Neue Dimensionen bei bionischer Extremitätenrekonstruktion7. Juni 2019 Foto: ©MedUni Wien Das Behandlungsspektrum zur Wiederherstellung verlorener Körperfunktionen durch neue Ansätzen zu erweitern ist das Ziel des kürzlich an der MedUni Wien/AKH Wien eröffneten Klinischen Labors für Bionische Extremitätenrekonstruktion. Ganz konkret ist dabei ein Projekt (Natural BionicS), für das Oskar Aszmann von der Klinischen Abteilung für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie und die MedUni Wien gemeinsam mit IIT Genua und dem Imperial College London vor kurzem einen mit 10 Millionen Euro dotierten ERC-Synergy-Grant erhalten hat. Dabei geht es um die Entwicklung von Bionik-Prothesen der neuesten Generation. Ziel ist es PatientInnen nach Extremitätenverlust mit diesem neuen Konzept zu behandeln und ihnen so wieder eine möglichst natürliche Körperlichkeit und Funktionalität im Umgang mit moderner Prothetik zu ermöglichen. Der Impuls zur Bewegung der Prothese kommt vom Gehirn bzw. dem zentralen Nervensystem (1). Die im Stumpf verbliebenen Nerven enthalten ein neuronales Abbild der gesamten amputierten Extremität – den “Manunculus” (2). Das voll implantierte Biosphere-System (3) im Stumpf übersetzt die Signale in elektronische Impulse. Über einen osseointegrierten Anschluss (4) werden die elektronischen Impulse zur Steuerung der Prothese weitergeleitet. Eine weiche prothetische Hand nach dem “Soft-Robotics”-Prinzip (5) ermöglicht eine natürliche, intuitive Interaktion mit der Umwelt. Sensoren in der robotischen Hand leiten elektrische Signale in ein Dermis-Transplantat auf dem BioSphere System zurück und werden so als Feedback direkt ins zentrale Nervensystem geleitet (6). Die/der PatientIn empfindet die Prothese dadurch als natürlichen Teil des Körpers. ©MedUni Wien „Ein zentrales Element ist hierbei die Schaffung eines so genannten Manunkulus“, sagt Aszmann in Anspielung auf das bekannte „Homunkulus“-Konzept der zentralen sensomotorischen Bewegungskontrolle. Dabei soll eine biologische Schnittstelle geschaffen werden, welche als Interface verlorener Körperteile mit entsprechenden mechatronischen Ersatzteilen dienen kann. In einem komplexen neuromuskulären Eingriff wird eine Matrix geschaffen, welche Biosignale für modernste Technik greifbar macht und so für die Steuerung bionischer Prothesen herangezogen werden kann. Aszmann: „Zusammen mit neuen Errungenschaften in der Signalübertragung und mechatronischen Entwicklung wird so eine neue Dimension im bionischen Extremitätenersatz eröffnet und eine fast uneingeschränkte Intuitivität der Bewegungskontrolle und Wahrnehmung ermöglicht.“ Nervenimpulse aus dem zentralen Nervensystem erzeugen eine Bewegung im Muskel (1). Das BioSphere Implantat (2) liest über ein 64-poliges Elektrodennetz diese Impulse ab. Die Signale werden entschlüsselt und als elektronische Impulse zur Steuerung der Prothesenbewegung weitergeleitet. Sensoren in der Prothese senden elektronisches Feedback an eine Manschette um den amputierten Stumpf (3). Elektromagnetische Aktuatoren in der Manschette aktivieren ein implantiertes magnetisches Geflecht (4) unterhalb der Haut (5). Ein Dermis-Transplantat (6) auf diesem Geflecht “registriert” diese Bewegung und leitet sie über einen Nerven (7) direkt ins zentrale Nervensystem zurück. © MedUni Wien Das Anfang Juni eröffnete Labor steht auf vier wichtigen Säulen: (Grundlagen-)Forschung, die Behandlung von Betroffenen, Lehre und Public-Private-Partnership. Mit dem Healthcare-Products-Unternehmen Ottobock, mit dem Aszmann seit Jahren eng zusammenarbeitet und deren Prothesen ein wichtiger Baustein in der Bionischen Rekonstruktion darstellen, wurde ein neuer Vertrag bis 2025 abgeschlossen, der dem Labor eine Forschungsförderung von einer Million Euro sichert. Für die bahnbrechende Weiterentwicklung in der Anwendung von bionischen Oberarmprothesen wurden Aszmann gemeinsam mit Otto Bock Healthcare Products 2015 mit dem renommierten Houskapreis zur Forschungsförderung ausgezeichnet. Bei der Eröffnungsfeier war auch Aszmanns bekanntester Patient, Patrick Mayrhofer mit dabei. Der 31-Jährige ist mittlerweile erfolgreicher Paralympic Snowboarder und gewann bei den Winter-Paralympics 2018 Silber im Banked Slalom. 2008 war der Elektriker aus dem Mühlviertel schuldlos bei Arbeiten an einem Kabel in den Stromkreis geraten. Die Folge: schwerste Verletzungen an Händen und Beinen, Not-Operationen, monatelange Reha. Die Beine und die rechte Hand konnten gerettet werden, die linke Hand blieb funktionslos. Dann entschied sich Patrick, die Hand amputieren zu lassen und einige Wochen später durch eine bionische Prothese zu ersetzen. Viele namhafte Universitäten (Johns Hopkins, MIT, Harvard, HSS New York, Ann Arbor, U-Michigan) sind in den vergangenen Jahren mit ähnlichen Konzepten und Forschungsprogrammen nachgezogen. Im Jahr 2018 hat Aszmann gemeinsam mit Laura Hruby im Wissenschaftsbuch „Bionische Rekonstruktion – Wiederherstellung an der Grenze zwischen Mensch und Maschine“ einige der spannendsten Fälle zusammengefasst und im Detail auch für interessierte Laien auf wissenschaftlicher Basis beschrieben. Das Buch erschien in Kooperation von MedUni Wien und MANZ Verlag: Buchtipp: „Bionische Rekonstruktion. Wiederherstellung an der Grenze zwischen Mensch und Maschine.“ Oskar Aszmann, Laura A. Hruby, MedUni Wien im MANZ-Verlag, ISBN: 978-3-214-01486-5. 2018, 180 Seiten, EUR 23,90.
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