystem und Krebs könnte dessen Bekämpfung sowohl fördern als auch behindern. Welche Faktoren dabei eine positive oder negative Rolle spielen, untersuchen wir derzeit.“

Das untersuchte Gewebematerial stammte aus verschiedenen Myelom-Herden, die bei neu diagnostizierten Patienten entweder mittels bildgebungsgeführter Biopsien oder während Operationen an bruchgefährdeten oder bereits gebrochenen Knochen entnommen wurde. Zum Einsatz kamen moderne Einzelzellanalysen und räumliche Multi-Omics-Techniken. Mit Hilfe dieser Methoden lassen sich gleichzeitig verschiedene Eigenschaften tausender einzelner Zellen im Gewebe und unter Berücksichtigung ihrer genauen Position im Gewebe untersuchen.

Die Ergebnisse könnten künftig die Diagnostik und Therapie des Myeloms beeinflussen: Aktuell werden die Proben zur Diagnostik meist aus dem Beckenkamm der Patienten entnommen. Nachdem die Studie nun jedoch gezeigt hat, dass sich Krebs- und Immunzellen in Knochendurchbrüchen erheblich von denen im Beckenkamm unterscheiden, könnten sich diese Stellen besser für die Probenentnahme eignen und so eine präzisere Bewertung der Erkrankung sowie eine mögliche Anpassung der Therapie erlauben.