Myopie: Multifokale Kontaktlinsen verlangsamen die Progression nachhaltig

David Berntsen.Foto.© University of Houston

Eine US-amerikanische Studie zeigt, dass das Tragen von multifokalen Kontaktlinsen zur Verlangsamung der Myopie bei Kindern wirksam und auch nachhaltig ist.

David Berntsen, Golden-Golden-Professor für Optometrie und Lehrstuhlinhaber für klinische Wissenschaften an der University of Houston College of Optometry, Houston, USA, berichtet, dass die von seinem Team entwickelte Methode zur Verlangsamung der Kurzsichtigkeit nicht nur funktioniert, sondern auch von Dauer ist. 

Die ursprüngliche BLINK-Studie (Bifocal Lenses In Nearsighted Kids) konnte belegen, dass das Tragen von multifokalen Kontaktlinsen mit hoher Addition bei Kindern mit Kurzsichtigkeit das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit verlangsamt. Neue Ergebnisse der BLINK2-Studie zeigen nun, dass die Vorteile auch dann noch anhalten, wenn die Linsen nicht mehr getragen werden.

„Wir fanden heraus, dass ein Jahr nach dem Absetzen der Behandlung mit weichen multifokalen Kontaktlinsen mit hoher Brechkraft bei älteren Teenagern die Myopieprogression wieder auf den Normalwert zurückgeht, ohne dass der Nutzen der Behandlung verloren geht“, informiert Berntsen in JAMA Ophthalmology. Die Studie wurde vom National Eye Institute der National Institutes of Health in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern des Ohio State University College of Optometry finanziert.

Im Fokus: Ein großes Thema

Als Leiter des Teams an der Universität von Houston stellt sich Berntsen einer großen Herausforderung. Laut einer Studie im Opthalmology Journal (2016) werden bis zum Jahr 2050 fast 50 Prozent der Weltbevölkerung (5 Milliarden Menschen) kurzsichtig sein. Und es ist wissenschaftlich belegt, dass Myopie mit einem erhöhten Risiko für langfristige Augengesundheitsprobleme verbunden ist, die das Sehvermögen beeinträchtigen und sogar zur Erblindung führen können.   

In der ersten BLINK-Studie wurde festgestellt, dass hochadditive multifokale Kontaktlinsen die Wachstumsrate der Augen verlangsamen und die Kurzsichtigkeit der Kinder verringern. Da eine hohe Kurzsichtigkeit im späteren Leben mit Augenkrankheiten, wie Netzhautablösung und Glaukom, in Verbindung gebracht wird, biete die Kontrolle des Fortschreitens der Kurzsichtigkeit in der Kindheit möglicherweise einen zusätzlichen Vorteil für die Zukunft. „Es gab Bedenken, dass das Auge schneller als normal wachsen könnte, wenn die Kontaktlinsen zur Myopiekontrolle abgesetzt werden. Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Auge nach dem Absetzen der Myopiekontrolllinsen bei älteren Jugendlichen wieder die altersgemäße Wachstumsrate erreicht“, erörtert Berntsen. 

„Diese Folgeergebnisse der BLINK2-Studie zeigen, dass der Behandlungsnutzen von Kontaktlinsen zur Myopiekontrolle dauerhaft ist, wenn sie in höherem Alter abgesetzt werden“, so der Leiter der BLINK2-Studie, Jeffrey J. Walline, stellvertretender Dekan für Forschung am Ohio State University College of Optometry, Columbus, USA.

Augenwissenschaft

Einstärkenbrillen und Kontaktlinsen können eine Myopie korrigieren. Den Wissenschaftlern zufolge behandeln sie aber nicht das eigentliche Problem, nämlich dass das Auge länger als normal wächst. Im Gegensatz dazu korrigiere die weiche multifokale Kontaktlinse die Kurzsichtigkeit bei Kindern und verlangsame gleichzeitig das Fortschreiten der Myopie, indem sie das Wachstum des Auges herabsetze. 

