Neue Studie: Co-Infektion mit Influenza A unterdrückt im Tiermodell die Replikation bei SARS-CoV-2

Abbildung: © lassedesignen/stock.adobe.com

Eine gleichzeitige Infektion mit SARS-CoV-2 und dem Influenza-A-Virus kann laut den Autoren einer aktuellen Studie einen positiven Effekt haben – wenn die Ansteckung mit dem Grippevirus zuerst erfolgt. Die Reaktion darauf könne SARS-CoV-2 „in signifikantem Ausmaß“ unterdrücken. Ihre Erkenntnisse stammen aber aus einem Tiermodell, weshalb zwei deutsche Virologen Zweifel bezüglich der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen haben.

Wie die Verfasser der aktuellen Arbeit außerdem berichten, veränderte eine Co-Infektion mit Influenza A und SARS-CoV-2 weder den Verlauf noch den Schweregrad der Grippe.

„Die Studie ist deshalb so wichtig, weil jetzt zwei respiratorische RNA-Viren mit hohem Pandemiepotenzial in der menschlichen Bevölkerung zirkulieren: SARS-CoV-2 und Influenza A“, schreiben die Verfasser der im „Journal of Virology“ publizierten Arbeit. „Da beide Viren die Atemwege infizieren und zu erheblicher Morbidität und Mortalität führen können, ist es unerlässlich, dass wir auch die Folgen einer Co-Infektion verstehen.“

Mehrere klinische Studien hatten zuvor über eine Co-Infektion von SARS-CoV-2 mit anderen Viren berichtet. „Insbesondere eine Co-Infektion mit SARS-CoV-2 und dem Influenza-A-Virus war zu Beginn der COVID-19-Pandemie weit verbreitet, vor der Durchsetzung von Masken und Abstandsregeln“, erklärt der korrespondierende Autor Dr. Benjamin R. tenOever, Professor für Mikrobiologie an der New York University, Langone Health (USA). Diese Viren infizieren dieselben Zellen in den Atemwegen.

Insbesondere stellten die Studienautoren fest, dass das Influenza-A-Virus die SARS-CoV-2-Replikation in der Lunge stört: Dies könne sogar noch mehr als eine Woche nach der Beseitigung von Influenza A der Fall sein. „Diese Daten deuten auf das Vorhandensein von Faktoren hin, die in dem [Influenza-A-Virus] selbst liegen oder durch es induziert werden und das Wachstum von SARS-CoV-2 einschränken können“, schreiben die Forschenden. „Es bleibt aber unklar, ob dieser Effekt eine Rolle für den Schweregrad der Erkrankung spielt.“

Die Untersuchungen führten die Forscher sowohl an kultivierten Zellen als auch in einem Tiermodell mit Goldhamstern durch. „[…] Den Tieren wurden die beiden Viren gleichzeitig verabreicht, und sie wurden dann an den Tagen 1, 3, 5, 7 und 14 nach der Infektion untersucht“, berichtet tenOever. Die Wissenschaftler führten auch Versuche durch, in denen sie die Tiere zuerst einem der beiden Viren aussetzten, drei Tage später gefolgt von dem jeweils anderen Virus. Sie wurden dann an den Tagen 1, 3 und 5 nach der zweiten Exposition untersucht.

„Diese Studie könnte als Beispiel dafür dienen, wie eine Immunantwort auf etwas, das in keinem Zusammenhang damit steht, Schutz vor SARS-CoV-2 bieten kann“, sagt tenOever.

Die Arbeitsgruppe zeigte außerdem in einem Tiermodell, dass eine Co-Infektion nicht zu einem schlechteren Krankheitsverlauf führt. „Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine Co-Infektion mit SARS-CoV-2 und dem Influenza-A-Virus keine drohende Gefahr für die Menschheit darstellt“, unterstreicht tenOever abschließend. Eine vor wenigen Wochen in „The Lancet“ publizierte Arbeit beispielsweise hatte hingegen bei Co-Infektionen mit beiden Erregern eher erhöhte Sterblichkeitsraten gezeigt (wir berichteten). In dieser Untersuchung waren Daten zu mehr als 212.000 Patienten mit einer Co-Infektionen ausgewertet worden.

