Neue Maßstäbe – eine Nachlese auf den DVG-Vet-Congress

Prof. Dr. Dr. h.c (Bursa) Dr. h.c. (Torun) Martin Kramer, Präsident der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft (DVG) bei der Eröffnungsfeier Foto: © Carmen Körner & Cynthia Ruf/DVG

Unter dem Thema „Der Generationenwechsel – Altbewährtes und Neues in der Kleintiermedizin“ fand vom 13. – 15.10.2022 der DVG-Vet-Congress in Berlin und digital statt. Die Vorträge überzeugten durch Aktualität und hohe Relevanz für die Praxis.

An der Veranstaltung, die sich zum 68. Mal jährte, partizipierten über 2400 Teilnehmer, davon 1800 in Präsenz und 600 digital. Der DVG-Vet-Congress stellte somit den größten hybriden Kongress für Tierärztinnen und Tierärzte im deutschsprachigen Raum in diesem Jahr dar. Viele Tierärzte nutzten die Gelegenheit, sich auf der Vet-Messe mit 93 Ausstellern auf über 1300 Quadratmetern über die neuesten Innovationen in der Veterinärmedizin zu informieren.

Fotos: © Carmen Körner & Cynthia Ruf/DVG

Unter dem Dach des DVG-Vet-Congresses liefen parallel 19 Tagungen ab; die Sessions der Veranstaltungen zu Kleintieren, Pferden, Rindern, Tierzahnheilkunde sowie Verhaltensmedizin wurden live gestreamt. Die Aufzeichnungen dieser Streams und vertonte Powerpointvideos der übrigen Tagungen sind noch bis zum 6. November in der Mediathek auf der Landingpage verfügbar.

 

Die Eröffnungsfeier fand am Donnerstagabend im Estrel Congress Center Berlin statt. Nach einleitenden Worten durch Prof. Dr. Dr. h.c (Bursa) Dr. h.c. (Torun) Martin Kramer, Präsident der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft (DVG), und Prof. Andreas Moritz, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kleintiermedizin (DGK)-DVG, beide von der Justus-Liebig-Universität Gießen, sowie Kongresspräsidentin Prof. Andrea Meyer-Lindenberg von der LMU München, setzte Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Institutes, zu seinem Festvortrag „Was wir aus der Corona-Pandemie lernen können“ an. Er zeichnete darin einen authentischen Abriss der Pandemie auf.

Im Rahmen der Feier wurden verdiente Wissenschaftler sowie auch Nachwuchswissenschaftler mit Preisen der DVG geehrt. So erhielt Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hartwig Bostedt (Gießen) den Martin-Lerche-Wissenschaftspreis. Dr. Jakob Trimpert (Berlin) wurde mit dem Anton-Mayr-Preis für NachwuchswissenschaftlerInnen ausgezeichnet. Die Richard-Völker-Medaille der Deutschen Gesellschaft für Kleintiermedizin (DGK-DVG) wurde in diesem Jahr gleich zweimal vergeben: An „Mr. Pancreas himself“, Prof. Dr. Jörg Steiner, PhD, College Station (TX), USA und an Dr. Jan-Gerd Kresken, von der Tierklinik Kaiserberg in Duisburg. Kresken war maßgeblich an der Entwicklung und Verbreitung von Ultraschalluntersuchungen in der Veterinärmedizin beteiligt und rief im Jahr 2003 das „Collegicum cardiologicum“, eine Gesellschaft zur Qualitätssicherung kardiologischer Zuchttauglichkeitsuntersuchungen in der Tiermedizin, mit sieben weiteren Kollegen ins Leben. Steiner hat Tiermedizin an der LMU München und in Manhattan studiert und arbeitet und lehrt seit 1997 an der Texas A&M University, USA. Er ist in der Pankreatologie, Gastroenterologie, sowie der Hepatologie aus der Studienlandschaft bei Hund, Katze und Pferd, aber auch vergleichend nicht wegzudenken. Der launige Abend endete schließlich gegen 20 Uhr und klang mit der „Berliner Sause“ aus.