Multifokale Kontaktlinsen sind wie ein Bullauge gestaltet und fokussieren das Licht auf zwei Arten, erklären die Forscher. Der mittlere Teil der Linse korrigiere die Kurzsichtigkeit, so dass das Sehen in der Ferne klar sei, und bündele das Licht direkt auf der Netzhaut. Weiter heißt es, dass der äußere Teil der Linse die Fokussierungskraft erhöht, um das Licht in der Peripherie vor der Netzhaut zu bündeln. Tierstudien haben gezeigt, dass die Fokussierung des Lichts vor der Netzhaut das Wachstum verlangsamen kann. Je höher die Lesestärke, desto weiter vor der Netzhaut werde das periphere Licht fokussiert.

Einmal BLINKEN…dann zweimal

In der ursprünglichen BLINK-Studie wurden 294 kurzsichtige Kinder im Alter von sieben bis elf Jahren nach dem Zufallsprinzip entweder Einstärken-Kontaktlinsen oder Multifokallinsen mit hoher Addition (+2,50 dpt) oder mittlerer Addition (+1,50 dpt) zugewiesen. Sie trugen die Linsen drei Jahre lang tagsüber so oft, wie es ihnen möglich war. Alle Teilnehmer wurden in Kliniken an der Ohio State University, Columbus, oder an der University of Houston untersucht.

Nach drei Jahren in der ursprünglichen BLINK-Studie zeigten die Kinder in der Gruppe mit den hochadditiven multifokalen Kontaktlinsen im Vergleich zu den Gruppen mit mittlerer Addition und den Einstärken-Kontaktlinsen die kürzeren Augen. Zudem wiesen sie auch die langsamste Progressionsrate der Myopie und des Augenwachstums auf, wie die Studie belegt.

Von den ursprünglichen BLINK-Teilnehmern nahmen 248 weiter an BLINK2 teil. Bei dieser trugen alle Teilnehmer zwei Jahre lang Kontaktlinsen mit hoher Addition (+2,50 dpt), gefolgt von Einstärken-Kontaktlinsen im dritten Jahr der Studie, um zu sehen, ob der Nutzen nach dem Absetzen der Behandlung bestehen blieb.

Am Ende der BLINK2-Studie kehrte das axiale Augenwachstum zu den altersgemäß erwarteten Werten zurück. Zwar gab es, den Wissenschaftlern zufolge, in allen Altersgruppen nach dem Absetzen der Multifokallinsen eine geringe Zunahme des Augenwachstums um 0,03 mm/Jahr, doch die Gesamtrate des Augenwachstums war nicht anders als die altersmäßig erwartete Rate.

Die Studienergebnisse zeigten, dass die Teilnehmer der ursprünglichen BLINK-Behandlungsgruppe mit hochadditiven Multifokallinsen am Ende von BLINK2 weiterhin kürzere Augen und eine geringere Myopie aufwiesen. Kinder, die während BLINK2 zum ersten Mal auf hochadditive multifokale Kontaktlinsen umgestellt wurden, holten jedoch nicht zu denen auf, die seit Beginn der BLINK-Studie im Alter von sieben bis elf Jahren hochadditive Linsen getragen hatten.

Im Gegensatz dazu zeigen Studien zu anderen Myopie-Behandlungen, wie Atropin-Tropfen und Orthokeratologie-Linsen, die die äußerste Hornhautschicht des Auges vorübergehend neu formen sollen, einen Rebound-Effekt, nachdem die Behandlung abgesetzt wurde. 

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es eine vernünftige Strategie ist, Kinder schon in jüngeren Jahren mit multifokalen Kontaktlinsen zur Myopiekontrolle zu versorgen und die Behandlung bis zum späten Teenageralter fortzusetzen, wenn sich das Fortschreiten der Myopie verlangsamt hat“, fügt Berntsen abschließend hinzu.