Nationale Herz-Kreislauf-Strategie: Neue Bundesregierung, neues Glück?

Holger Thiele, Direktor der Universitätsklinik für Kardiologie – Helios Stiftungsprofessur am Herzzentrum Leipzig. (Foto: ©Helios Kliniken GmbH)

Das Gesunde-Herz-Gesetz ist passé. Doch die Bemühungen der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) für ein herzgesundes Deutschland gehen weiter. Was wir erwarten dürfen, berichtete DGK-Präsident Prof. Holger Thiele bei der Jahrestagung der Kardiologen in Mannheim.

Die Lebenserwartung in Deutschland ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern unterdurchschnittlich. Ein maßgeblicher Faktor ist die hohe Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Und dass, obwohl wir hierzulande Spitzenreiter bei den Ausgaben für die kardiovaskuläre Versorgung sind. „Wir haben hier eine starke Dysbalance zwischen hohen Kosten und nur einer moderaten Lebenserwartung“, bilanzierte Thiele.

Gesundes-Herz-Gesetz als Grundlage für eine nationale Strategie bricht weg

Diesen Umstand zu ändern, haben sich die DGK und die Nationale Herz-Allianz (NHA) – bestehend aus weiteren herzmedizinischen Fachgesellschaften und Organisationen – auf die Fahnen geschrieben. Ihr Ziel: Die Etablierung einer nationalen Herz-Kreislauf-Strategie, etwa nach dem Vorbild der Spanier, die eine solche bereits vor etlichen Jahren eingeführt haben, wie Thiele berichtete.

Eine wichtige Rolle dabei sollte in Deutschland das Gesunde-Herz-Gesetz (GHG) spielen, das unter dem scheidenden Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) im letzten Jahr angestoßen wurde, doch aufgrund des vorzeitigen Scheiterns der Ampel-Regierung nicht final verabschiedet werden konnte. Auch wenn es unter der künftigen schwarz-roten Bundesregierung wohl keine Anstrengungen geben wird, das GHG weiter zu verfolgen, hoffen DGK und NHA auf die Umsetzung gesundheitspolitischer Maßnahmen, um die Herz-Kreislauf-Gesundheit in Deutschland zu verbessern, insbesondere durch vermehrte Früherkennung und Prävention.

Denn wie eine Studie unter Leitung von Medizinerinnen und Medizinern aus Hamburg jüngst aufzeigte, kann durch Vermeidung der fünf klassischen Risikofaktoren (Bluthochdruck, Übergewicht bzw. Adipositas, Rauchen, Dyslipidämie und Diabetes) bis zum 50. Lebensjahr mehr als ein Jahrzehnt an Lebenszeit hinzugewonnen werden (wir berichteten). Außerdem lassen sich über die wirksame Bekämpfung bereits bestehender Risikofaktoren auch in diesem Alter noch bis zu fünf Lebensjahre zurückgewinnen. „Die Ergebnisse sind ein Aufruf dazu, entsprechend zu handeln“, betonte der DGK-Präsident.

Was die kommende Bundesregierung als erstes angehen muss

Dementsprechend appellierten die Mitglieder der NHA bereits im März an die kommende Bundesregierung, Maßnahmen zur Verbesserung der Herz-Kreislauf-Gesundheit im Regierungsprogramm zu verankern, um eine nationale Herz-Kreislauf-Strategie zu etablieren. Konkret müssten aus Sicht der Allianz die folgenden Punkte umgesetzt werden:

  • Etablierung von Gesundheitsvorsorgeuntersuchungen zur Erkennung und Beratung bzgl. der wichtigen vermeidbaren kardiovaskulären Risikofaktoren Bluthochdruck, Rauchen, Adipositas, Diabetes mellitus und Hypercholesterinämie ab 40 Jahren.
  • Nichtraucherkampagne verbunden mit einer eine Erhöhung der Tabaksteuer und Anerkennung der Nikotinsucht als Krankheit.
  • Unterstützung der Etablierung eines Nationalen Herzregisters aufbauend auf der elektronischen Patientenakte.
  • Unterstützung der Förderung von evidenzbasierter struktureller Primärprävention und Verhältnisprävention, unter anderem mit Lebensstilmodifikation im Kindesalter.
  • Maßnahmen zur Steigerung der Laienreanimation mit verpflichtender Umsetzung von Reanimationsunterricht an Schulen, Anleitung zur Telefonreanimation durch die Leitstellen und eine flächendeckende Versorgung mit Ersthelfer-Apps.