Berliner Sause Foto: © Carmen Körner & Cynthia Ruf/DVG

Am Freitagmorgen befasste sich Prof. Nadine Paßlack von der FU Berlin mit dem BARFEN. Sie verwies auf den häufig zu hohen Proteingehalt von BARF-Rationen sowie das stets gegebene Infektionsrisiko, das indirekt auch für den Menschen bestünde über Kontamination des Tierkotes etwa. Prof. Zentek, ebenfalls FU Berlin, setzte sich mit den zwangsläufig zu erwartenden Veränderungen in der Tierernährung unter dem Aspekt der Nahrungsmittelknappheit und des Klimawandels auseinander. Er verdeutlichte, dass eine Erhöhung von pflanzlichen Eiweißen in der Ernährung von Hund und Katze zukünftig unausweichlich sein werde, man sich jedoch klar sein müsste, dass Sojabohnen beim Hund etwa keine allzu gute Verdaulichkeit aufwiesen. Auch stellte er klar, dass für mindestens 95 Prozent der Hunde und Katzen die Mär von der getreidefreien Ernährung der „größte Unfug“ sei. Bis auf sehr wenige allergische Tiere sei Getreide für die überwiegende Mehrheit der Hunde und Katzen eine sinnvolle und zukünftig unverzichtbare Komponente tierischer Futtermittel. In den USA stehen pseudogetreidehaltige Futtermittel weiterhin unter dem Verdacht, DCM beim Hund auszulösen. Nebenbei erwähnte Zentek, dass Gartenbohnen ungekocht absolut toxisch sind – eine Information, die gegebenenfalls noch nicht bis zum letzten Patientenbesitzer vorgedrungen ist. Im Anschluss referierte Prof. Jörg M. Steiner von der Texas A&M University, Texas, USA, zu Mukozele, Cholezystitis und Komplikationen der akuten Pankreatitis. Seiner Empfehlung nach sollte eine Gallenblasen-Mukozele beim Hund in aller Regel chirurgisch behandelt werden, da eine Routine-Entnahme der Gallenblase, solange der Hund sich in einem guten Allgemeinzustand befindet, eine geringe Komplikationsrate aufweise, welche jedoch im Falle einer Not-OP in die Höhe schnelle. Bei einer akuten Pankreatitis hingegen bestünde keine Indikation zur Chirurgie, dies sei auch in der Humanmedizin nicht mehr so. Steiner zeigte Ultraschallbilder von Stadien der Mukozele, die es den Zuschauern ermöglichten, eine Differenzierung zwischen den Frühstadien und den Spätstadien, den Stern- oder Kiwi-Stadien, nachzuvollziehen. Ursodesoxycholsäure kann laut Steiner therapeutisch aggressiv eingesetzt werden und dies über sehr lange Zeiträume. Dr. Christine Peppler, leitende Oberärztin der Kleintierchirurgie an der Uni Gießen, sprach über den Paradigmenwechsel in der Chirurgie des Gastrointestinaltraktes und benannte neben zahlreichen Hinweisen zu Nahtmaterial- und techniken, als entscheidendsten Unterschied zu früheren Gepflogenheiten die rasche Anfütterung des Patienten postoperativ.

Am Samstagmorgen machte sich Dr. Andrea Steinmetz, Leiterin der Ophthalmologie der Kleintierklinik der Uni Leipzig, „Gedanken zur Telemedizin in der Veterinärophthalmologie“. Sie konnte dem teilweise noch immer etwas skeptischen Publikum durchaus vermitteln, dass die überwiegende Mehrheit der Millennials schlichtweg eine Online-Präsenz von Tierärzten erwarte. Auch könne diese die ohnehin kritische Notdienstsituation entschärfen, denn gerade mal fünf Prozent der eingehenden Anrufe seien tatsächlich echte Notfälle, wie eine Untersuchung ergeben hätte. Steinmetz führte zahlreiche Gründe auf, weshalb sich ein Online-Angebot für Klinken, aber auch ganz normale Praktiker lohne. Beim Pferd war am Samstagnachmittag die Geburt ein zentrales Thema. Es kam teilweise zu recht lebhaften Diskussionen mit dem Auditorium, so auch beim Vortrag von PD Dr. Rainer Hospes, der aus dem Homeoffice „Aktuelles zur Nachgeburtsverhaltung beim Pferd“ beitrug. Unter anderem erläuterte er die Umbilical-Vessel-Water-Infusion zur Behandlung einer Nachgeburtsverhaltung beim Pferd.