Virologen: Hamstermodell lässt keine allgemeingültigen Schlussfolgerungen für den Menschen zu

Prof. Stephan Becker, Leiter des Institutes für Virologie der Philipps-Universität Marburg, merkt zu den neuen Ergebnissen von Oishi et al. an: „Die Grippe versetzt den Organismus des Hamsters quasi in einen antiviralen Status, bei dem nach der Infektion Interferon-stimulierte Gene hochreguliert werden. Für diesen antiviralen Status braucht es noch keine Antikörper. Es ist die natürliche Abwehrreaktion des Körpers auf fremde Organismen oder Stoffe. Diese native Immunantwort hemmt nach den Ergebnissen dieser Studie offenbar SARS-CoV-2 stärker, als es bei Influenza der Fall ist. Es ist bekannt, dass Influenzaviren Proteine kodieren, die die zelluläre Immunantwort sehr effizient unterdrücken.“

Becker betont aber auch, dass dieses Hamstermodell keine allgemeingültigen Schlüsse für die reale klinische Situation zulasse. „Menschen sind keine Hamster“, sagt der Virologe. „Ich würde mich nicht anhand von Hamsterdaten darauf verlassen, dass Co-Infektionen mit Influenza und SARS-CoV-2 vergleichsweise harmlos verlaufen – obwohl die Studie gute Daten präsentiert und das Autorenteam auch renommiert ist.“ Für grundlegende Aussagen zu Co-Infektionen seien pro- und retrospektive Studien an Menschen nötig, die aber gar nicht so einfach durchzuführen seien, denn: „Die Menge jener, die zu einer bestimmten Zeit co-infiziert sind, und im besten Fall auch noch in der richtigen Reihenfolge, ist nicht sehr groß. Und es gibt noch eine Reihe weiterer Einflussfaktoren, die man beachten muss, wenn solche Studien konzipiert werden. Zum Beispiel: Wie ist der Impfstatus der Studienteilnehmer? Mit welchem Influenzavirus wurden sie infiziert? Und das Gleiche gilt auch für die verschiedenen Varianten von SARS-CoV-2.“

„Das hier gezeigte Tiermodell ist sicher näher am Menschen als das Zellkulturmodell, aber auch im Tiermodell ist kritisch anzumerken, dass das Immunsystem dem des Menschen ähnlich, aber nicht gleichzusetzen ist“, hebt auch Prof. Ortwin Adams, Leiter der virologischen Diagnostik am Institut für Virologie des Universitätsklinikums Düsseldorf hervor. Er ergänzt: „Zudem sind die Tiere ‚naiv‘, das heißt, sie haben bis zum Experiment noch keinen Kontakt mit Influenza oder SARS-CoV-2 gehabt. Der erwachsene Mensch hat aber bereits jahrzehntelange Erfahrung mit Influenzaviren, und auch gegen SARS-CoV-2 haben wir mittlerweile ein buntes Bild von ‚weder geimpft noch genesen‘ bis zu ‚mehrfach geimpft/geboostert plus ein-/zweimal genesen‘. Diese immunologische Vorerfahrung hat erheblichen Einfluss auf den Infektionsverlauf von beiden Viren.“

Adams fügt hinzu: „Das Influenzavirus ist bekanntermaßen ein Virus, das in der infizierten Zelle eine starke Interferon-Antwort erzeugt. Von daher ist es plausibel, dass SARS-CoV-2 in seiner Replikation gebremst wird.“ Umgekehrt scheine bei der Reihenfolge „erst SARS-CoV-2-Infektion und dann Influenzainfektion“ dieser Effekt auszubleiben. „Vermutlich, weil SARS-CoV-2 eine schwächere oder andere angeborene Immunantwort erzeugt“, mutmaßt Adams.

Becker gibt zur Aussagekraft der aktuellen Arbeit außerdem zu bedenken, dass die Studienautoren für ihre Untersuchungen zwei ältere Virusvarianten verwendeten: USA-WA1/2020 für SARS-CoV-2 und das pandemische Grippevirus von 2009 (H1N1-A/California/04/2009). „Neuere Virusvarianten könnten einen anderen, womöglich pathogeneren Effekt haben, wenn man mit beiden Erregern infiziert ist“, erklärt der Virologe. „Insbesondere zwischen der Wuhan- und der Delta-Variante von SARS-CoV-2 könnte ich mir deutliche Unterschiede vorstellen.“