Neue Hypothese zur Sensibilität des auditorischen Systems

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US-amerikanische Forschende haben eine neue Hypothese zur Adaptation der Haarsinneszellen im Innenohr und fordern die bestehende Hypothese zur mechanoelektrischen Transduktion (MET) heraus. Die Ergebnisse wurden kürzlich im Fachjournal „Scienes Advances“ publiziert.

Die Haarsinneszellen des Innenohrs besitzen die intrinsische Fähigkeit die Sensibilität der MET sehr fein anzupassen, was der Fähigkeit ein breites Spektrum an Lautstärken und Tonfrequenzen wahrzunehmen zugrunde liegt. Bislang war die vorherrschende Expertenmeinung, dass sämtliche am Prozess der Adaptation beteiligten Proteine und Moleküle bekannt sind. 1987 zuerst publiziert geht das Modell zur Adaptation davon aus, dass die geräuschempfindlichen „Antennen“ – die Haarbündel – der Haarsinneszellen im Verlauf der Adaptation eine mechanische Veränderung durchmachen und dass diese Abnahme der Steifigkeit des Haarbündels, eine Verminderung der Sensibilität der MET zur Folge hat.

Weitere im Verlauf der Jahre durchgeführte Versuche und Studien legten nahe, dass das Motorprotein Myosin1c für die MET-Adaptation gebraucht wird. Jetzt konnten US-amerikanische Forscher der University of Colorado Anschutz zeigen, dass diese Hypothese revidiert werden sollte: Auch wenn die Adaptation Myosin-Motorproteine benötigt, geht sie nicht mit einer mechanischen Veränderung des Haarbündels einher.

Die Forschenden haben eine Reihe von Experimenten durchgeführt, um die Beziehung zwischen den mechanischen Eigenschaften des Haarbündels und der elektrischen Antwort der Haarsinneszellen zu untersuchen. Mittels einer speziellen Hochgeschwindigkeitsbildgebung fertigte Giusy Caprara, PhD und Postdoktorand an der University of Colorado School of Medicine und Erstautor, simultane elektrische Aufnahmen und Bilder der Haarsinneszellen einer Reihe von Säugetierspezies an, um mechanische Veränderungen der Haarbündel während der Adaptation zu untersuchen.

„Der Grund, warum diese Ergebnisse nicht früher entdeckt wurden ist, dass es nur sehr wenige Experimente gibt, in denen die mechanischen Eigenschaften des Haarbündels getestet wurden“, sagt Antony Peng, PhD, leitender Autor und Assistenzprofessor Physiologie und Biophysik an der University of Colorado School of Medicine. „Die Technologie hat sich weiterentwickelt und diese Entdeckung möglich gemacht.“

Zu wissen, wie der Mechanismus der Adaptation funktioniert, ist wichtig zum Verständnis der Funktionsweise der sensorischen Zellen im Innenohr, betonen die Forschenden. Auch wenn ihre Arbeit nicht direkt translational ist, seien ihre Ergebnisse ein wichtiger erster Schritt zu Reparatur beziehungsweise Ersatz der Funktion der Cochlea und könnten zu technologischen Verbesserungen für bessere Geräuschverarbeitung und Therapie von Hörstörungen.

„Die Erkenntnis, dass das ursprüngliche Modell der Adaptation nicht korrekt war, ist auf mehrere Weisen wichtig“, sagt Peng. „In der Grundlagenforschung haben die Ergebnisse Wege für weitere Forschungen eröffnen, einschließlich eines neuen Modells der Adaptation. Darüber hinaus hängen die Sensibilität und die Bandbreite des Gehörs, die wir erreichen können von diesem Prozess ab, deshalb wird uns ein besseres Verständnis helfen, auch verschiedenen Arten von Hörverlust besser zu verstehen.“ (red/ja)

Originalpublikation:
Caprara G et al. Science Advances  14 Aug 2020:6(h33):eabb4922.