Neue Erkenntnisse über Regulation des Herzschlags

Prof. Dr. Christian Wahl-Schott mit einem Modell des menschlichen Herzens. Foto: © Karin Kaiser / MHH

MHH-Studie widerlegt bisherige Lehrbuch-Theorie.

Ob das Herz bei Anstrengung schneller oder im Ruhezustand langsamer schlägt, reguliert das autonome (vegetative) Nervensystem. Eine Forschungsgruppe um Professor Dr. Christian Wahl-Schott, Leiter des Instituts für Neurophysiologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), hat nun in Kooperation mit dem Institut für Pharmakologie für Naturwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München genauer untersucht, wie dieser Mechanismus funktioniert und dabei eine gängige Lehrmeinung widerlegt. Die gemeinsame Studie ist jetzt in “Nature Communications” veröffentlicht worden.

Ionenkanäle stabilisieren den Herzrhythmus

Schrittmacherzellen sind elektrisch aktiv. Spezielle Ionenkanäle leiten positiv geladene Teilchen durch die Zellmembranen im Sinusknoten. Zu diesen Kanälen gehören die HCN-Kanäle (hyperpolarisation-activated cyclic nucleotid-gated cation channels). HCN Kanäle werden durch ein bestimmtes Signalmolekül moduliert, das cAMP (zyklisches Adenosinmonophosphat).

„Jahrzehntelang galt die Hypothese, dass eine höhere cAMP-Konzentration über eine Bindung an HCN4 Kanäle (Haupt HCN Kanalsubtyp im Sinusknoten) die Herzfrequenz erhöht, eine niedrigere den Herzschlag verlangsamt“, erklärt Wahl-Schott. Doch widersprüchliche Beobachtungen aus der Praxis zogen die Theorie zunehmend in Zweifel.

Um die alte Annahme nun molekularbiologisch zu überprüfen, hat das Forschungsteam bei Mäusen die Bindungsstelle für cAMP in den HCN4-Kanälen im Herzen genetisch verändert und verhindert, dass der Botenstoff die Kanäle anschaltet. „Die Mäuse haben dadurch zwar einen unregelmäßigen Herzschlag entwickelt“, sagt der Mediziner. „Entgegen der bislang geltenden Vermutung ließ sich der Herzrhythmus aber weiterhin regulieren.“

Da die Bindungsstelle zwischen Botenstoff und Ionenkanal bei Maus und Mensch sehr ähnlich sind, lassen sich die Ergebnisse der Studie vom Tiermodell auf den Menschen übertragen: Sie zeigen, dass vor allem die Ionenkanäle der Untereinheit HCN4 den Herzrhythmus stabilisieren und überschießende Reaktionen des autonomen Nervensystems verhindern.

Einzelne Schrittmacherzellen pausieren sogar minutenlang und feuern gar keine elektrischen Signale an die Herzmuskelzellen, wodurch sie die Herzfrequenz direkt regulieren.

„Die Erkenntnisse sind wichtig, um etwa die Mechanismen von Herzerkrankungen wie Rhythmusstörungen oder das Sick-Sinus-Syndrom künftig besser zu verstehen“, betont Wahl-Schott. Die neuen Beobachtungen über den Taktgeber des Herzschlags könnten sich aber auch auf die Behandlung von Herzerkrankungen auswirken – etwa bei der Verwendung von Medikamenten, die die HCN4-Kanäle gezielt beeinflussen.

Publikation: Fenske S et al. cAMP-dependent regulation of HCN4 controls the tonic entrainment process in sinoatrial node pacemaker cells. NATURE COMMUNICATIONS | (2020)11:5555 | doi: 10.1038/s41467-020-19304-9
www.nature.com/articles/s41467-020-19304-9.epdf