Nachhaltige Narkose: Charité senkt CO2-Ausstoß im OP um 80 Prozent

Narkose geht auch nachhaltig: Durch die Verwendung klimafreundlicherer Anästhetika spart die Charité jährlich so viel CO2 ein, wie 300 Haushalte durchschnittlich verbrauchen. (Foto: ©Artur Krutsch/Charité)

Die Charité – Universitätsmedizin Berlin hat die jährlichen CO2-Emissionen, die von Narkosegasen ausgehen, seit 2018 um über 80 Prozent reduziert. Wie ist ihr das gelungen?

Erreicht wurde die Senkung des CO2-Austoßes durch die Verwendung klimafreundlicherer Anästhetika im Operationssaal. Wie eine Studie im Fachjournal „Anesthesia & Analgesia“ jetzt belegt, waren Aufklärung und insbesondere Grundsatzentscheidungen der Schlüssel zum Erfolg.

Klimaschädliche Anästhesiegase

Gasförmige Narkosemittel sind klimaaktiv, das heißt sie erwärmen die Atmosphäre – ähnlich wie Kohlendioxid (CO2). Ihre Wirkung ist allerdings deutlich stärker: Ein Kilogramm Desfluran beispielsweise trägt über einen Zeitraum von fünf Jahren knapp 8000-mal so stark zum Treibhauseffekt bei wie ein Kilogramm CO2. Die Emissionen einer siebenstündigen Operation unter Desfluran-Narkose entsprechen einer Autofahrt von fast 7850 Kilometern, also einer Strecke von Berlin nach Ulaanbaatar in der Mongolei. Desfluran ist damit das mit Abstand klimaschädlichste Anästhesiegas.

Maßnahmen ab 2018

„Die meisten Anästhesistinnen und Anästhesisten wissen nicht, wie klimaschädlich Narkosegase sind, weil das Thema nicht Gegenstand der Standardausbildung ist“, erklärt PD Dr. Susanne Koch, Anästhesistin an der Charité und Leiterin der Studie. Als Mitglied der Nachhaltigkeitskommission der European Society of Anaesthesiology and Intensive Care (ESAIC) engagiert sie sich für mehr Nachhaltigkeit in der Anästhesiologie, auch in der Charité. „Um das zu ändern, haben wir 2018 regelmäßige Informationsveranstaltungen und Fortbildungen eingeführt.“

Zusätzlich überarbeiteten die Leitungen der Kliniken für Anästhesiologie die Vorgaben für die Durchführung einer Narkose, seit Ende 2023 wird Charité-weit kein Desfluran mehr verwendet. Die Kliniken setzen stattdessen verstärkt auf lokale Betäubung und den Einsatz des Anästhetikums Propofol, das intravenös verabreicht wird und ungleich klimafreundlicher ist als Narkosegase. Wo medizinisch auf ein gasförmiges Narkosemittel nicht verzichtet werden kann, wird das Narkosegas Sevofluran in der sogenannten Minimal-Flow-Methode genutzt, also mit einem geringen Gasfluss. Sevofluran trägt weniger als ein Drittel so stark zum Treibhauseffekt bei wie Desfluran.

Weniger Emissionen, geringere Kosten, keine Nachteile für Patienten

„Durch diese Maßnahmen ist es der Charité gelungen, die Anästhetika-bedingten CO2-Emissionen von über 7500 Tonnen pro Jahr vor 2018 auf 1454 Tonnen im Jahr 2023, also um mehr als 80 Prozent, zu reduzieren“, sagt Astrid Lurati, Vorstand Finanzen und Infrastruktur der Charité. „Das entspricht einer Einsparung von rund 6000 Tonnen CO2 pro Jahr, also etwa dem jährlichen Verbrauch von 300 deutschen Haushalten. Weil Desfluran außerdem eines der teuersten Narkosegase ist, haben sich unsere jährlichen Kosten für Anästhetika zwischen 2015 und 2023 nahezu halbiert.“

Ein medizinischer Nachteil ist für die Patienten mit der Umstellung der Anästhetika nicht verbunden – im Gegenteil. „Nach einer Narkose mit Propofol wachen die Patient:innen ruhiger auf und ihnen ist seltener übel“, betont Koch. „Desfluran ermöglicht es, die Dauer und Tiefe der Narkose sehr gut zu steuern und wird deshalb gern verwendet. Mithilfe einer EEG-basierten Überwachung, also einer Orientierung an der Hirnaktivität, lässt sich die Narkose aber auch bei Verwendung von Propofol sehr gut steuern.“

Die größte Wirkung: Entscheidungen der Leitung

In seiner Studie untersuchte das Forschungsteam um die Anästhesistin, welche Maßnahmen den größten Einfluss auf den CO2-Ausstoß durch Narkosemittel hatten. Danach führten Publikationen, Fortbildungen und Informationsveranstaltungen – sowohl Charité-intern als auch auf Fachkongressen – zu einer kontinuierlichen Senkung der Emissionen. „Den schnellsten und nachhaltigsten Effekt aber hatte die Anpassung der zentralen Standardvorschriften, an die sich alle Anästhesistinnen und Anästhesisten in ihrer Arbeit halten müssen“, sagt Koch. „Das zeigt, wie wichtig solche grundlegenden Entscheidungen, unterstützt von der Leitungsebene, sind.“