Mit „Breaking old dogmas? Was gibt es Neues zum Mammatumor des Hundes?“ gelang es Julia Gedon, Oberärztin im Fachbereich Onkologie der Tierklinik Hofheim, mit ein paar althergebrachten Vorurteilen aufzuräumen. So konnte sie etwa darlegen, dass auch eine späte Kastration noch einen protektiven Effekt haben kann und das Risiko für die Entstehung eines Mammatumors bei der Hündin durchaus reduziere. Auch sei für Scheinträchtigkeiten oder durchlaufene Geburten kein erhöhtes Risiko für die Entstehung von Mammatumoren bei Hündinnen nachgewiesen worden. Als für die Praxis äußerst relevant einzustufen ist die Erkenntnis, dass wenn bei einer kastrierten Hündin ein Mammatumor auftritt, dieser mit einer höheren Wahrscheinlichkeit bösartig ist.

Dr. Martin Kessler, der laut Prof. Volk „wohl bekannteste Veterinäronkologe Deutschlands“ und einer der Leiter der Tierklinik Hofheim, demonstrierte, wie weit man gehen kann bei „der Rekonstruktion nach Resektion großer Tumoren“. „In der onkologischen Chirurgie zählt nicht die Länge der Inzision, sondern die Länge der Überlebenszeit“, leitete er seinen Vortrag ein und dies mache eine komplette Entfernung des Tumors unvermeidlich, denn „wenn Tumorgewebe zurückbleibt, hat man letzten Endes nur eine große, sehr teure Biopsie genommen“. Um die komplette Entfernung sicherzustellen, empfahl er intraoperativ Resektionsrandbiopsien zu nehmen und auf Tumorzellen zu überprüfen. Außerdem sollte sich der Operateur vor dem Eingriff bewusst machen, dass die eigentliche Kunst im Verschluss der Hautdefekte und nicht nur in der Entfernung des Tumors liege, d.h. der Chirurg sollte einem definierten Plan folgen. Er zeigte derartige chirurgische Pläne anhand zahlreicher sehr schön anzusehender Aufnahmen von sogenannten „random (pattern) flaps“ wie z.B. beängstigend großen Schwenklappenplastiken und deren Entstehungsprozesse. Random Flaps beruhen auf „zufälliger“ Gefäßversorgung. Auch erläuterte er axiale Hautlappenplastiken, die auf einem Hautareal mit definierter Gefäßversorgung basieren. Diese demonstrierte er unter anderem anhand von Bildern von Epigastrika-Insellappenplastiken am kaudalen Oberschenkel bei Hund und Katze. Zum Verschluss größerer Gesichtshautdefekte eignen sich Auricularis-caudalis-Lappenplastiken. Er empfahl stets mit Haltefäden zu arbeiten, um den Flap nicht unnötig mit der Pinzette zu traktieren. Das Gewebe sei zart und solle auch so behandelt werden. Auch die Bestrahlung von mit Flaps versorgten Hautarealen sei nicht ganz unproblematisch. Zum Verschluss eines großen Backentaschendefektes könne ein inverser Rundstiellappen zum Einsatz kommen, was zur Folge hat, dass behaarte Haut in der Mundhöhle des Tieres zu liegen kommt. Auch solle man sich bewusst machen, dass sich „ein Mensch, der durch eine Windschutzscheibe kracht“, oftmals zwischen acht und 15 OPs unterziehen muss, um ein kosmetisch akzeptables Resultat zu erzielen. Die Option mehrerer Korrekturoperationen habe man als Tierarzt nicht, selbst wenn man ab und zu gerne mal etwas kosmetisch noch optimieren würde. Seinen Vortrag schloss er mit dem Plattenepithelkarzinom des Nasenspiegels beim Hund, das anders als bei der Katze nicht auf Bestrahlung anspricht. Kessler legte dem Auditorium ans Herz: „Haben Sie einen Retriever vor sich, insbesondere einen blonden, und das Tier hat eine Septum nahe Ulzeration im Nasenloch, nehmen sie sehr frühzeitig eine Biopsie.” Denn zumeist handle es sich dabei nicht – wie oft fälschlicherweise angenommen – um einen immunmediierten Prozess, sondern um ein Plattenepithelkarzinom. Bei kleineren Tumoren ist eine Teilresektion des Nasenspiegels mit unilateralem Lippenflap ausreichend. Größere Tumore erfordern in der Regel eine komplette Resektion des Nasenspiegels. Der Erhalt zweier getrennter Nasenöffnungen ist bei einer Defektrekonstruktion mit bilateraler Faltlappenplastik aus den beidseitigen rostralen Oberlippenanteilen nicht möglich, was bedeutet, dass sich das Erscheinungsbild des Hundes maßgeblich verändert – bei gutem funktionellem Ergebnis. Das zu erwartende Resultat ist dem Tierhalter vor der OP auf jeden Fall bildhaft vor Augen zu führen, damit er sich mental darauf einstellen kann. 

