Multiples Myelom: Was T-Zellen im Tumor müde macht

Hier wurde die Anzahl der vorhergesagten Copy Number Variations (CNVs) in verschiedenen Bereichen des Gewebes, so genannten Spots, im Rahmen der räumlichen Transkriptomatik analysiert. CNVs sind genetische Veränderungen, bei denen bestimmte Abschnitte der DNA entweder vervielfältigt oder gelöscht sind. Dies führt dazu, dass sich die Anzahl der Kopien bestimmter Gene oder DNA-Abschnitte zwischen verschiedenen Proben unterscheidet. Abbildung: ©Moutaz Helal

Die extramedulläre Erkrankung (EMD) ist ein Hochrisikofaktor beim Multiplen Myelom. Dr. Angela Riedel und Prof. Leo Rasche vom Uniklinikum Würzburg haben die Mikroumgebung dieser Myelomzellen außerhalb des Knochenmarks erstmals detailliert analysiert. Ihre Erkenntnisse sind jetzt in der Fachzeitschrift „Blood“ als Titelstory* erschienen.

Viele Patienten mit Multiplem Myelom, die eine EMD aufweisen, sprechen auch auf moderne Immuntherapien mit CAR-T-Zellen oder bispezifischen Antikörpern nicht mehr an. Warum ist das so? Dr. Angela Riedel und Prof. Leo Rasche vom Uniklinikum Würzburg (UKW) haben sich mit ihren Juniorgruppen am Mildred-Scheel-Nachwuchszentrum (MSNZ) die Tumorzellen außerhalb des Knochenmarks genauer angeschaut und mit Hilfe der räumlichen und Einzelzell-Transkriptomik erstmals die detaillierte Mikroumgebung von 14 EMD-Läsionen untersucht.

Die beiden Erstautoren Mara John (links) und Moutaz Helal (rechts) mit den beiden Letztautoren Dr. Angela Riedel und Prof. Leo Rasche. © UKW

Immunzellen dringen in Tumoren ein, sind aber oft in ihrer Funktion gestört

„Die Infiltration von Immun- und Stromazellen war sowohl innerhalb als auch zwischen den Patientinnen und Patienten sehr unterschiedlich“, schildert Riedel. Das bedeutet, dass der Tumor und das umliegende Gewebe bei jedem Patienten anders auf das Immunsystem reagieren, was zeigt, wie komplex und individuell die Krankheit verläuft.

Die Biomedizinerin nennt ein Beispiel: „Wir konnten beobachten, dass T-Zellen zwar in die EMD-Läsion einwandern können, aber in einen erschöpften Zustand geraten, sobald sie in die Nähe der Myelomzellen kommen.“ Die ermüdeten weißen Blutkörperchen des Immunsystems verlieren also ihre Fähigkeit, die Krebszellen zu bekämpfen. Aktive T-Zellen fanden sich meist außerhalb der Läsion in tumorfreiem Gewebe zusammen mit spezifischen Makrophagen-Subtypen, die ebenfalls eine Rolle in der Immunantwort spielen. Bei Erkrankten, die gut auf eine Therapie mit bispezifischen T-Zell-Antikörpern ansprachen, war der Unterschied zwischen erschöpften und aktiven T-Zellen nicht mehr feststellbar.

Multizelluläres Ecosystem

Die Forschenden vermuten zudem eine genomische Instabilität innerhalb der Läsion, da die Myelomzellen Variationen in der Kopienzahl der Chromosomen sowie neue Subklone in bestimmten Tumorbereichen aufwiesen. Die Tumorzellen zeigten also ein Mosaik an genetischer Vielfalt auf, das sie schwer behandelbar machen könnte. „Bislang ging man davon aus, dass EMD nur aus Plasmazellen besteht, doch wir zeigen, dass es sich dabei um eine multizelluläre Umgebung handelt“, resümiert Riedel.

Einsatz von Checkpoint-Inhibitoren als therapeutische Strategie gegen EMD

Rasche zufolge sind diese Ergebnisse von großer klinischer Bedeutung, da das Vorhandensein ermüdeter T-Zellen bei Fällen beobachtet wurde, die nicht auf bispezifische T-Zell-adressierende Antikörper ansprachen. „Die von uns identifizierten erschöpften T-Zellen exprimierten die Oberflächenmoleküle TIM3 und PD-1, was prinzipiell für eine immunologische Checkpoint-Therapie spricht, die auf diese Moleküle abzielt. Obwohl Checkpoint-Inhibitoren beim Multiplen Myelom bisher nicht erfolgreich waren, könnten sie bei Erkrankungen mit EMD-Läsionen erneut getestet werden, möglicherweise auch in Kombination mit bispezifischen Antikörpern“, rät Rasche.

Hämatologisch-onkologische Mischformen

Der Oberarzt weist auf einen weiteren Aspekt der Studie hin, nämlich dass das Multiple Myelom im Grunde ein Hybrid zwischen hämatologischen und soliden Krebserkrankungen ist. „Die Ähnlichkeiten zur soliden Onkologie hätten wir ohne unsere neue Methode − die Spatial Transcriptomics − nicht gefunden“, sagt Rasche.

Spatial Transcriptomics ermöglicht es, die Genaktivität in einem Gewebeschnitt zu analysieren und diese Information mit der räumlichen Position der Zellen zu verknüpfen. So lässt sich nachvollziehen, welche Gene in welchen Bereichen des Gewebes an- oder abgeschaltet sind und wie diese Gene das Verhalten der Zellen in ihrer Umgebung beeinflussen. Solche Einblicke in die Tumorbiologie dieser Variante des Myeloms sind besonders wichtig. Immerhin nimmt die Häufigkeit von EMD beim Multiplen Myelom zu. „Die Läsionen finden sich inzwischen bei jedem dritten Patienten im Rezidiv“, bemerkt Rasche.

Wie geht es weiter? In den nächsten Schritten will das Team Knochenmarkbiopsien auf räumlicher Ebene analysieren, um zu verstehen, was genau der Unterschied zwischen dem Multiplen Myelom im Knochenmark und den extramedullären Läsionen ist. Die große Frage ist, ob die Ergebnisse von den extramedullären Läsionen auf das Knochenmark übertragbar sind.

Kooperationen und Förderungen

Die Publikation ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen einer deutschen und tschechischen Gruppe, zu der das Mildred-Scheel-Nachwuchszentrum (MSNZ) Würzburg, die Medizinische Klinik und Poliklinik II des UKW, die Pathologie der Universität Würzburg, das Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI), das Münchner Leukämielabor (MLL) und die Abteilung für Hämatoonkologie der Universität von Ostrava gehören.

Das Forschungsprojekt wurde von der Deutschen Krebshilfe über das MSNZ-Programm, von der Else Kröner-Fresenius-Stiftung (EKFS) über das Forschungskolleg TWINSIGHT, vom Interdisziplinären Zentrum für Klinische Forschung (IZKF) über das Projekt Z-12 und vom tschechischen Gesundheitsforschungsrat gefördert.


*Das Cover ziert ein Immunfluoreszenzbild einer kutanen EMD, bei der T-Zellen mit dem Protein CD3e grün, Plasmazellen mit CD138 rot und das Kollagen der Haut I blau markiert sind.