Neue Angriffsmöglichkeit gegen Staupevirus entdeckt15. März 2023 Seitenansicht des «Andock-Proteins» des Hundestaupevirus. Rot, blau, gelb und grün gefärbt sind die vier grossen Köpfe und die verbindende Halsdomäne des viralen Proteins. Das H-Protein ist in der viralen Membran verankert. Abb.: © IBMM/Universität Bern Das Hundestaupevirus (Canine Distemper Virus, CDV) und das Masernvirus gehören zu den Morbilliviren: Bei diesen handelt es sich um hochansteckende RNA-Viren, die von einer Hülle umgeben sind, auf der sogenannte „Andock-Proteine“ herausragen – ähnlich wie das Spike-Protein beim Coronavirus. Wissenschaftler haben nun erstmals die Struktur des „Andock-Proteins“ des Hundestaupevirus bestimmt und auf molekularer Ebene abgebildet. Forschende der Universität Bern und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften konnten damit eine Art Grundstein legen für die Entwicklung neuer Therapien zur Eindämmung der Hundestaupe. Der Ansatz kann auch für die Bekämpfung von Masern genutzt werden. Das hochansteckende Hundestaupevirus ist gefährlich für Hunde und wildlebende Tiere. Zudem ist es eng verwandt mit dem für Menschen hochansteckenden Masernvirus. Beide Viren verursachen sowohl Atemwegsinfektionen als auch tödliche Gehirnentzündungen, wobei Hirninfektionen vor allem bei CDV häufig vorkommen. Obwohl gegen Masern ein wirksamer Impfstoff zur Verfügung steht, sterben daran immer noch über 100 000 Menschen pro Jahr. Das Hundestaupevirus seinerseits verursacht speziell bei Wildtieren grosse Epidemien, unter anderem auch bei bedrohten Tierarten wie bestimmten Tigerarten. Es besteht zudem ein hohes Risiko einer Übertragung auf andere Tierarten – in Ländern mit unzulänglichem Impfschutz kann es Hunde schwer treffen.Aktuell kein antivirales Medikament zugelassenBei Masern könnten antivirale Medikamente eine gute Ergänzung zu den Impfkampagnen darstellen. Und auch bei CDV würden Medikamente die Behandlung von infizierten gefährdeten Arten in Gefangenschaft, zum Beispiel Pandas, unterstützen. Allerdings ist derzeit kein antivirales Morbillivirus-Medikament zugelassen. Um wirksame Medikamente herzustellen, ist ein besseres Verständnis der Struktur des Masern- und Staupevirus und der Mechanismen, die das Eindringen in die menschlichen und tierischen Zellen ermöglicht nötig. Prof. Dr. Dimitrios Fotiads, Institut für Biochemie und Molekulare Medizin, Medizinische Fakultät, Universität Bern Foto: © zvg Forschenden um Dimitrios Fotiadis vom Institut für Biochemie und Molekulare Medizin (IBMM) der Medizinischen Fakultät der Universität Bern und Philippe Plattet von der Abteilung für Neurologische Wissenschaften der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern ist es nun gelungen, erstmals die Struktur des „Andock-Proteins“ des Hundestaupe-Virus zu bestimmen und auf molekularer Ebene abzubilden. Diese Erkenntnisse ermöglichen es, „maßgeschneiderte“ Wirkstoffe gegen das „Andock-Protein» zu entwickeln, die das Eindringen des Virus in Wirtszellen verhindern. Die Studie wurde im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Science USA“ publiziert.Das „Andock-Protein“ gezielt blockierenDer Mechanismus, mit dem sich die Masern- und das Hundestaupevirus in die Zellen einschleusen, basiert auf zwei Proteinen auf der Virushülle: einem „Andock-Protein“ (auch H-Protein genannt) und einem „Fusionsprotein“ (F-Protein). Aufgrund bisheriger Forschung geht man davon aus, dass das H-Protein bei der Interaktion mit einem Wirtszellrezeptor ein Signal übermittelt, welches das F-Protein aktiviert. Daraufhin kommt es zu einer Fusion der Virenhülle mit der Membran der Wirtszelle. Dabei wird eine sogenannte Fusionspore gebildet, die das Eindringen des viralen Erbguts in die Wirtszelle ermöglicht. Nun konnte das Team um Dimitrios Fotiadis und Philippe Plattet gemeinsam mit Forschenden der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) erstmals