Prof. Barbara Kohn von der FU Berlin sprach über Lahmheiten beim Hund und erläuterte, inwieweit infektiöse respektive systemische Erkrankungen eine Rolle dabei spielen. Von der Myasthenia gravis über die Borreliose, die in Berlin ein zu vernachlässigendes Vorkommen aufweist, inklusive Anaplasmose und Leishmaniose reichte ihr Überblick. Letztere empfahl sie niemals so ganz außer Acht zu lassen, „die Leishmaniose ist so ziemlich für alles gut, die kann auch mal eine Polymyositis auslösen“, so Kohn. In ihrem zweiten Vortrag sprach sie über die Polyarthritis beim Hund und suchte des Öfteren den Bezug zur Humanmedizin. Als idealen Marker zur Verlaufsbeobachtung nannte sie das C-reaktive Protein (CRP). Diagnostisch sind neben einer gründlichen Anamnese, eine hämatologische, klinisch – chemische Blutuntersuchung, Urinstatus (und Kultur), Röntgen mehrerer Gelenke, auch eine Arthrozentese und Synoviauntersuchung mehrerer Gelenke erforderlich. Wichtig sei im Vorfeld einer Synovia-Punktion keine NSAIDs oder gar Kortison einzusetzen, allenfalls Metamizol (oder ähnliches) sei zweckdienlich. Im Blut kann eine Leukozytose, ggr. Anämie und Hyperglobulinämie nachweisbar sein. Zur Therapie von immunbedingten Arthritiden beim Hund reiche eine Dosis von 1 mg/kg/Tag Prednisolon in aller Regel aus, wo unvermeidbar auch in Kombination mit Zytostatika. Leflunomid, ein Medikament, das bei der rheumatoiden Arthritis beim Menschen eingesetzt wird, sei eine gute Alternative bei Hunden, die gleichzeitig an einer Polyarthritis und Diabetes leiden. Es wirke auch als Monotherapie beim Hund. Immunbedingte Arthritiden sind immer auch eine Differenzialdiagnose bei Fieber unbekannter Genese (FUO). Als letzter Redner am Samstagabend gab Martin Kessler in seinem Vortrag über onkologische Fälle endokriner Tumoren wie etwa Insulinome oder Schilddrüsentumoren, für das Analbeutelkarzinom beim Hund blieb nicht ausreichend Zeit, nochmal ordentlich Gas.

Der DVG-Vet-Congress hat Zeichen für die Zukunft gesetzt. Mit einer klaren Aussage zum Status Quo hatte Prof. Jörg M. Steiner seine kurze Dankesrede am Donnerstagabend mit den Worten geschlossen – auch nach über 25 Jahren USA-Aufenthalt – noch immer in ausgezeichnetem Schwäbisch: „Wir wollen keine kleine Humanmedizin sein, sondern eine große Tiermedizin.“ Dem ist nicht viel hinzuzufügen, höchstens vielleicht die Anregung, ob ein gemeinsamer Kongress von Human- und Tiermedizinern die Zusammenarbeit in der Zukunft verbessern könnte. (sg, Quelle: Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft (DVG))