Neue Einblicke in die Schmerzverarbeitung: Wie Gamma-Oszillationen gesteuert werden

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Ein chinesisches Forschungsteam zeigt, dass spezielle Interneurone im somatosensorischen Kortex nozizeptiv ausgelöste Gamma-Oszillationen steuern – Hirnstromwellen, die die Schmerzintensität im Gehirn widerspiegeln.

Die elektrische Aktivität im Gehirn lässt sich graphisch über die Elektroenzephalographie darstellen. In einem Elektroenzephalogramm (EEG) wird die aggregierte Aktivität der Nervenzellen in Form von Hirnstromwellen (Oszillationen) unterschiedlicher Frequenz aufgezeichnet, die in sogenannte Frequenzbänder eingeteilt werden. Das EEG-Band mit der höchsten Frequenz (30 Hz und mehr) ist das Gamma-Band. Hirnstromwellen in diesem Frequenzband werden als Gamma-Wellen oder Gamma-Oszillationen bezeichnet. Sie entstehen beispielsweise bei verstärkten kognitiven Prozessen.

Gamma-Oszillationen in Verbindung mit Schmerzreizen

Auch bei der Verarbeitung nozizeptiver Reize spielen Gamma-Oszillationen eine Rolle – im speziellen im primären somatosensorischen Kortex (S1), wo die Verarbeitung von Sinnesreizen wie dem Schmerzempfinden stattfindet. So haben frühere Studien gezeigt, dass durch Nozizeption ausgelöste Gamma-Oszillationen sowohl bei Menschen als auch bei Tieren Schmerzen und schmerzbezogene Verhaltensweisen zuverlässig abbilden, was auf ihr Potenzial als neuronale Biomarker hindeutet. Welche genauen neuronalen Mechanismen diesen schmerzbedingten Gamma-Wellen zugrunde liegen, war bislang jedoch nur unzureichend verstanden.

Parvalbumin-positive Interneurone steuern Gamma-Oszillationen

Ein Forscherteam unter der Leitung von Prof. Li Hu am Institut für Psychologie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften hat nun herausgefunden, dass die Schmerzintensität im S1 bevorzugt durch Parvalbumin(PV)-positive GABAerge Interneuronen vermittelt wird und diese speziellen neuronalen Zellen nozizeptiv ausgelöste Gamma-Oszillationen steuern. Ihre Erkenntnisse publizierte die Forschungsgruppe kürzlich in der Fachzeitschrift „Neuron“.

Hu und seine Kollegen führten eine Reihe von Experimenten mit Menschen, Mäusen und Ratten durch. Die Experimente umfassten sowohl nozizeptive als auch nichtnozizeptive sensorische Reize, eine Reihe von neuronalen Aufzeichnungstechniken (EEG mit hoher Dichte beim Menschen und Silizium-Sonden und Kalzium-Imaging bei Nagetieren) sowie optogenetische Methoden (sowohl allein als auch gleichzeitig mit Elektrophysiologie bei Mäusen).

Ihre Ergebnisse bestätigen, dass Gamma-Oszillationen in S1 beim Menschen selektiv die Schmerzintensität verkörpern und bei Nagetieren eng mit der Spiking-Aktivität von PV-positiven Interneuronen verbunden sind. Die Kalzium-Bildgebung zeigte, dass PV-Interneurone – und nicht Pyramidenzellen – die Schmerzintensität bevorzugt kontrollieren. Nachfolgende optogenetische Manipulationen verdeutlichten weiterhin, dass die Aktivierung oder Hemmung von PV-Interneuronen die nozizeptiv ausgelösten Gamma-Oszillationen und damit verbundene schmerzbezogene Verhaltensweisen verändern kann.

Gamma-Oszillationen als Schmerzbiomarker

Die Schlussfolgerung der Forschenden: Die Verknüpfung der Aktivität der PV-Interneurone auf mikroskopischer Ebene mit den Gamma-Oszillationen auf mesoskopischer Ebene würde eindeutig belegen, dass PV-Interneurone in S1 die neuronale Grundlage für die Rolle der Gamma-Oszillation bei der Bestimmung der Schmerzintensität sind.

„Diese Ergebnisse sind nicht nur für das Verständnis der Physiologie der kortikalen nozizeptiven Verarbeitung von Bedeutung, sondern haben auch weitreichende Auswirkungen, da Gamma-Oszillationen in der klinischen Praxis und der Arzneimittelentwicklung zunehmend als Schmerz-Biomarker anerkannt werden“, sagt Hu, korrespondierender Autor der Studie. Auch halten die Forschenden Gamma-Oszillationen für ein vielversprechendes Ziel für therapeutische Interventionen.

(ah)