mittels Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) die Struktur dieses H-Proteins bestimmen und auf molekularer Ebene abbilden. Bei der Kryo-Elektronenmikroskopie werden biologische Proben bei kryogenen Temperaturen (rund −180 °C) und um 100 000-facher Vergrösserung abgebildet. Dabei zeigte sich, dass das Protein durch drei Hauptdomänen (Köpfe, Hals und Stiel) charakterisiert ist, die sich zu einem „Y“ formen. „Dass wir die Struktur ermitteln konnten, stellt einen großen Sprung nach vorn dar. Dies ermöglicht es uns nun zu verstehen, wie sich die verschiedenen Subdomänen räumlich zueinander verhalten – und liefert uns eine wertvolle Vorlage, um antivirale Medikamente der nächsten Generation zu entwickeln, die das ‹Andock-Protein› abblocken“, sagt Dimitrios Fotiadis.Neuartige therapeutische Ansätze PD Dr. Jean-Marc Jeckelmann, Ko-Autor der Studie, bei der Aufnahme von Bildern mit dem neuen Kryo-Elektronenmikroskop (das blau beleuchtete Gerät im Hintergrund). Foto: © IBMM / Universität Bern „Die gleichzeitige Blockierung des Zelleintrittprozesses beim Staupe- und Masernvirus mit mehreren unterschiedlichen neutralisierenden Molekülen ist eine vielversprechende antivirale Strategie“, erklärt Philippe Plattet. Derzeit haben Forschende des Konsortiums um Plattet und Fotiadis und der Universität Marseille erfolgreich Antikörper identifiziert, die CDV auf hochwirksame Weise neutralisieren. Bei der weiteren Forschung wird die kürzlich neu eingerichtete Kryo-EM-Plattform der Universität Bern nützliche Dienste leisten: so können die Strukturstudien für CDV und verwandte Viren jetzt erweitert und beschleunigt werden, etwa um die Strukturen der H-Proteine des Masern- und Staupevirus zu bestimmen, wenn sie an neutralisierende Antikörper gebunden sind. „Dank der durch Kryo-EM bestimmten viralen Strukturen können wir mittels sogenanntem Struktur-basiertem Wirkstoffdesign antivirale Medikamente entwickeln und verbessern“, so Fotiadis.Die Studie wurde mit einem Sinergia-Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds finanziert, einem Förderungsinstrument zur Unterstützung kollaborativer und interdisziplinärer Spitzenforschung.Das Institut für Biochemie und Molekulare Medizin (IBMM) der Medizinischen FakultätDie Forschung am Institut für Biochemie und Molekulare Medizin (IBMM) der Medizinischen Fakultät Universität Bern befasst sich mit der Struktur, Funktion und Pharmakologie von Membranproteinen wie Transportern, Ionenkanälen und Membranrezeptoren. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Rolle dieser Membranproteine bei menschlichen Krankheiten. Am IBMM werden chemische Synthese, chemische Biologie/Analytik mit Elektrophysiologie, Strukturbiologie und computergestützter Biologie kombiniert. Sowohl menschliche Ex-vivo-Modelle als auch genetisch veränderte Mausmodelle dienen der Untersuchung von bestimmten Membranproteinen bei verschiedenen Krankheiten wie Krebs, Herzerkrankungen, Präeklampsie und neuropsychiatrischen Störungen.Die Abteilung für Neurologische Wissenschaften der Vetsuisse-FakultätForschende der Abteilung für Neurologische Wissenschaften untersuchen die Pathogenese von neuroinfektiösen und allergischen Erkrankungen bei Tieren, tragen zur Überwachung von neurologischen Erkrankungen bei und entwickeln neue therapeutische Strategien. Kryo-Elektronenmikroskopie an der Universität BernEine besondere Rolle bei der vorliegenden Studie spielt die kürzlich neu eingerichtete Kryo-EM Plattform an der Universität Bern. Die jüngsten Entwicklungen in der Kryo-EM haben die Molekularbiologie und Biochemie in eine neue Ära geführt und die Visualisierung molekularer Komplexe und Mechanismen ermöglicht. Diese Methode wurde im Jahr 2017 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. An der Universität Bern arbeiten diverse Gruppen mit Kryo-EM, unter anderem am IBMM oder dem Institut für Anatomie.
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