Nationale Diabetesstrategie: Verbände warnen vor möglichem Scheitern

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Die Anzahl der Diabeteserkrankungen in Deutschland steigt seit Jahren beständig an. Für 2040 liegen die Prognosen nach Angaben der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) bei zwölf Millionen Betroffenen. Um gesundheitspolitisch gegenzusteuern, wurde im Koalitionsvertrag 2018 eine Nationale Diabetesstrategie beschlossen. Diese aber könnte aktuellen Informationen zufolge noch scheitern, warnen DDG und diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe.

Der Grund für das mögliche Scheitern der Nationalen Diabetesstrategie ist laut Mitteilung der Verbände der Widerstand von Politikern des Ernährungsausschusses gegenüber einem Passus im Entwurf zu Ernährungsfragen, der vor allem dem Schutz der Kinder diene. Die DDG* und auch diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe betonen, ein Scheitern der Diabetesstrategie wäre unverantwortlich, so würde „die Gesundheit künftiger Generationen“ riskiert.

Über eine halbe Million Deutsche, so erinnern die Verbände, erkranken jedes Jahr neu an Diabetes mellitus. Neben dem persönlichen Leid seien auch die Behandlungskosten dieser Volkskrankheit beträchtlich: Die Versorgung der Patienten inklusive der Begleit- und Folgeerkrankungen von Diabetes koste den Staat jährlich mehr als 21 Milliarden Euro. „Es ist seit Jahren bekannt, dass die Prävention, Früherkennung, Erforschung und Versorgung der Volkskrankheit Diabetes politisch konsequent angegangen werden müssen und keinen Aufschub mehr dulden“, erklärt DDG-Präsidentin Prof. Monika Kellerer.

Zuckerreduktion und Werbeverbot
Im vergangenen Jahr hatte sich die Koalition weitgehend auf Kernpunkte einer Nationalen Diabetesstrategie zur Bekämpfung steigender Erkrankungszahlen geeinigt. „Bis heute scheinbar nicht überwindbarer Widerstand kommt aus dem Ausschuss für Ernährung, der sich an den Zielformulierungen im Ernährungsteil des Papiers entzündet und nun das gesamte Vorhaben gefährdet“, so berichten DDG und diabetesDE. Im Kern gehe es um Maßnahmen zur verbindlichen Zuckerreduktion in Lebensmitteln sowie ein Werbeverbot zuckerhaltiger Lebensmittel für Kinder. „Wissenschaftlich ist belegt, dass diese Maßnahmen wirken, da sie einerseits Auswirkungen auf das Kaufverhalten haben, andererseits die Hersteller animieren, ihre Rezepturen gesünder zu gestalten. Wir halten diese Aspekte für essenziell bei der Umsetzung einer Nationalen Diabetesstrategie“, erklärt Barbara Bitzer, Geschäftsführerin der DDG. „Es ist unstrittig, dass ungesunde Ernährung einen großen Risikofaktor für die Entstehung eines Diabetes darstellt. Daher ist es zwingend notwendig, allen Bürgerinnen und Bürgern die Entscheidung für eine gesunden Ernährung zu erleichtern.

Kröger: “Vertragstreue beweisen”
„Die Koalition muss nun Vertragstreue beweisen und das im Koalitionsvertrag gemeinsam beschlossene Vorhaben endlich umsetzen“, fordert Dr. Jens Kröger, Vorstandsvorsitzender von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe. Sollte die Nationale Diabetesstrategie scheitern, würde die Regierung ihre Glaubwürdigkeit verspielen und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht nachkommen. Erst gerade hätten in einer Umfrage der Deutschen Diabetes-Hilfe 86 Prozent der befragten Menschen mit Typ-2-Diabetes erklärt, dass Sie sich nicht angemessen von der Politik vertreten fühlten, so der Hamburger Diabetologe.

„Ohne verbindliche Ernährungsmaßnahmen droht die Gesamtstrategie gegen den Anstieg von Diabetes und Adipositas zu scheitern“, warnt DDG-Vizepräsident Prof. Andreas Neu. „Die Zuckerreduktion in Lebensmitteln für Kinder und Verbote von Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder und Jugendliche richtet, ist unverzichtbar für den gesundheitlichen Schutz künftiger Generationen“, konstatiert der Oberarzt in der Diabetes-Ambulanz der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin in Tübingen. Erst kürzlich habe eine Studie gezeigt, dass Werbung einen größeren Einfluss auf das Ernährungsverhalten von Kindern und Jugendlichen ausübt als deren Eltern.1

Verhältnispräventive Maßnahmen berücksichtigen
Die Fachverbände appellieren nachdrücklich an die verantwortlichen Politiker, die Nationale Diabetesstrategie weiter voranzutreiben und drängen darauf, verhältnispräventive Maßnahmen unbedingt zu berücksichtigen. Seit Jahren, so heißt es, forderten Diabetes-Verbände ein politisches Gesamtkonzept für mehr Diabetesprävention und eine bessere medizinische Versorgung.2
„Andere EU-Länder sind uns weit voraus und haben bereits eine Diabetesstrategie oder einen Aktionsplan“, betont Bitzer abschließend . Es wäre für das bevölkerungsreichste europäische Land mit einem großen Diabetes-Problem ein Armutszeugnis, das nicht zu schaffen.

*Anm. d. Red.: Mit den okulären Begleit-/Folgeerkrankungen des Diabetes befasst sich in der DDG schwerpunktmäßig die Arbeitsgemeinschaft (AG) Diabetes und Auge: https://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/ueber-uns/arbeitsgemeinschaften/ag-diabetes-und-auge.html

Referenzen:
1Emond JA et al. Influence of child-targeted fast food TV advertising exposure on fast food intake: A longitudinal study of preschool-age children. Appetite. 2019 Sep 1;140:134-141. https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0195666318318671?via%3Dihub
2Kernforderungen von DDG, diabetesDE Deutsche Diabetes-Hilfe und VDBD für eine Nationale Diabetesstrategie. https://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/fileadmin/Redakteur/Stellungnahmen/2019/Politische_Forderungen_der_DDG_diaDE-VDBD_Nationale_Diabetesstrategie_2019_final.pdf