Neue Erkenntnisse über die Schallkodierung beim Hören15. Dezember 2023 Foto: adimas/stock.adobe.com Sinnes- und Nervenzellen im Ohr kommunizieren über Botenstoffe. Göttinger Forschende haben neue Details zu diesem Prozess, der die Freisetzung der Botenstoffe und so die Weiterleitung der Schallinformation reguliert, aufgedeckt. Beim Hören spielen Botenstoffe bei der Übertragung der Schallinformation eine grundlegende Rolle und können ursächlich für Störungen des Hörsinns sein. Hörstörungen sind sehr häufig: Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden etwa 466 Millionen Menschen, dies entspricht etwa fünf Prozent der Weltbevölkerung, unter einer versorgungsbedürftigen Schwerhörigkeit. Die elementaren Prozesse des Hörens zu verstehen, ist eine wichtige Voraussetzung, um zukünftig bessere Methoden zur Behandlung von Schwerhörigkeit zu entwickeln. Wissenschaftlerin Dr. Lina María Jaime Tobón und Institutsdirektor Prof. Tobias Moser, beide tätig am Institut für Auditorische Neurowissenschaften der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), am Exzellenzcluster „Multiscale Bioimaging: von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen“ (MBExC) und am Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften (MPI-NAT), haben nun die Synapsen zwischen den Haarsinneszellen im Innenohr und den Nervenzellen des Hörnervs untersucht. Erstmals wurden einzelne Synapsen im Innenohr hörender Mäuse mittels der von Erwin Neher und Bert Sakmann in Göttingen entwickelten Patch-Clamp-Technik untersucht. Diese Methode erlaubt es, bei der Schallkodierung „zuzuschauen“. Dabei ging es vor allem um die Frage, wie die Synapsen die Freisetzung des Botenstoffs Glutamat an den Schallreiz koppeln. Die Ergebnisse zeigen, wie die Glutamat-Freisetzung dabei mit der Stärke des Reizes zunimmt. Die Hauptdarsteller bei diesem Prozess sind die Kalzium-Kanäle, die Kalzium-Ionen und die synaptischen Vesikel, die offenbar nur wenige millionstel Millimeter von den Kanälen entfernt liegen. Die Ergebnisse der Studie, die durch den Exzellenzcluster MBExC und den Sonderforschungsbereich „Zelluläre Mechanismen sensorischer Verarbeitung“ (SFB 889) gefördert wurde, sind kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht worden. Das Team aus Göttingen ist in seiner Studie der Frage nachgegangen, wie die elektrische Entladung der Zelle einzelne Synapsen zur Freisetzung von Botenstoffen aktiviert. Die Ergebnisse zeigen, dass immer ein Kalzium-Kanal und ein Vesikel eine funktionelle Einheit bilden. Jeder der auf den Vesikeln befindlichen Kalzium-Sensoren, die für die Botenstoff-Freisetzung sorgen, muss dabei offenbar vier Kalzium-Ionen binden, bevor schließlich Botenstoffe an die benachbarte Nervenzelle des Hörnervs gesendet werden. „Wir konnten erstmals die Kopplung von Kalzium-Kanälen und Botenstoff-Freisetzung an einzelnen Haarsinneszell-Synapsen mit höchster zeitlicher Auflösung untersuchen. Auf diese Weise konnten wir die nur wenige tausendstel Sekunden andauernde erste Phase der Freisetzung erfassen“, erläutert Tobón, die auch Mitglied des Hertha-Sponer-College des MBExC ist. „Dadurch ist es uns gelungen, die Anzahl der Kalzium-Ionen, die für eine Freisetzung an den Sensor synaptischer Vesikel binden müssen, verlässlich zu bestimmen.“ „Dieser Durchbruch ist ein spannendes Beispiel für die Arbeiten im Exzellenzcluster MBExC“, sagt Moser, Senior-Autor der Publikation. „Unsere vorherigen Arbeiten hatten bereits erste Hinweise auf eine enge räumliche Kopplung der Glutamat-Freisetzung eines synaptischen Vesikels an den Kalziumeinstrom durch benachbarte Kalzium-Kanäle gegeben. Die hohe Sensitivität der hier durchgeführten Messungen bietet nun die genaueste uns bekannte Quantifizierung dieses Prozesses, der sich in Größenordnungen von wenigen millionstel Millimetern abspielt“, so Moser. Der Göttinger Exzellenzcluster 2067 Multiscale Bioimaging: Von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen (MBExC) wird seit Januar 2019 im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert. Mit einem einzigartigen interdisziplinären Forschungsansatz untersucht MBExC die krankheitsrelevanten Funktionseinheiten elektrisch aktiver Herz- und Nervenzellen, von der molekularen bis hin zur Organebene. Hierfür vereint MBExC zahlreiche universitäre und außeruniversitäre Partner am Göttingen Campus. Das übergeordnete Ziel: den Zusammenhang von Herz- und Hirnerkrankungen zu verstehen, Grundlagen- und klinische Forschung zu verknüpfen, und damit neue Therapie- und Diagnostikansätze mit gesellschaftlicher Tragweite zu entwickeln. Das Hertha-Sponer-College des MBExC wurde mit dem Ziel etabliert eine neue Generation von Forschenden auszubilden, die Grundlagenforschung mit Biomedizin verbindet.
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