Diese Forderungen bekräftigte Thiele beim DGK-Jahreskongress in Mannheim. Zwar bleibe der erst kürzlich veröffentlichte Koalitionsvertrag vage, aber aus Sicht von Thiele birgt er dennoch das Potenzial, dass der Faden wieder aufgenommen wird und einige der Punkte aus dem GHG umgesetzt werden können.

Gemeinsamer Bundesausschuss als „Retter“ einiger Säulen des Gesunden-Herz-Gesetzes

Lauterbach selbst hatte nach dem Ampel-Aus auf einem Herzmedizin-Summit in Berlin am 27. November 2024 angekündigt, die Säulen des GHG über den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zu retten. Beispielsweise könnte die Aufnahme des Screenings für die Familiäre Hypercholesterinämie (FH) in die U9-Vorsorgeuntersuchung beim Kinderarzt geprüft werden. Auf Grundlage der Daten des VRONI-Projekts geht man davon aus, dass eines von 175 Kindern eine solche genetisch bedingte Hypercholesterinämie aufweist, die zu einer deutlich reduzierten Lebenserwartung durch frühzeitige Herzinfarkte beiträgt.

Durch den G-BA bereits umgesetzt wurde im Dezember 2024 die Verordnungsbeschränkung zu Statinen, wonach nun ein zehnprozentiges Risiko für die Entwicklung eines kardiovaskulären Ereignisses in den nächsten zehn Jahren ausreicht, um Statine verordnen zu können. Die Risikoschwelle lag bis dato bei 20 Prozent (wir berichteten). „Es ist ein wichtiger Schritt, dass wir diese Verordnungsbeschränkung nun nicht mehr haben“, urteilte Thiele.

Erhöhung der Tabaksteuer und der Impfquote

Die DGK hält neben der Verhaltensprävention, die auf personenbezogene Faktoren abzielt, die auf Umweltfaktoren fokussierende Verhältnisprävention für einen wichtigen Hebel, um die Herzgesundheit in Deutschland zu verbessern. Vor allem mit einer Erhöhung der Tabaksteuer könne die Politik aus Sicht der Kardiologie hier ein starkes Zeichen setzen. Zwar ist bereits ein Anstieg der Tabaksteuer auf 12,28 Cent/Zigarette bis zum Jahr 2026 beschlossen (derzeit 11,71 Cent/Zigarette), diese Erhöhungen seien aber vermutlich weiterhin zu niedrig, um eine wirksame Maßnahme für das Nichtrauchen zu sein. Eine drastisch erhöhte Tabaksteuer könne hingegen bewirken, dass gar nicht erst mit dem Rauchen begonnen werde.

Mit der Awareness-Kampagne „Herz ist Impf“, die sich sowohl an medizinisches Fachpersonal als auch an Patientinnen und Patienten richtet, möchte die DGK außerdem die Impfquote unter kardiovaskulären Risikopatienten steigern. Diese liegt Thiele zufolge in Deutschland bei nur rund 30 bis 40 Prozent. Dabei könne die konsequente Impfung von herzkranken Patienten gegen Atemwegsinfekte wie Influenza, RSV oder Pneumokokken dazu beitragen, sowohl Erkrankungen und Leid zu verhindern als auch Kosten im Gesundheitswesen zu senken. „Der Fakt, dass wir durch konsequente Verbesserung der hierzulande sehr niedrigen Impfquote so viele kardiovaskuläre Ereignisse verhindern könnten wie durch die leitliniengerechte Einstellung der Cholesterinwerte, ist sowohl in der Fachgruppe als auch unter den Betroffenen nicht ausreichend bekannt“, monierte Thiele. Hier setzt die von der NHA während der DGK-Jahrestagung gestartete Awareness-Kampagne an.

Krankenhausreform ermöglicht bessere Qualität komplexer kardiologischer Leistungen

Schließlich begrüßte Thiele im Namen der DGK, dass die neue Bundesregierung das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) weiterführen möchte. „Das ist aus meiner Sicht extrem wichtig“, so Thiele. Die Fachgesellschaft unterstützt die damit einhergehende Konzentrierung komplexer Eingriffe, zu welcher es durch die Einführung von Leistungsgruppen und die Festlegung, welche Klinik künftig welche Leistung noch erbringen kann, kommt. Die Umstrukturierung müsse jedoch evidenzbasiert erfolgen. Die DGK werde durch eigene Datenanalysen und auch durch die Unterstützung bei externen Datenanalysen helfen, hier im Sinne der bestmöglichen Qualität und Versorgung belastbare Evidenz für die Relation zwischen Volumen und Outcome zu generieren.

„Wenn wir das alles umsetzen würden, kann man sicherlich glücklich und mit guter Lebensqualität auch 100 Jahre alt werden“, schloss Thiele mit einem Augenzwinkern.

(ah)