Neue Erkenntnisse zu Kalziumtransport und Signalverarbeitung

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Zwei Studien zur Signalverarbeitung im Gehirn eröffnen neue Ansätze für Medikamente – etwa gegen erblich bedingte Taubheit: Mithilfe des Membranlipids PtdIns(4,5)P2 transportieren Kalziumpumpen der Plasmamembran Kalziumionen rund 100-mal schneller als bislang bekannt.

Kalzium spielt eine entscheidende Rolle für die Signalübertragung im Gehirn – aber zu viel davon darf nicht in der Zelle bleiben. Ein unausgeglichener Kalziumspiegel kann die Zellfunktion stören und langfristig Krankheiten begünstigen – darunter erblich bedingte Taubheit. Deshalb ist es entscheidend, dass die Zellen Kalzium nach jedem Signal schnell und präzise wieder abpumpen.

Diese Aufgabe übernehmen Komplexe aus einer Plasmamembran-Kalzium-Adenosintriphosphatase (ATPase)-Untereinheit und einem Neuroplastin-Protein. Diese Kalziumpumpen arbeiten mit einer mehr als 100-mal höheren Transportgeschwindigkeit als bislang angenommen. Das zeigt eine experimentelle zellphysiologische Studie, die in „Nature Communications“ erschienen ist, unter der Leitung hatten Prof. Bernd Fakler, Direktor des Instituts für Physiologie der Universität Freiburg.

Kalziumkonzentration innerhalb von Millisekunden senken

Indem sie Kalziumionen mit einer Transportgeschwindigkeit von mehr als 5000 Zyklen pro Sekunde aus den Zellen schleusen, können aktive, das Adenosintriphosphat (ATP)-verbrauchende, Kalziumpumpen der Zellmembran die Kalziumkonzentration im Zellinneren innerhalb weniger Millisekunden von zehn Mikromolar auf unter 0,1 Mikromolar senken.

Zum Vergleich: Kalzium-ATPase-Typen in intrazellulären Membranen arbeiten mit Umsatzraten von wenigen zehn Zyklen pro Sekunde. Für seine funktionellen Experimente nutzte das Team Kalzium-aktivierte Kaliumkanäle als ultraschnelle Sensoren, die Änderungen der Kalziumkonzentration im Bereich von Millisekunden sichtbar machen.

Zusammen mit den per Elektronenmikroskopie ermittelten Dichten der Pumpenkomplexe in den Zellmembranen (rund 55 Komplexe pro Quadratmikrometer) konnten die Forschenden die Transportgeschwindigkeit der Pumpen berechnen – in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Prof. Heiko Rieger an der Universität des Saarlandes.

Membranlipid als Schlüsselfaktor für schnellen Transport

Wie sind diese hohen Transportgeschwindigkeiten möglich? Das Funktionsprinzip konnten die Freiburger Physiologen, insbesondere Dr. Uwe Schulte, Mitarbeiter des Instituts für Physiologie, in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Molekulare Physiologie unter der Leitung von Prof. Stefan Raunser klären. Ihre Ergebnisse hat das Team parallel in „Nature“ veröffentlicht.

Das Freiburger Team führte kryo-elektronenmikroskopische Analysen mit hoher räumlicher Auflösung (2,8–3,6 Å) von Plasmamembran-Kalzium-ATPase-2-(PMCA2)-Neuroplastin Pumpen in acht funktionellen Zuständen des Transportzyklus durch. Diese zeigen: Die Kalziumpumpen wirken mit dem Membranlipid PtdIns(4,5)P2 zusammen. Dessen Bindung erlaubt Schlüsselschritte im Transportzyklus, etwa die schnelle Bindung und Abgabe der Kalziumionen und ermöglicht so die außergewöhnlich hohe Pumpleistung.

Ohne diese Lipidbindung verlangsamt sich der Transport massiv, was die Forschenden durch die Analyse von krankheitsverursachenden Mutationen der Pumpenstruktur belegen konnten. Überraschenderweise fanden sie auch heraus, dass die schnelle Pumpaktivität der PMCA2-Neuroplastin-Komplexe durch Thapsigargin, einen bekannten Hemmstoff der intrazellulären Kalziumpumpen, stark eingeschränkt wird – und zwar durch Blockierung der Bindungsstelle des PtdIns(4,5)P2.

Voraussetzung für die Informationsverarbeitung im Millisekundenbereich geklärt

Die Einblicke in die 3-D-Struktur der Pumpenkomplexe und das Verständnis der Lipid-abhängigen Regulation des Transports könnten neue Angriffspunkte für Wirkstoffe schaffen, die gezielt in Kalzium-regulierte Signalwege eingreifen.

„Unsere zwei Studien zeigen: Die Pumpenkomplexe in der Zellmembran entfernen Kalziumionen in Nervenzellen mit Transportraten von mehr als 5000 Zyklen pro Sekunde – und damit mehr als 100-mal schneller als bisher bekannt. Zudem haben wir den entscheidenden Funktionsmechanismus für die hohen Pumpgeschwindigkeiten identifiziert, und damit eine fundamentale Voraussetzung für die Informationsverarbeitung im Millisekundenbereich geklärt. Kombiniert erweitern die Studienergebnisse das Wissen um Signalverarbeitung im Gehirn und eröffnen neue Ansätze für Medikamente – zum Beispiel gegen erblich bedingte Taubheit“, fasste Fakler die Studienergebnisse zusammen.